Traditionelle chinesische meets Schulmedizin

In Ürumqi muss die Antonia wegen Schmerzen im Unterbauch zum Arzt. Davor schlägt aber mal wieder der Zufall zu und wir kommen nicht nur in den Genuss eines wunderbaren Hosts, sondern auch in den einer Erfahrung in chinesischer Medizin.

In Urümqi angekommen teilen wir uns ein privates Taxi mit zwei Chinesen und da wird dann auch schon das Handy gezückt und ein paar Selfies geschossen. Das kennen wir doch irgendwoher. Menschen sind eben gar nicht so verschieden. Dann sind wir auch schon bei unserem Airbnb Host Wei angekommen, bei dem wir die nächsten drei Nächte verbringen werden. Er ist ein freundlicher und sanfter Mann, dessen Augen fast ganz verschwinden, wenn er lächelt, was er oft tut. Er lebt mit seiner Frau Suen und seiner kleinen Tochter Hsuan in einer hübschen, warmen Wohnung und wir fühlen uns sofort willkommen und zuhause. Er wird in den nächsten drei Tagen immer ein anderes, leckeres chinesisches Frühstück für uns zubereiten, uns jeden Abend zum Abendessen mit einladen und sonntags (er arbeitet jeden Tag) nimmt er uns mit in seine Praxis, die nach den Prinzipien der traditionellen chinesischen Medizin arbeitet.

Dort erwarten uns ein paar quirlige, aufgeschlossene Frauen, ausgebildete TCM Lehrerinnen, die die Behandlungen durchführen, während Wei sich um die Administration und den Online-Shop (für alle die des chinesischen mächtig sind) für traditionelle Heilmittel kümmert. Er fragt, ob wir irgendwelche Beschwerden haben und tatsächlich habe ich seit über einer Woche das Gefühl eine Blasenentzündung zu haben. Da trinken nicht hilft, wollte ich damit einmal zum Arzt. Wei nickt wissend als er die Übersetzung auf seinem Smartphone anschaut.

Ich darf eine der Lehrerinnen in eines der Behandlungszimmer, die für mehrere Patienten ausgelegt sind, begleiten. Ich muss mich bis auf die Unterbüxe ausziehen und mit dem Bauch auf die Liege legen. Erst als man mir die Handtücher über den Rücken legt und eine Flüssigkeit auf dem obersten verteilt, wird mir so langsam klar, was gleich passieren wird. Daniel meint noch lapidar: “Deine Nachbarin brennt.” und ich muss den jahrtausendealten Fluchtreflex unterdrücken der sich gerade meiner Beine zu bemächtigen versucht und mich gleichzeitig dafür verfluchen, dass ich immer alles ausprobieren muss. Ich höre das klicken des Feuerzeug und die Flammen, wie sie um meine Ohren züngeln. Das erste Mal spüre ich noch wenig Wärme, wenn die Lehrerin die Flammen mit einem weiteren Handtuch erstickt. Sie wiederholt die Prozedur jedoch einige Male und die Hitze kommt jedes Mal stärker bei mir an, bis mir echt der Rücken brennt. Ich teile mit, dass es ganz schön heiß ist, man sagt mir aber das würde mir gut tun, mein Körper müsste gewärmt werde, ich würde kaltes Wasser schwitzen. Aha. Ich vertraue wie immer darauf, dass die Menschen mir nur gutes wollen und entspanne mich. Nach der Hitzebehandlung bekomme ich eine Mixtur aus 46 Kräutern auf den Rücken aufgetragen und während diese einwirken, wird mein Gesicht mit frischen Weizenkeimen behandelt.

