Eigentlich sind es ja noch 3 Tage Anfahrt, bis der Pamir überhaupt losgeht, aber schon der Zubringer hat es in sich: Wir müssen einen 3200 m Pass bezwingen und uns vorher durch das welligste und schlauchzermürmendste Gelände treten, das wir bisher erlebt haben. 4 Tage und 4 Pannen später kommen wir in Kala-i-Khumb an, wo Afghanistan, das zerrüttete Heimatland so vieler lieber Freunde, im Sonnenschein auf der anderen Seite des Flusses liegt.
Voll beladen mit Proviant und Medikamenten manövriert Daniel das Tandem aus Dushanbe heraus und wir fahren durch das ländliche Tadschikistan Richtung Osten. Der erst Anstieg lässt nicht lange auf sich warten und es ist immernoch heiß, deswegen knacken wir nach dem Mittagessen mal wieder schön unter riesigen alten Bäumen in einem Teegarten. Dann winden wir uns immer weiter hinauf, bis wir kurz vor Sonnenuntergang einen Zeltplatz suchen. Gar nicht so einfach nicht direkt neben der Straße zu zelten. Deswegen schlagen wir uns einen Seitenweg hinunter und verstecken das Tandem hinter einem Dreckhügel. Gegenüber von uns, auf der anderen Flussseite baut eine italienische Firma Gestein ab und wir hoffen, dass wir nachts schlafen können. Müssen wir uns keine Sorgen machen, denn kaum 10 min später steht ein tadschikischer Polizist auf unserem schützenden Dreckhaufen und bedeutet: “Hier nicht zelten.” Daniel versucht es nochmal mit Händeschütteln und Charme, aber hierarchische Systeme kennen kein Pardon, also ziehen wir mit dem letzten Sonnenlicht ab. Wir fahren mit Licht auf der Panoramastraße über dem Abbaugebiet und anhand der Lichter können wir uns vorstellen welch zerstörendes Ausmaß der Abbau hier hat. Ein paar Kilometer weiter gibt dann auch die Strasse auf und wir müssen in finsterer Nacht entscheiden, was wir nun machen. Vor uns im dunkeln unbefahrebare Strasse, rechts unter uns der Eingang zum Abbaugebiet und weiter hinten nur Steilhänge. Ich habe ein Haus am Straßenrand entdeckt und Daniel checkt, ob jemand zuhause ist. Das Ganze entpuppt sich als Trainingscamp für die Bergarbeiter und da am nächsten Tag eh Sonntag ist, schlagen wir unser Zelt im gepflegten Innenhof auf. Nach einer kurzes Kochsession fallen wir entkräftet ins Bett und werden nachts nur einmal von einem schmatzenden Esel geweckt, der neben dem Gartenzaun auf dem trockenen Gras herummalmt.
Früh morgens fahren wir frohen Mutes los, kommen 20 Meter und haben unseren ersten Platten am Vorderrad. Daniel ist in solchen Situationen immer leicht unentspannt, ich denke unbeschwert: flicken und weiter. So machen wir das dann auch und strampeln weiter die holprigen, jedoch landschaftlich eindrucksvollen Dreckpisten entlang.
Mittags sind wir völlig erschöpft, es ist heiß und ein netter kleiner Kerl lädt uns zu sich nach Hause zum Mittagessen ein. Aller Vorsicht zum Trotz – alle haben uns geraten nichts bei den Einheimischen zu essen, um nicht krank zu werde – folgen wir ihm. Wir bekommen ein herrliches Mittagessen, dürfen im kühlen Gästeraum schlafen und können sogar noch mit ein paar Ibuprofen aushelfen. Eine der Töchter hat arge Zahnschmerzen. Als ich den verfaulten Backenzahn sehe, ist mir alles klar und wir geben neben der Dosierung für die Ibus auch noch den Hinweis, dass das keine endgültige Lösung sein kann. Zum ersten Mal lassen wir auch Geld da, nachdem man uns eingeladen hat, weil wir gelesen haben, dass die Bergbevölkerung wenig Ressourcen hat und man etwas geben kann. Wir sind froh, als Shamshidin das Geld ohne Diskussion nimmt und mal wieder erstaunt, wie erwachsen 14-jährige hier bereits sind oder sein müssen. Denn er war es, der uns eingeladen hat, uns bewirtet und mit uns gegessen hat und er ist es, der das Geld entgegennimmt, obwohl Mama daneben steht. Wir dürfen ganz natürlich wieder gehen und schleppen uns noch über eine paar Wellen und ein paar Bachdurchquerungen bis wir erschöpft halten und einen Zeltplatz suchen. Den finden wir in einem Wäldchen mit niedrigen Bäumen, auch wenn es ein Kampf ist, das Tandem dorthin zu bugsieren.
