Unser 30 Tage Visum ist irgendwann zu Ende und kaum zu glauben – China auch. Wir haben wirklich nur einen kleinen Teil dieses immensen Landes gesehen, nur einen Hauch einer Ahnung davon bekommen, was es bedeutet fast dreimal so viele Menschen, wie in ganz Europa leben in einem Land zu vereinen. Wie haben wir China erlebt?
China ist seit langem das erste Land, in denen ich stark mit meinen Vorurteilen kämpfe. Dreckig, mit eiserner Hand von einer repressiven Regierung geführt, Städte, die im Smog versinken, gierige Geschäftemacher. Ungefähr so sieht mein Repertoire aus. Und wieder: es ist ein leichtes für die Chinesen mir die meisten dieser Fehleinschätzungen zu nehmen. Und das geht so:
Wir sind wirklich nicht die einfachsten Hostelgäste, wenn wir ein Tandem und Ausrüstung im Wert von mehreren tausend Euro zu versenden haben. Dann wäre da noch das Problem, dass wir uns mit den meisten Chinesen nur über den Translator unterhalten können. Wir brauchen also eine Menge Hilfe. Und dabei lernen wir den wohl beeindruckendsten Charakterzug der Chinesen kennen: Nicht aufgeben. Unser Hostelteam sitzt stundenlang mit uns an der Rezeption, ruft Expressunternehmen an, verhandelt Preise, schreibt uns einen Zettel in chinesischen Schriftzeichen, mit dem wir unsere Zugticket buchen können. Auch wenn das alles ewig dauert, zwei verschiedene Expressunternehmen kommen müssen, um das Rad zu vermessen, obwohl man mit uns zum Recyclinghof muss, um Verpackungsmaterial zu holen – man verliert nie die Geduld. Man geht sogar noch die Extrameile für uns, packt beim Aufladen des Tandems mit an, kümmert sich über das chinesische WhatsApp WeChat darum, dass auch sicher die richtige Adresse angegeben ist, etc., etc. Und am Ende nimmt man nicht mal unser Trinkgeld an, sondern arrangiert es so, das damit unser Taxi zum Bahnhof bezahlt wird. Wir sind geplättet.
Auch bei unserer Reise ohne Tandem erleben wir immer und immer wieder, dass man versucht uns zu helfen. Man nimmt uns (manchmal wörtlich) an der Hand, indem man uns den Ticketschalter in der Metrostation zeigt, weil wir kein passendes Kleingeld haben, uns in den richtigen Bus setzt oder einfach so lange fragt, bis man ganz sicher ist, dass wir genau diese Suppe wollen. Zu einem Teil ist dieses Verhalten vielleicht der Tatsache geschuldet, dass man einfach auch nichts falsch machen will – z.B. wenn die Bahnbeamte uns genau die Plätze zeigt, auf denen wir liegen sollen – besonders weil man sich bewusst ist, dass wir verloren sind inmitten chinesischer Schriftzeichen. Aber es ist eben auch die Hingabe zu spüren, mit der man es ganz richtig machen will.
Die schlägt dann manchmal in eine Art Unflexibilität um. Besonders bei Staatsbeamten, die allerlei lustige, unsinnige Dinge mit uns treiben an den Grenzen. Überhaupt ist gegen Regeln verstoßen oder sie ein wenig biegen hier im Gegensatz zu Zentralasien, gar nicht mehr in. Außer im Straßenverkehr, da gilt immer noch das Recht des Stärkeren und ich bin ein paarmal erstaunt wie knapp man meinen Fuß verfehlt, während ich über einen Zebrastreifen laufe und die Fußgängerampel grün ist.
Aber dass nette Menschen sich in Autos in totale Monster verwandeln können, kennt man ja auch aus Deutschland. Eine gewisse Distanziertheit nehmen wir aber auch ohne Auto wahr. Die Chinesen lassen einen nicht gleich so an sich heran. Man ist freundlich, aber reserviert. Ich denke so müssen sich viele Ausländer in Deutschland fühlen. Und wir merken den Unterschied erst in Laos, als man uns wieder so herzlich aufnimmt. Aber ist ja auch nichts dabei erstmal etwas auf Abstand zu sein. Man gibt uns trotzdem das Gefühl willkommen zu sein und das reicht völlig.
