Downhill á la Tandem

Weinreben rund um Barcelona, hügelige Weiten und pittoreske Steindörfer
rund um Santa Colomo de Queralt, Jámon-Ebenen um Binefar, wo der berümte
Schinken aus unzähligen Schweinefarmen herkommt und atemberaubende, fast alpine Landschaft um Sos del Rey Católico- wir haben einige Landschaften
gesehen, doch nichts war so aufregend wie unsere Etappe von Irurtzun
nach San Sebastián.

Der freundliche Hotel-Manager Javier in Irurtzun hatte ganz nebenbei
bemerkt, dass es einen hübschen Weg über den Berg gäbe. Durch einen
Tunnel. Dass er aber nicht wisse, ob wir den mit dem Tandem fahren
könnten. Er hätte schon ein paar Schlaglöcher. Daniel schaut gleich mal
bei unserer Fahrradrouten-App komoot nach und siehe da, Offroad, also
nicht für Rennrad optimiert, müssen wir sogar 300 Höhenmeter weniger
machen bis San Sebastián, was bei insgesamt 1200 schon ganz gut ist. Wir
beschliessen das mal auszuprobieren und radeln früh los am nächsten Tag.

Zuerst quälen wir uns noch kalt ein wenig den Berg hoch und fragen uns,
was komoot damit meinen könnte, dass die angestrebte Route anscheinend
100 Meter neben uns läge. Wir sehen da nur Wald. Plötzlich taucht dann
doch ein Tunnel auf und ein Hinweisschild infomiert uns, dass
Bergschuhe, Stirnlampen und Helme angebracht sind, um die 2700 m zu
durchqueren. Mal abgesehen von den Stiefeln ist alles an Bord – also
los.

Die ersten Meter sind erstaunlich gut ausgeleuchtet, sodass auch ich das
von der Decke tropfende Wasser gut sehen kann. Wir fahren durch Pfützen,
das kalte Wasser spritzt und auch sonst ist es ziemlich kühl und ein
wenig gruselig in dem Tunnel. Nach der ersten Hälfte habe ich bereits
gefrorene Finger, die es schwieriger machen sich am Lenker
festzukrallen, was ich angesichts der beiden abschüssigen Enden des
Weges vor uns als angebracht erachte. Es wird dunkler, Daniel nicht
langsamer, im letzten Drittel des Tunnels fällt das Licht ganz aus.
Daniel ist hellauf begeistert und wird nicht müde zu betonen, was für
eine wundervolle Idee es war die neue Stirnlampe von Mammut zu kaufen,
die wirklich „extrem hell“ ist und ohne die wir „echt verloren“
wären. Ich konzentriere mich auf das einzige, das ich wirklich gut sehe
und das sind Daniels Ohren von hinten. Irgendwie beruhigend.

Dann endlich sind wir draussen. Sonne, Licht, Leben. Eine saftige grüne
Wiese. Schön. Wir rödeln alles wieder ab und fahren weiter. Wundern uns
dann schon ein wenig als nach wenigen Metern wieder ein Tunnel kommt.
Der ist allerdings so kurz, dass man durchsehen kann. Irgendwann stossen
wir auf ein Hinweisschild, das uns erklärt, dass dieser Weg die alte
Bahnstrecke von Irurtzun nach San Sebastián ist, die zu einer Via verde
umgebaut wurde, auf der nun Radfahrer und Wanderer unterwegs sind. Ach
so. Deshalb die wenigen Höhenmeter – alles klar.

Wir fegen also auf der Schotterpiste weiter. Erst durch grasbestandene,
grüne Hügel, hie und da stehen Schäfchen auf dem Weg und trotteln aus
dem Weg, wenn wir kommen. Ein Pferd blickt uns konsterniert an als wir
vorbeibrausen und wir passieren einige efeuumrangte Portale und weitere
unzähige Tunnel. Kurze Tunnel, lange Tunnel, trockene, nasse, helle,
dunkle, welche mit Betonboden oder Spurrillen.

Spurrillen finde ich am spannendsten, da kommt nämlich der ganze hintere
Teil des Tandems samt mir ins schlingern und Daniel wirft sein  (im
Anbetracht des sonstigen Gewichts verschwindend geringes) Körpergewicht
auf die andere Seite, damit wir nicht umfallen. Ich bin froh um meine
Klickers. Und um meinen Michelin-Männchen Aufzug. Ich habe inzwischen
eine Hose, eine Regenhose, ein Shirt, 2 Pullis, meine Regen-und meine
Daunenjacke sowie 2 Paar Handschuhe an – ganz schön kalt in so einer
Geisterbahn. Meine der Kälte geschuldete Steifheit trägt vielleicht ein
wenig dazu bei, dass ich aphatisch auf dem Tandem hänge und mir nicht
mehr so viel Sorgen mache, sondern mich drauf konzentriere, das was ich
im Dunklen sehe wahrzunehmen und zu hoffen, dass unsere nächste Bleibe
eine warme Dusche hat.

Inzwischen hat sich auch das Tal, das wir durchqueren, verändert. Es ist
wilder, mit einem Fluss auf der linken Seite und Felsen auf der rechten
– und ziemlich grossen Schlaglöchern. Daniel sucht immer die optimale
Linie und wir stehen teils beide (Kurbel waagrecht) und donnern den Weg
hinunter. Ich bin wirklich beeindruckt, was Daniel aus seiner kurzen
Mountainbikekarriere mitgenommen hat – und natürlich, dass ich das so
hautnah (und fast ohne nennenswerte Gefahren) miterleben darf.
Letztendlich bin ich jedoch auch sehr froh, als wir durch einen
komfortablem Tunnel fahren – mit Licht, Betonboden und ohne Wasser
überall und dieser uns direkt in eine Stadt spuckt.

Mein Fazit: Achterbahn fahren braucht kein Mensch – Downhill á la Tandem
birgt genügend Magenziehen- und Adrenalinmomente für mich.

Daniel zieht seine Stirnlampe aus und meint: „40km Offroad waren echt
anstrengend so für den Kopf, ne.“ Ich nicke zustimmend und denke: „Für
meinen Adrenalinspiegel auch.“