Manchmal fühlt sich das Leben an, als würde man feststecken. Zum Beispiel im Lockdown. Mir hilft es dann die Perspektive zu wechseln. Also entweder einen Handstand machen oder – wenn ich mehr Zeit habe – eine Reise zu unternehmen. Die kann ich mit mir allein machen oder Daniel und das Tandem fragen, ob sie Lust auf ein Abenteuer haben. Zum Glück lautet die Antwort meistens. Ja! Und so rollen wir los.
Naja, ehrlich gesagt habe ich die Reise doch allein begonnen und Daniel und das Tandem in Winterthur zurückgelassen. So blieb den beiden nichts anderes übrig, als allein die 40 Kilometer nach Konstanz zu radeln, wo sie glücklicherweise von unserer lieben Angie eingeladen und mit in die Eifel gekarrt wurde. Dreimal dürft ihr raten, welchen Satz die beiden dauernd gehört haben:
»He, du hast da was verloren!«
Zugegeben, es sieht echt auch schräg aus, wenn Daniel allein auf dem zweieinhalb Meter langen Ding hockt. Aber wenigstens hat er noch einen Ski Helm hinten auf den Sattel geschnallt, nicht dass noch jemand auf die Idee kommt, mitfahren zu wollen!
So treffen wir alle also in der Eifel wieder aufeinander und tollen ein wenig durch Angies und Caspars Garten, beobachten die Vögel und Blümchen, die sich da tummeln, hacken wie wild Brombeerwurzeln ab und führen ein ausgelassenes sowie kulinarsich hochstehendes WG-Leben. Wandern durch die schöne Eifel, üben Yoga zusammen und sitzen vor dem knisternden Kamin. Natürlich alles unter vorheriger Selbsttestung – alle sowas von negativ!
Dann kommt der Tag, an dem wir uns aus unserem gemütlichen Nest bei Angie und Caspar wieder hinaustrauen in die grosse, weite Welt. Als wir losrollen, können wir es immernoch nicht fassen, dass wir tatsächlich heute noch Luxemburg erreichen werden. Aber die Story kennt ihr ja schon. Lovely Luxemburg ist auf jeden Fall einen Stop wert!
Als wir Gianni – unseren Consierge und das altehrwürdige Hotel in Luxemburg mit den kuscheligen Daunendecken verlassen, wissen wir noch nicht, wo wir am Abend schlafen werden. Denn mit unserer Grenzüberschreitung ins Saarland herrscht Beherbergungsverbot laut Corona-Regeln der Bundesregierung. Also können wir nicht hoffen trotz Regen ein trockenes Plätzchen zum Schlafen zu ergattern. Und so radeln wir eben mal los und sehen, was der Tag bringt. Apropos Grenzübertritt: Wir reisen aus Luxemburg über Schengen aus. Ja genau, das Schengen, das dem internationalen Vertrag seinen Namen leiht, der uns bis vor Kurzem offene Grenzen bescherte und nicht mehr ist als ein kleines Dorf mit einer echten Dorfkneipe. Hier bekommt man augenscheinlich nur Kaffee oder Wein und so mischen wir uns ein letztes Mal mit einem “Moien” unter die kontaktfreudigen Luxemburger und entscheiden uns für den Kaffee.
Der Tag bringt außerdem einen Feldhasen, der während voller Fahrt neben uns her sprintet und dem ich so in seine Hasenaugen schauen kann, bevor er einen Haken schlägt und vor uns über den Weg und weiter über ein Feld saust. Da kann ich nur neidisch gucken anhand solch strammer Oberschenkelmuskeln. Auch bewundere ich die stoische Ruhe der Graureiher, die immer mal wieder im Bach stehen und des Lebens harren. Und das Gestakse der Störche, die das miese Pieselwetter ganz dufte finden und auf den saftigen Wiesen Nahrung suchen. Auch grüsst uns mal eine Bisamratte und der ganze Zoo animiert mich so, dass ich meiner Natur auch freien Lauf lasse und lautstark den Kaffee aufstoße, den wir samt Brezel (im Saarland!!!) vor einer kleinen Dorf-Bäckerei schlürfen, als das Fenster aufgeht und die Bäckereifachverkäuferin mit uns schnattert. So erfahren wir, dass man wohl im Saarland auf den Terassen ins Café darf, aber einen Test vorweisen muss, wenn man in die Drogerie will. Schweizerisch verstörtes Nicken unsererseits – wo sind wir hier bloß gelandet?
