Finally the Pamirs #2

Nach der Erholung in Murgab starten wir zur Bezwingung des letzten großen Passes im Pamir, dem Ak Baital auf 4655 m. Die drei Tage, 250 km und 2000 Höhenmeter kommen uns wie eine Ewigkeit vor. Nicht nur die Höhen und Tiefen der Täler und Pässe, sondern auch die mentale Achterbahn schüttelt uns nochmals kräftig durch.

Wir entschließen uns vor dem großen Pass nochmals zu campen, um die 1000 m Höhenunterschied ab Murgab nicht an einem Tag machen zu müssen. Sonst laufen wir wieder Gefahr aufgrund des Höhenunterschieds wieder herunterfahren zu müssen, um nicht zu riskieren doch noch von der Höhenkrankheit erwischt zu werden. Wir strampeln den ganzen Tag gemütlich unsere 500 Höhenmeter und finden abends einen schönen windgeschützten Platz an einem Fluss, nachdem wir sogar 2 km zurückgeradelt (kommt sonst nie vor) sind, um dem Wind weiter oben zu entfliehen, der über die Ebene peitscht. Wir sind ein Basecamp aus 4 Radlergrüppchen an diesem Abend, doch aufgrund der Temperaturen liegen wir alle mit dem letzten Licht in unseren Zelten.

Für Daniel wird die Nacht unruhig uns morgens wird klar warum: das Thermometer zeigt -11,5 Grad an, mein Schlafsack ist übersät mit Eisstückchen und das einzige Wasser, das wir noch trinken können, sind die 1,5 Liter, die mit in meinem Schlafsack waren. Alles andere ist knüppelhart durchgefroren.

 

Wir packen unsere Sachen zusammen und starten erstmal, frühstücken wollen wir immer erst später. Mit Sonne. Wir haben zum ersten Mal alles an, was wir haben. In meinem Fall bedeutet das: 2 Hosen, ein Thermounterhemd, ein T-Shirt, ein Fleece, eine Daunenjacke und meine Regenjacke als Windbreaker. Außerdem meine Überschuhe, Handschuhe, Mütze und Buff um den Hals. Allein der Widerstand der Klamotten ist hart zu überwinden, dann geht es noch bergauf und die Kälte nagt an allen uneingepackten Hautpartien. Nach unserem Frühstück in der Sonne fahren wir noch ein paar Kilometer, bis der steile Part des Ak Baital beginnt.

Schon am Fuss des Passes fühle ich die Kraft aus meinen Beinen schwinden. Es ist so kalt, dass trotz der beiden Hosen, die ich trage meine Muskeln völlig hart sind und meine Füße zwei lasche, eiskalte Fleischklumpen, die in meinen Schuhen hängen. Wir drücken den ersten harten Anstieg hoch. Die Höhe meldet sich nun in Form von dünner Luft und wir müssen die bitter kalte Luft durch unsere offenen Münder einziehen, um genug Sauerstoff in unsere Münder zu pumpen. Ich kann die kalte Luft bis in meinen Bauch spüren und nach dem zweiten harten Anstieg muss ich Daniel bitten anzuhalten. Als wir stehen wird mir augenblicklich schlecht und die Welt flimmert grell in Schwarz und weiss. Ich springe vom Rad und lasse mich auf meine Knie falle. Ich atme tief und gleichmäßig, bis ich nicht mehr das Gefühl habe ohnmächtig zu werden und steige wieder aufs Rad. Wir fahren nochmals 500 m bergauf, bis wir wieder halten müssen. Ich habe das Gefühl mich übergeben zu müssen. Also wieder auf die Knie, Kopf vornüber, atmen. Daniel sagt, dass wir das Tandem schieben sollten. Ich stimme zu, stehe auf und will schieben, mein Körper antwortet mit einer weiteren Welle an Übelkeit und schwanke wieder. Daniel sagt er könne das Tandem allein schieben, er fühlt sich gut. Also beginne ich stur und langsam die letzten 1,6 km und 120 Höhenmeter den Pass hochzulaufen. Schritt um Schritt. Die Welt ist wie in Watte gepackt, mein Kopf leer, ich weiß nur, dass ich über diesen Pass möchte.

Ich höre Daniel hinter mir keuchen, weiß aber, dass ich ihm nicht helfen kann, wenn ich es über den Pass schaffen will. Als wir oben sind, bitte ich Daniel mir von dem Traubenzucker zu geben, den wir seit Deutschland mit uns herumschleppen und der ironischerweise “Disziplin extra” heißt und von Marcus wohl eher als Gag gedacht war. Daniel stopft mir fast die ganze Packung in den Mund und wir treten die Abfahrt an. Hamsterbackig sitze ich hinten auf dem Rad und merke mit jedem Meter und jedem “Disziplin extra”, das in meinem Mund schmilzt, wie es mir besser geht. Als wir unten am Pass ankommen, bin ich schon wieder quietschfidel und kann rumspringen, Daniel ein Snickers reinstopfen und für das Passfoto lächeln.

