Mein letztes Jahr war geprägt von einem für mich persönlich ganz neuen Thema: Flüchtlinge. Nicht, dass ich nicht gewusst hätte, dass viele Menschen in ihrer Heimat keine Sicherheit, keine Perspektive, keine Zukunft mehr sehen und dieses deshalb verlassen. Das wusste ich natürlich aus den Medien. Was ich nicht kannte, waren die einzelnen Geschichten dahinter, die Persönlichkeiten, die Schicksale, die Menschen.
Dies änderte sich schlagartig als Freunde und ich Anfang 2015 den GemeinsamGarten gründeten. Die Idee war Nachhaltigkeit mit der Flüchtlingsarbeit zu verbinden. Menschen zusammenzubringen. Nicht über viele Worte und Diskussionen. Sondern einfach und ohne viel Geplapper. KonstanzerInnen und Geflüchtete gärtnern zusammen, lernen voneinander, lernen einander kennen, bauen zusammen etwas auf. Wir hatten Glück, bekamen Hilfe von überall, fanden Menschen, die zusammen mit uns in diesem Projekt arbeiten wollten. Wir organisierten, redeten, harkten, schufteten, säten, hackten, ernteten und lernten einander kennen. Ich sah die Entwicklung: Geflüchtete, mit denen ich mich am Anfang nur über Gesten unterhalten konnten, waren 6 oder 8 Monate später in der Lage mit mir ein Gespräch auf deutsch zu führen. Sie erzählten mir von ihrem Alltag in Deutschland, der Fluchtroute, ihren Familien, die sie in ihren Heimatländern zurücklassen mussten.
Ich persönlich schloss eine besondere Freundschaft zu zwei Afghanen. Nennen wir sie Amit und Jamil.
Amit, 21, ein junger feingliedriger Mann mit traurigen Augen und trockenem Humor. Afghane, allein in Deutschland, von seinem Vater hierher geschickt, damit wenigstens einer aus der Familie weiterleben kann. Fluchtroute über Ägypten, Griechenland, Deutschland. Auf dem Weg hat er sich schwere Verletzungen zugezogen. Körperliche, aber auch psychische. Kurz nachdem ich ihn kennenlerne, muss er eine Therapie machen. Zu grausam ist das, was er erlebt hat, zu sehr fehlt ihm die Familie, zu unterschiedlich sind sein Heimatland und Deutschland. Ich stelle mir ihn gerne vor, wie er in den Walnussplantagen seines Vaters in Afghanistan umherreitet und die Bäume nach einem langen Tag kontrolliert. Er hat mit 12 angefangen zu arbeiten. Hatte 3 Jobs gleichzeitig, hat hart gearbeitet, schnell gelernt, war fleissig und immer für seine Familie da. Und dann kommen die Unruhen im Land. Er muss weg. Er tauscht sein Pferd gegen einen Ring. Der ist besser zu transportieren. Zieht los. Allein. Landet schlussendlich in Konstanz, Deutschland. Nun geht er wieder zur Schule. Den ganzen Vormittag und zusätzlich nachmittags. Er will schnell die Sprache lernen. Sein Traum ist Apotheker zu werden. Er weiss das ist ein langer Weg und harte Arbeit.
Und da ist Jamil, 38, etwas kleiner und stämmiger als Amit. Er ist ein ruhiger, intelligenter und zuvorkommender Mensch. Von der Ausbildung her Anwalt, er hat 10 Jahre für die UN in Afghanistan gearbeitet und somit den Zorn der Taliban auf sich gezogen. Er ist ein Verräter und wurde deshalb mit dem Tod bedroht. Er musste weg. Und seine ganze Familie zurücklassen, seinen schlaganfallgeschädigten Vater, seine Brüder, seine Frau und seine Töchter. Er spricht kaum darüber. Er fragt viel, ist wahnsinnig interessiert an der deutschen Kultur. Er übernimmt gerne Aufgaben und bedankt sich überschwänglich für die kleinsten Hilfen, die ihm gegeben werden. Und sein Lachen ist ansteckend. Er kann sich unglaublich freuen. Und er ist super eloquent und findet für jede Situation die richtigen Worte. Er hat z.B. Weihachten 2015 mit mir und meiner Familie verbracht. Durch seine freundliche, humorvolle und herzliche Art hat er es geschafft uns das friedlichste Weihnachten zu bescheren, das unsere Familie je erlebt hat. Und er hat eine rührende Ansprache gehalten, in der er uns gedankt hat, dass er dabei sein durfte – obwohl wir ihm dafür zu danken hatten.
Warum ich das alles schreibe? Weil ich möchte, dass „diese Flüchtlinge“ Gesichter bekommen. Das sind Menschen, die alles verloren haben und trotzdem mehr als bereit sind zu geben. Ich bin immer wieder beeindruckt, wieviel Herzenswärme mir entgegenschlägt. Von Menschen, denen alles genommen wurde und die gute Gründe hätten zu misstrauen und zu verurteilen. Trotz der Grausamkeiten, die sie erlebt haben und den Traumata, mit denen sie zu kämpfen haben, sind sie bereit zu teilen, sind voller Dankbarkeit und Bescheidenheit. Jedes Mal, wenn ich in die Flüchtlingsunterkunft zum Essen eingeladen werde, wenn wir zusammen etwas unternehmen, uns treffen, überkommt mich ein Gefühl der Freude. Ich habe dann das Gefühl hier echte Freundschaft zu erleben und weiss, ich könnte jederzeit um Hilfe bitten – wenn es in ihrer Macht stünde, würden sie es für mich tun.
Was ich damit sagen will: In meinem Umfeld gibt es keinen einzigen Geflüchteten, der nicht dankbar ist, dass er in Deutschland Sicherheit findet. Alle sind unendlich dankbar, für das was Deutschland ihnen gibt. Sie verurteilen Kriminalität und Gewalt auf das Schärfste, weil es genau das ist, was sie aus ihren Ländern vertrieben hat und sie dies niemandem wünschen. Sie sind empört über das, was in Köln passiert ist und wie ich auch, sehen sie darin eine kriminelle Minderheit, die sich nicht integrieren will. Der Grossteil will friedlich in unserem Land leben. Und sie wollen unsere Sprache lernen, mit uns zusammen leben, mit uns arbeiten. Sie haben noch nicht verlernt sich wirklich für andere zu interessieren, zu helfen, sich zu kümmern. Ich denke das kann unserer Gesellschaft aus Individualisten nur gut tun.
Lasst uns offen sein für diese Menschen. Für diese neuen Freunde. Sie sind eine Bereicherung.
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