Diese Frage stellen wir uns auch, als wir an der Saar entlang im skurrilen Saarlois landen und unseren Kaffee im Café schlürfen und dann weiter in Richtung Saarbrücken strampeln. Wir verwöhnte Süddeutsche sind ja so große Industrieanlagen nicht gewohnt. Solche, in denen zum Beispiel Stahl hergestellt wird und die sich über Kilometer an der Saar entlangziehen.
Oder so einen Haufen Abraum, der sich wie der lokale Hausberg über das sonst recht flache Land erhebt.
Ein bisschen fühle ich mich an Usbekistan erinnert. Da sind wir auch an einer Aluminiumfabrik und mehreren Raffinierien vorbeigeradelt. Ja okay, dort gab es manchmal ungesund grüne Schwaden über den Fabriken und die Temperatur unterscheidet sich auch um mindestens 20 Grad. Aber ihr wisst, was ich meine.
Dank eines Tipps einer warmshowers Hostin aus der Region finden wir abends übrignes einen schmucken Platz zum Übernachten. Eine Holzhütte im Stadtwald von Saarbrücken, ganz in der Nähe der Uni. Wir sind very amused ein Dach über dem Kopf zu haben, denn so können wir im trockenen Kochen und bei Einbruch der Dunkelheit, nachdem wir gefühlte 20 Herrchen und Frauchen und ihre Hunde kennengelernt haben, in unser Zelt kriechen.
Ich wache auf, weil ich einen Motor brummen höre. Daniel sitzt bereits und raunt: «Jetzt kommen die echt kontrollieren.» Ich kann nicht mal den Kopf heben so müde bin ich. Also bleibe ich liegen und lausche dem Dialog:
Er: «Sie können hier nicht bleiben!»
Daniel: «Guten Abend, mein Name ist Daniel und wer sind Sie?»
Er: «Förster Soundso, ich schaue im Wald nach dem Rechten und Sie können hier nicht zelten.»
Daniel: «Entschuldigen Sie aber wir sind auf der Druchreise und dürfen in kein Hotel und wir dachten wir stören hier niemanden.»
Er: «Tun Sie auch nicht, aber man muss anrufen, wenn man unter dem Unterstand übernachten will, damit wir Bescheid wissen. Wenn morgen ein Jäger kommt und schießt…»
An dieser Stelle meldet sich meine innere Zynikerin: «Dann schießt der bestimmt auf ein grünes Zelt und ein Tandem mit bunt bepackten Taschen, das unter einem Hüttendach steht. Merkste selber, ne.»
Daniel, wie immer besonnen: «Ja, wir sind morgen ganz früh wieder weg.»
Er: «Na gut, von mir aus können Sie bleiben.»
Daniel: «Danke und einen schönen Abend.»
Ich tätschle Daniel den Rücken und sage: «Super Schätzle!». Dass ich dabei weder den Kopf heben kann, noch meine Augen öffnen ist nicht weiter schlimm. Wir schlummern friedlich weiter.