Das war wieder eine Lektion in Teamarbeit für uns. Ich habe Daniel vor dem Pass einen heißen Kaffee und ein energiereiches Frühstück kredenzt, er hat das Tandem allein 1,6 km den Pass hochgeschoben. Er ist aus unerfindlichen Gründen stolz auf mich, dass ich nicht zurückwollte, sondern stoisch den Berg hinauf gestiefelt bin und ist euphorisch, dass wir den Pass gemeistert haben. Wir taumeln vor Freude und setzen uns in unglaublicher Szenerie wieder auf das Rad.

Zu früh gefreut, wir hätten es wissen müssen. Es ist der Pamir. Hier durchlebst du binnen eines Tages alles von himmelhochjauchzend, bis hin zutodebetrübt, von Zufriedenheit, über heiße Wut und schmollenden Trotz, jede Gefühlslage. Hinter dem Pass beginnt nämlich das Waschbrett. Der gefürchtete Untergrund eines jeden Radlers. Kurze, harte Wellen in der Dreckpiste, die dir nicht nur die Handgelenke mit Schlägen ruinieren, sondern auch deine Knie. Du kannst nicht mehr sitzen und wenn du es doch versuchst, crashst du voll auf den Sattel. Der psychologische Effekt ist auch nicht zu vernachlässigen. Man wird fuchsteufelswild und Daniel flucht am laufenden Band, was ich überhaupt nicht von ihm gewohnt bin. Das macht mich wiederum wütend, weil ich mein Leben nicht so einem kleinen Rumpelstilzchen anvertrauen will. Bumm, der nächste harsche Wortwechsel ist keine 10 km hinter dem Pass, an dem wir gerade unsere Teamfähigkeit gefeiert haben, vorprogrammiert. Wir kämpfen uns weiter und erreichen den rettenden Asphalt. Da gibt es erstmal Mittagessen, bevor wir uns den kleineren Anstiegen an diesem Tag stellen.

Als auch diese geschafft sind, ist da nur noch der Wind, der uns abhalten könnte unsere Tagesetappe friedlich zu beschließen. Der ist aber gnädig und kommt erst von der Seite und dann schiebend von hinten, sodass wir Karakol und den von immensen Schneeriesen umringten gleichnamigen See gegen 4 Uhr nachmittags erreichen.

Wir haben wieder einmal Glück und werden von einer herzlichen Familie aufgenommen. Wir dürfen Tee trinken, mit den bezaubernden Kindern faxen machen und uns auch ein wenig auf den Matten ausstrecken, bevor es Abendessen gibt.

Als Adede hört, dass Daniel Software- Ingenieur ist, fragt er ihn wegen eines Druckerproblems um Hilfe. Leider ist das ganze Interface auf russisch, es ist ein Windows PC und wir haben kein Internet, um zu googeln, was “Einstellungen” bedeutet. Die Hilfsaktion findet ein jähes Ende, als zuerst unser Weltadapter und dann der Drucker rauchen, weil die Spannung des Generators unreguliert in die Geräte gefahren ist. Es tut uns unendlich leid für Adede, der den Drucker ganz neu hat und ihn in der Schule einsetzen will, doch bevor das Spannungsthema nicht geregelt ist, ist es auch schwer einen neuen Drucker zu kaufen, denn der könnte dasselbe Schicksal erleiden, wie der erste. Daniel ist sichtlich erschöpft von der mentalen Anstrengung und davon, dass er nicht helfen kann. Auch ich bin an diesem Abend zum ersten Mal hundemüde und fühle mich kränklich. Gulia macht dem ganzen ein Ende und scheucht alle zum Abendessen. Direkt danach fallen wir auf die bereits für uns vorbereiteten Matten und schlafen wie Babies.

Wir haben gefragt ob wir früh frühstücken können, weil wir es am folgenden Tag noch nach Kirgisistan schaffen wollen. Es ist nämlich Schnee angesagt. Gulia steht bereits in der Küche und kocht Grießbrei für uns. Wir schlagen uns in die morgendliche Kälte und auf das unüberdachte Plumsklo und bekommen die wärmende Mahlzeit vorgesetzt, während der ganze Rest der Familie friedlich schlummert. Bis auf Fatima, die auch schon auf ist und ihrer Mutter gestanden hat, dass sie gerne mit uns weiterfahren würde. Ich versuche ihr zu erklären, dass sie mit der Halskette, die ich ihr am vortag geschenkt habe, immer an uns denken kann. Sie ist ganz stark und stellt sich neben ihre wundervolle Mutter und winkt uns zum Abschied als wir losradeln.