Nach dem allem frage ich Wei, ob ich ihm oder Lily, der Lehrerin etwas dafür geben kann – er will jedoch nichts nehmen, sondern sagt einfach: ”Wen du wirklich etws geben willst, dann nimm traditionelle chinesische Medizin mit nach Hause und teile sie mit deiner Familie und deinen Freunden.” Ich denke beeindruckt: Ein Mensch, der für seine Sache brennt und dem es nur am Herzen liegt, das Wissen und die Heilung zu anderen zu bringen. Als ich Wei später nach seinem Glauben frage, antwortet er mir genau das: “Die Menschen um sich herum gesund und glücklich halten.” Dass das nicht nur ein Spruch ist, sieht man auch daran, dass seine Mitarbeiterinnen alle ihre Kindermit bei der Arbeit haben, egal wie alt diese sind. Das nenne ich ein familienfreundiches Konzept.

Wir sind insgesamt 3 Stunden in der Praxis und der arme Daniel langweilt sich schrecklich nach einer Weile, als die Aufregung sich darüber legt, dass seine Freundin in Flammen steht. Und so beschließen wir noch auf einen heiligen Berg zu klettern. Als der eisige Wind uns draußen begrüsst, ändern wir jedoch den Plan, schürfen ein Süppchen und watscheln nach Hause. Ich muss dann erstmal 2 Stündchen schlafen, mein Körper ist erschöpft. Wir verbringen alle zusammen einen schönen Sonntagabend mit Litschies und gemeinsamen im Wohnzimmer lümmeln.

Trotz der TCM Erfahrung hatte ich beschlossen meine Beschwerden nochmals von einem Artzt abklären zu lassen, denn die Blasenentzündung hatte ich mir ja selbst diagnostiziert. An diesem Montagmorgen war die internationale Klinik in Ürümqi wieder geöffnet. Da wir kein chinesisch sprechen, wäre ein normales Krankenhaus eine kaum überwindbare Hürde für uns geworden und Wei wollten wir nicht nach Hilfe fragen, weil er es als Herabsetzung seiner Herangehensweise hätte verstehen können.

Wir machten uns also mit Sack und Pack auf, landen leider erst einmal in der falschen Außenstelle des Krankenhauses und fahren so 1 Stunde mit dem Taxi durch die Stadt. In der eleganten Empfangshalle werden wir von einer englischsprachigen Chinesin empfangen und in den 5 Stcok verfrachtet, wo uns der chinesischstämmige Amerikaner Chris sofort  empfängt. Ich schildere meine Beschwerden und es ist herrlich, dass er besser english spricht als ich und ich so alles genau erklären kann. Schmerzen im Unterleib und ein dauerndes Pipi-Gefühl. Er hält meine Vitalzeichen fest, tastet meinen Unterbauch ab und lässt mich einen Urintest machen. Während wir auf die Ergebnisse des Urintests warten, plaudern wir ein wenig und wir erfahren, dass Chris in New York geboren ist, jetzt ein Häuschen in Minnesota besitzt, seine Kinder in China zuhause unterrichtet, da in Xinjiang keine ausländischen Schulen erlaubt sind und dass er nächstes Jahr wieder in die Staaten zieht, weil sein ältester Sohn das College besuchen wird. Nach einem Jahr möchte er dann gerne wieder zurück nach China, weil die Menschen hier so freundlich sind. Vieleicht zieht er aber auch nach Taiwan, um seine älter werdenden Eltern zu versorgen.

Da Chris montags immer fastet und auch sonst nicht so viel in der Kantine ißt, fragter uns, ob er uns zum lunch einladen darf. Wir sind begeistert und so bekommen wir ein leckeres chinesisches Mittagessen. Als wir wieder oben in dem geschmackvoll eingerichteten Gang mit den plüschigen Sesseln stehen, erklärt mir Chris, dass mein Urintest normal sei und ich auch nicht schwanger sei. Er wüsste nicht ob ich das wüsste, aber dies sei eigentlich eine Fertlilitätsklinik und deswegen eigentlich keine gute Nachricht. Jetzt sehe ich auch überall die Babybilder und verstehe die schnike Einrichtung. Ich muss noch zum Ultaschall, bei dem nur Frauen anwesend sind, weil es in China kulturell nicht angebracht ist, dass Männer Frauen am Uterus untersuchen. Komisch, weil Frauen tasten Männer ganz selbstverstänlich bei den Sicherheitskontrollen ab.