Der nächste Tag ist wieder ein bisschen feucht und das recht trostlose Pirmasens hilft da nicht viel weiter. Ausserdem sind wir recht genervt davon, dass es keine Brunnen gibt, an denen wir unser Trinkwasser auffüllen können. Entweder sind sie noch abgestellt oder es gibt schlicht keine. Die öffentlichen Toiletten sind oft abgeschlossen – Frechheit, schliesslich gibt es auch Menschen, die darauf angewiesen sind mal schnell auf eine Toilette zu können – und so müssen wir unser Wasser in Flaschen kaufen. Es ist so skurril, etwas so essentielles wie Wasser in einer Flasche kaufen zu müssen. Sonst trinken wir immer aus dem Hahn. Wir trauen uns aber auch nicht einfach irgendwo zu fragen und um Wasser zu bitten. Es ist halt immernoch Corona. Also füllen wir zähneknirschen das Wasser ab und dabei fällt uns noch etwas auf: in Deutschland gibt es oft keine kleinen Dorfläden in der Ortsmitte mehr. Große Märkte dominieren an den Rändern der Orte. Ich muss da immer an meine Kollegen auf dem Hof denken: die haben erzählt in Polen gäbe es nur noch große Märkte an Stadträndern und sie fahren eine halbe Stunde bis dorthin, um die Kartoffeln zu kaufen, die in ihrem Dorf wachsen. Die Entwicklung macht uns traurig. Der Dorfladen ist ja nicht nur ein Ort, wo man etwas kauft. Man tratscht auch, echauffiert sich über Politik oder man trifft zufällig jemanden, den man nicht aktiv einladen würde. Da geht ganz schön was verloren. So an Vielfalt und Verwurzelung.
Wir strampeln noch bis zum Dahner Felsenland und fragen abends einen Spaziergänger, ob er einen Ort wüsste, an dem wir zelten könnten, ohne zu stören. Schon im Pfälzer Singsang meint er wir könnten auf den Camping am Wieslauter Fluss. Wir finden das keine gute Idee, weil der ja bestimmt geschlossen ist. Da fällt ihm noch ein Hüttchen ein, ein wenig oben am Waldrand. Ich denke noch an den netten Mann, als ich mit letzter Kraft und aufgeblasenen Backen in die Pedale trete, weil der Waldrand ganz schön steil ist. Zwar finden wir die Hütte nicht, von der er gesprochen hat, dafür eine Sitzgelegenheit am Waldrand. Ich bin dafür hierzubleiben und Daniel ergibt sich.
Auch hier lernen wir wieder ein paar Hundefreunde auf der Abendgassi-Runde kennen und der letzte outet sich als Bürgermeister:
BM: «Ja, also wegen mir dürft ihr gern auf den gemeindeeigenen Camping. Darf ich zwar nicht sagen, mach ich aber jetzt.»
Antonia: «Meinen Sie wir könnten auch hier bleiben? Ich bin so kaputt.» Große Rehaugen.
BM: «Na klar, ich glaub der Klaus, dem die Wiese gehört, hat da nichts dagegen und sonst sagt ihr ihm, er soll mir anrufen. Dann regel ich das. Wir sind ja auch ab und zu unterwegs in der Welt und da ist es immer gut wenn lokale einem helfen.» Wir nicken zustimmend.
Und so nächtigen wir am Waldrand mit Erlaubnis von höchster Stelle und finden erst am nächsten Morgen den richtigen Weg zu der Hütte, die der Spaziergänger uns empfohlen hatte. Schicksal.
Um so richtig wach zu werden gönnen wir uns dann erstmal einen café dans une boulangerie. Richtig gelesen. Wir sind ganz legal für acht Kilometer nach Frankreich eingereist, weil der offizielle Radweg hier durchführt und praktisch direkt an der Bäckerei vorbei. Und einmal durch die Hauptgasse des hübschen französischen Städtchens. Ganz ohne Umweg. Ist klar ne.
Die Französin, die uns fragt: «Où vous-voullez aller?» ist sichtlich entsetzt, als wir antworten gleich wieder nach Deutschland. Sie spricht dann extra deutsch, weil sie weiß, dass unsere mageren Französischkenntnisse nicht reichen werden, um und ihre Meinung darüber mitzuteilen: «Sie müssen dursch l´Elsass fahren!» Wir würden gern, aber das ist verboten. Sie zuckt entnervt die Schultern und verdreht die Augen. Einfach kein Revolutionsvolk diese Allemends!