Die morgendliche Luft ist herrlich und das Licht auch. Die Straße ist gut und so genießen wir 20km lang den Blick auf den Karakol-See und die weißen Spitzen drumherum. Dann folgen wieder kniebrechende Anstiege, harter, bitterkalter Wind, Waschbrett und eine Schiebesession kurz vor der tadschikischen Grenze. Nach der Grenze fahren wir nochmals 100 Höhenmeter und erreichen den Pass, auf dessen anderer Seite Kirgisistan beginnt. Ein neues, wunderschönes Tal öffnet sich vor uns und wir machen Pause, bevor Daniel uns die andere Seite des Passes hinunterbremst. Seine Finger sind wieder kalt und er hat alle Mühe die steilen Stellen zu überbrücken. Als wir endlich, endlich Teer erreichen nach der kirgisischen Grenze sind wir erleichtert. Doch die letzten 20 km stellen wieder unser Durchhaltevermögen auf die Probe. Der Wind fegt unerbittlich von der Seite über die Ebene und lässt uns nicht friedlich nach Sary Tash einreiten. Unsere Pos sind fertig, wir können den Wind nicht mehr hören, die Straße hält alle 20 Meter doch noch fiese Schläge für uns bereit und nach 7 Stunden Fahrzeit ist unsere Schmerzgrenze einfach erreicht. Wir kommen fertig in Sary Tash an, schaffen es noch uns in ein Guesthouse einzumieten, bevor wir erledigt auf die Couch sinken.

Wir haben ihn bezwungen den Pamir. Und das gerade rechtzeitig. Als wir nach 10 Stunden Schlaf zum Sonnenaufgang aufwachen, schneit es wie wild. Die Esel und Kühe draußen vor unserem Haus schauen uns ergeben aus den Schneetreiben an. Es ist Ende September und ich bekomme Weihnachtsstimmung. Das ist Hochgebirge. Ich bin so dankbar, dass Daniel das Wetter gecheckt hat und wir uns durchgekämpft haben. Ich weiß nicht, ob ich das letzte Stück mit Schneetreiben noch geschafft hätte. Wir haben etwas ganz praktisches gelernt: Wir laufen lieber im Gebirge, als Rad zu fahren. Das nächste Mal wird also lieber wieder gewandert.

Was ist also der Pamir für uns? Ein wunderschönes Schauspiel an Farben und Eindrücken, an lachenden Gesichtern und gefühlten Millionen von Teeeinladungen. Der Geruch von Feuer und Dung. Neben all diesen romantischen Bildern wäre da aber noch die knallharte körperliche Leistung, knochen-, rücken- und gelenkbrecherische Straßen, ständig das Gefühl grimmig voranradeln zu müssen. Die Abwesenheit von Annehmlichkeiten, der kalte, eisige Wind und jeden Morgen richtig kaputte Beine. Der Pamir ist nichts für Warmduscher. Er gibt seine Schönheiten nur denen Preis, die hart dafür arbeiten, stoisch vorantreten und sich dem Wind stellen. Manchmal ist er dann aber zahm und streichelt einem den geschundenen Rücken mit ein paar warmen Sonnenstrahlen. Oder seine Bewohner bitten dich in ihre heimeligen Stuben und teilen das mit dir, was sie dem kargen Land abringen können. Sie halten mit dir gegen den eisigen Wind und machen dir das Wasser, mit dem du morgens dein Gesicht wäschst am Ofen warm. Und das obwohl sie es vorher vom Brunnen ins Haus schleppen müssen. Das nenne ich Wärme und Fürsorge. Anstatt bei dieser feindlichen Umwelt hart und grimmig zu werden, sind die Pamiris warm und großzügig. Was eine Lektion für uns. Durch sie sehen wir den Pamir mit weicherem Blick und sind voller Ehrfurcht vor ihrem Leben in dieser Umgebung, in der immernoch die Natur bestimmt, wie das Leben läuft. Wir sind dankbar für die Erfahrung. Wir denken, dass man an Herausforderungen wächst. Wir haben auch nach 8 Jahren und vielen gemeinsamen Reisen Seiten an uns und am anderen entdeckt, die uns faszinieren, erschrecken und herausfordern. Wir wollen damit arbeiten und sehen, ob wir daran gemeinsam wachsen können. Wir werden diese einnehmend schönen Landschaften auch in Bezug auf uns selbst in Erinnerung behalten. Was bin ich fähig auszuhalten, psychisch und physisch, wieviel erschütternde Ehrlichkeit kann ich von meinem Partner ertragen und wie weit kann ich mental gehen, ohne auseinanderzubrechen.