Als die Schwester Chris die Ergebnisse zeigt, sagt er: “Antonia, du hast eine Zyste.” Ich bin schockiert und in sekundenschnelle versucht mein Kopf die Reichweite dieser Worte zu erfassen. Ich sehe mich in einen Flieger steigen und nach Deutschland fliegen. Dabei denke ich, mist, ich wollte doch nicht fliegen. Ich sehe wie Daniel das Tandem in Jinghong abholt und mir nachkommt. Dann schaue ich zum echten Daniel neben mir. Der ist käseweiß und weiß nicht was er sagen soll. Ich berühre seine Had und lächle ihn aufmunternd an.

Chris hat inzwischen weitergeredet, wann denn heute abend unser Zug ginge und ob wir nicht noch in ein Cafe wollten, er könne uns eines empfehlen. Ich finde meine Sprache wieder und frage ihn, ob eine Zyste nichts schlimmes sei. Er sagt, achso nein, das sei normal vor der Monatsblutung und die Größe sei auch nicht ungewöhnlich. Ich solle nicht erschrecken, wenn es nochmal richtig weh täte, das wäre manchmal der Fall, wenn diese platzen. Meine Kopf ist immernoch in Watte gepackt und ich realisiere nur, dass er nichts von nach Hause fliegen, Operation oder Besorgnis sagt. So langsam lässt meine Panik nach und ich verstehe, dass alles okay ist. Chris hingegen ist so feinfühlig zu bemerken, dass ich verstört bin und druckt mir neben dem Befund eine Info über diese speziellen Zysten aus und gibt sie mir mit.

Wir sammeln unsere Sachen zusammen und verlassen diesen gemütlichen Ort und Chris, wieder so ein Mensch, der mehr für uns getan hat, als er hätte müssen. Ich bin beruihgt zu wissen warum ich Schmerzen habe und auch, dass ich das richtige Körpergefühl habe, zu wissen, wenn etwas ander ist als sonst.

Wir eiern zu einem Cafe und erholen uns ein wenig von den letzten beiden Tagen. Angezündet worden, Zyste entdeckt, von alles-ist-vorbei zu alles-ist-gut in weniger als 24 Stunden. Das ist ein wenig viel und auch wenn es völlig unberechtigt ist, fühle ich mich wie neu geboren. Ich bin voller Dankbarkeit und bin wieder daran erinnert worden, wie wichtig es ist einfach gesund zu sein. Das vergisst man ja gerne mal.

Dann geht es wieder los. Wir essen zu haben, fahren zum Bahnhof, warten in den ewigen Schlangen der beiden Sicherheitskontrollen, kaufen noch eine Fahrkarte, die wir in zwei Wochen brauchen werden und landen dann völlig erschöpft in unserem Luxus-Softsleeper-Apartment. Wir sind fertig, aber ich kann nicht schlafen, meine Schmerzen sind extrem, ist aber auch kein Wunder, man hat den gannzen Tag fies auf dieser Stelle herumgedrückt. Ich beruhige mich damit, dass ich sicher mal irgendwann auf der 36-Stunden-Fahrt schlafen kann.

Was hat mir nun also geholfen? Die Behandlung nach traditionell chinesischer Art war sicher wunderbar für meine Kälteempfinden. Mein Körper wurde so richtig aufgeheizt und ich hatte nachher ein wohliges Gefühl. Aber ganz beruhigt war ich eben nicht, weil ich die Diagnose selbst gestellt hatte. Hier hat mir die Schulmedizin weitergeholfen, weil man wirklich sichtbar machen konnte, was mir fehlt.  Eins ist sicher: Interessant waren beide Erfahrungen.

Eines muss ich noch loswerden: wer sich für die Region Xinjiang im Allgemeinen interessiert und einen Einblick in diese komplexe Gesellschaft durch die Brille eines britischen Lehrers haben will, dem sei das Buch „The tree that bleeds“ von Nick Holdstock empfohlen.