Noch ein Highlight: Rheinüberquerung auf der kleinsten Flussfähre aller Zeiten. Wahnsinn, was da immer so einfach auf dem weg (rum-)liegt.
Und schupps, sind wir wieder im heimischen Baden-Württemberg. Da gesellt sich eine ältere Dame auf einem E-Bike neben uns. sie ist schon eine Weile hinter uns hergefahren und hat gesehen, wie ich aufrecht, die Arme vor mir verschrenkt auf dem Sattel sitze und meine Handgelenke entlaste.
E-Bikerin: «Das sieht ja gemütlich aus!»
Antonia: «Ist es auch!»
E-Bikerin: «Wo geht´s na?»
Antonia: «Nach Schutterwald, bei Offenburg.»
E-Bikerin: «Und wo kommt ihr her?»
Daniel: «Aus der Pfalz, ungefähr bei Pirmasens.»
E-Bikerin: «Und übernachtet?»
Daniel: «Im Zelt. Stört ja niemanden, wenn man morgens gleich wieder weg ist und keinen Müll hinterlässt.»
Kurze Pause, bevor eine Weisheit kommt, die ich sehr eingängig finde:
«Hajo, voll ka mers immer daherschleppa, aber leer isses zu schwer!»
Sie kriegt nen Daumen für das Umweltbewusstsein stärken und unsere Wege trennen sich an einer Kreuzung.
Nach einer letzten Nacht in Deutschland bei Marion und Marco in Schutterwald und ein paar Tagen Schwarzwald-Retreat bei Mami starten wir dann unsere letzten zwei Etappen bis nach Winterthur. Tag eins führt uns zurück in die Schweiz, genauer ins schöne Hallau im Kanton Schaffhausen und zurück an die ersehnten Brunnen, an denen wir Wasser tanken können.
Es ist ein pitoreskes Weindörfchen und das Wetter ist endlich sonnig, so dass wir uns bereits freuen eine neue Freiheit zu geniessen: Nicht nur dürfen wir in der Schweiz wieder ein Bed & Breakfast buchen, sondern wir dürfen auch im Aussenbereich eines Restaurants Abend essen. Da dies erst seit dem vorherigen Tag wieder möglich ist, vergisst die italienische Mama dauernd ihre Gesichtsmaske aufzusetzen und stürmt mehrmals entsetzt auf die Terrasse und fragt, ob noch alles in Ordnung ist – weil sie einfach nicht mehr daran gewohnt ist, dass Gäste auf der Terrasse sitzen. Böse sein, kann man ihr aber nicht, weil sie ständig in einem schweizerdeutsch gefärbten deutsch-italienisch betont: «Es ist so schön, wieder bedienen zu dürfen.» Um das zu untermalen, werde ich dabei jeweils fest in die Wange gekniffen. Auch nicht ganz regelkonform und es schmerzt auch – aber wer kann ihr diese kleine Freude verdenken.
So landen wir zehn Tage nach Abreise völlig voll wieder in Winterthur. Wir haben nicht das Gefühl einmal von der Eifel nach Winterthur gefahren zu sein, sondern eher durch vier Länder und verschiedenste Kulturen. Faszinierend, wie schnell man das schätzen lernt, was sonst so normal war: offene Grenzen zwischen Ländern und Bundesländern, dieselben Regeln, Bewegungsfreiheit, Reisen, ohne planen zu müssen, Kaffee und Kuchen auf einer Terasse, spontan übernachten im Hotel. Und dabei hat uns eines am meisten fasziniert: Die Offenheit der Menschen, die weder verwundert waren noch es uns missgönnten unterwegs zu sein. Die uns eher ermutigt und versucht haben in ihrem Rahmen unsere Reise so angenehm wie möglich zu machen. Ganz, ganz herrlich. Also lasst euch nicht schrecken, keep rollin´!
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