Auffällig finden wir außerdem die Töne. Man schlürft gerne seine Suppe lauthals, schmatzt beim Essen, holt sich den Schleim geräuschvoll aus der letzten Ecke und wenn man etwas zustimmt, dann gibt das einen langen, nicht enden wollenden uhhhhhhh-Ton. Außer dem spucken ist alles irgendwie knuffig und wir müssen uns die zarten Anfänge von Schlürfen erst einmal wieder abgewöhnen, als wir in Laos sind.
Nach dem Iran, der Türkei und vielen Teilen Zentralasiens sind wir sprachlos angesichts der Sauberkeit von China. Es liegt kein Müll rum, bis auf die Toiletten sind Orte meist sauber. Wir kommen seit langem mal wieder an einem Nationalpark ohne Müllberge vorbei und wir sehen dauernd Armeen von Menschen die Straße fegen. Auch eine Art für Beschäftigung zu sorgen, denn die Menschen schmeißen ihren Müll immer noch auf die Straße – er wird einfach gleich wieder weggekehrt.
Oft denken wir auch darüber nach, dass es gerade für die naturliebenden Chinesen schrecklich sein muss, was der „wirtschaftliche Fortschritt“ mit ihrem Land macht. Chinesen lieben Parks und jedes noch so kleine Stück grün wird genutzt und gepflegt. Den blauen Himmel unter dem ganzen Smog nicht mehr erkennen zu können und die damit verbundene Belastung der Atemwege, bei der man das Gefühl hat nach Abgasen stinkende Saunaluft einzuatmen, muss die Bewohner traurig stimmen.
Sonst sehen wir ein Land im Aufbruch, die Straßen sind super, auch auf dem Land, überall wird gebaut. Die Regierung steht vor der riesigen Aufgabe dabei alle Menschen mitzunehmen. Wenn man meinen Kommilitonen glaubt, dann hat die Regierung einiges getan, um die Lebensbedingungen vieler, vieler Chinesen zu verbessern. Und es stimmt, es gibt weniger hungernde Chinesen, trotzdem gibt es sicher noch viel zu tun. Gesundheit ist teuer und wir sehen viele kleine Kliniken, in denen Menschen gegen Vorkasse behandelt werden. Die zahlreichen Cafes, die horrenden Eintrittspreise zu den Attraktionen und die riesigen Malls lassen auch auf eine aufstrebende Mittelklasse schließen. Oder auf eine reiche Oberklasse, dazwischen wenig und dann eine große Masse an Chinesen, denen es okay geht. Kann man sehen wie man will.
Wir sind jedenfalls beeindruckt von der chinesischen Genauigkeit, der Effizienz und der Langmütigkeit, mit denen viele die Regierung hinnehmen. Was soll man auch machen – war halt schon immer so. Nicht hinnehmbar finden wir, dass Mao, der durch seine haarstreubende Politik mindestens 45 Millionen Tote zu verschulden hat, immer noch gern als Nationalheld gefeiert wird und man sich schon fragen muss, was diese unaufgearbeitete Ungerechtig- und Grausamkeit mit den Chinesen heute macht. Und wie die Partei ihre Linie angesichts der Mobilität gerade der jungen Generation weiter aufrecht erhalten will. Obwohl es chinesische Substitute für YouTube, Facebook, Twitter gibt und alle VPN Services gesperrt sind, sobald man sich innerhalb des Landes aufhält, finden Menschen immer einen Weg sich zu informieren, sich auszutauschen, sich zu organisieren. Jüngstes Beispiel dafür ist der Iran, in dem es Demonstrationen gegen die Regierung gibt. Aber vielleicht reicht auch der wirtschaftliche Aufschwung Chinas, das spätesten 2020 die größte Volkswirtschaft der Erde sein wird, um die Parteilinie, die keinen Wert auf unabhängige Berichterstattung oder Meinungsfreiheit legt, zu legitimisieren. Man darf gespannt sein.
Danke China.
Buchempfehlung: Wilde Schwäne, die (wahre) Geschichte von drei Generationen chinesischer Frauen. Danke Doro für den Tipp!
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