Nach einer Weile hören wir die vertrauten “Hallo, Hallo” – Rufe, die hier von allen Kindern freudig ertönen und rufen nett zurück. Die beiden Jungs kommen zu uns und fragen, ob sie uns etwas aus dem kleinen Laden mitbringen sollen. Sie wollen auch ihre Tasche dalassen als Pfand. Wir finden das süß und bestellen ganz pädagogisch unwertvoll Schokolade. “Snickers?” fragt der Kleine. Mann, das Marketing funktioniert echt. Wir sagen, es geht auch was anderes. Eine halbe Stunde später kommen die Jungs mit Schokobonbons und Glühbirne zurück. Wir treten die Hälfte als Wegbonus ab und die beiden bleiben noch ein Weilchen bei uns sitzen. Ihre Schokopapiere sammeln wir ein – Müllerziehung ist hier Fehlanzeige.
Am nächsten Morgen fahren wir ein paar Meter und bumm, nächster Platten am Hinterrad. Wir regeln das und treffen dann, wie jeden Morgen, auf die übliche Schafsherde und schauen fasziniert zu, wie sie alle an uns vorbeiziehen.
Kurz danach halten wir wieder und flicken den zweiten Platten innerhalb von 5 Kilometern an diesem Morgen. Die Stimmung ist gereizt und nach weiteren 2 Kilometern gibt es erstmal Frühstück. Mittags können wir unseren Augen nicht trauen, als wir aus dem Nichts ein Städtchen erspähen – mit riesigem Stadium. Wo es ein Stadium gibt, gibt es auch ein Restaurant denken wir – und behalten recht. Wir füllen unsere Kohlenhydratspeicher in einem herrlichen Garten unter schattigen Bäumen auf, dann heißt es wieder aufsteigen. Unser Campingplatz an diesem Abend ist schön ruhig und wir schlafen wunderbar. Dann geht es morgens an die Bezwingung des Passes.
Vier ermüdende Stunden später stehen wir auf 3252 Meter und können es nicht fassen! Wir sind oben! Zu früh gefreut. Man muss auch noch runter. Mit einem Tandem, das mit uns 180 kg wiegt, billigen Bremsbelägen aus dem Iran, zwei geflickten Reifen der hintere sogar 2x und nur einem Ersatzschlauch. Daniel kämpft heldenhaft, trotzdem holen wir uns noch einen Snakebite (zwei Löcher) im hinteren Reifen und müssen unseren letzten ganzen Schlauch anbrechen. Die Stimmung bei Daniel ist auf dem Tiefpunkt und er ist noch mehr genervt von der Tatsache, dass ich total entspannt bin. Ich seh das so: Wir haben ein Zelt, einen Kocher und genug Proviant für eine Woche. Die restlichen 24 Kilometer könnten wir auch laufen, auch wenn das natürlich ziemlich unbequem wäre. Also fangen wir zu streiten an und das wird der atemberaubendem Umgebung einfach nicht gerecht. Daniel beschwert sich, dass ich mich nie um das Tandem kümmere, ich gifte zurück und so hoppeln wir in Zeitlupe den Berg hinunter bis nach Kala-i-Khumb, wo uns bettelnde Kinder empfangen. Wir sind entsetzt. Die Kinder fragen nach Geld, sehen aber sehr gut aus und auch die Erwachsenen winken ab, wenn wir sie anschauen. Verrückt. Der Tag endet in einem niedlichen Homestay am Fluss. Der Verdruss wird am nächsten Tag ausdiskutiert und das Tndem mit neuen Bremsbelägen augestattet. Außerdem wechseln wir unseren letzen guten Schlauch von vorne nach hinten und hoffen, dass der mehr aushält. Aends fallen wir müde ins Bett, gegen morgen höre ich Daniel husten und mir schwant Übles. So ist es auch. Daniel hängt über dem Balkongelnder und erbricht das Abendessen in den Fluss darunter. Nachdem er nicht einmal Wasser bei sich behalten kann, entscheiden wir noch einen Tag zu bleiben. Am nächsten Tag können wir glücklicherweise schon weiter, da Daniel sich wieder fit fühlt, aber eines haben wir schon gelernt: Der Pamir – auch wenn es nur der Eingang ist, geht nicht nur auf das Material, sondern auch an die Grenzen. Sehen wir mal wie wir damit umgehen.
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