Georgien war ein weißer Fleck auf meiner Landkarte, jetzt bekomme ich Herzchen in den Augen, wenn jemand dieses Land erwähnt. Und das kam so:
Die fürchterliche 4-spurige Strasse am Meer entlang hört nach dem Grenzübergang, an dem uns der Grenzer freundlich anlächelt und uns in schönstem deutsch „Herzlich Willkommen in Georgien“ wünscht, sofort auf. Eine niedliche zweispurige Strasse schlängelt sich an der Küste entlang, ohne Tunnel und mordlustige Fahrer. In Georgien blinkt man sogar ab und zu, wenn man uns überholt – das habe ich seit Österreich nicht mehr erlebt.
Daniel geht kurz die Büsche beglücken und ich stehe mit dem Tandem am Strassenrand. Für ein paar Momente kommt kein Auto, es ist still, ich höre Vögel und ich rieche das Wasser, das neben mir durchs Grün plätschert. Mein ganzer Körper entspannt sich und ich bemerke wie sehr ich sie vermisst habe. Die Natur. Nach all dem Beton, dem Motorengeheul und dem verbauten Strand in der Türkei ist dieser kleine Augenblick am Strassenrand eine Wohltat. Ich bin plötzlich überglücklich, dass wir so spontan entschieden haben über Georgien zu fahren und ich spüre, wie ich Lust habe, in diesem Land all die Besonderheiten zu entdecken, die es zu bieten hat. Abenteuerlust is back, ich trete beherzt in die Pedale.
Wir fahren nur knappe 20 km und landen in Batumi, einer bunten Hafenstadt. Dort beziehen wir seit langer, langer Zeit mal wieder ein Hostel. Eine blonde Frau in einem Kleid, das ihre hübschen Beine zeigt (kurz Röcke sind back und es fällt mir auf), begrüsst uns und stellt sich als Sophia vor. Hier spüre ich zum ersten Mal die Ruhe, die der Georgier an sich ausstrahlt und fühle mich sofort wohl. Zum ersten Mal treffen wir auch ein paar andere Radler, die ebenfalls Richtung China unterwegs sind und es wird ein geselliger Abend mit vielen Geschichten.
Am nächsten Morgen starten wir Richtung Chulo, ein Bergdorf vor dem 2000-er Goderdzi Pass. Wir haben einiges über die Strassenverhältnisse gehört, z.B dass hinter Chulo eine Piste beginnt, die 50 km weitergeht. Wir sind gespannt. Zunächst kennt meine Begeisterung allerdings keine Grenzen. Grün, Wald, frische Luft, eine kleine Strasse – ich kann man Glück kaum fassen. Wir mäandern durch die satte Hügellandschaft, vorbei an kleinen Dörfern, probieren unsere neuen Sprachkenntnisse aus (Gamarjoba = Hallo) und freuen uns über die rege Anteilnahme der Georgier in den Autos, die selbst gerade auf einem Sonntagsausflug in die Berge sind.
An diesem Abend will ich unbedingt zelten, weil wir das schon lange nicht mehr in der schönen Natur getan haben, landen dann aber doch in Chulo, weil wir kein Wasser zum zelten aufgeladen haben. In der kleinen Touri-Info frage ich nach einem Homestay, da wir gelesen haben, dass Georgier auch gerne Gäste bei sich zuhause aufnehmen und man dann nicht nur mit der Familie lebt, sondern auch die wirkliche Hausmannskost von Georgien probieren kann – also los. Der bedachte Infomann muss ein wenig überlegen, bis ihm eine Familie einfällt, mit der wir uns auch verständigen können. Kurze Zeit später steht Roi in einer deutschen Trainingsjacke von einem Ringerverein vor uns und sagt: „Guckst du und wenn dir gefällt du kannst bei uns bleiben.“ Er nimmt uns mit in sein Haus, mitten in den grünen Hügeln von Chulo und wir lernen seine bezaubernde Familie kennen. Die kleinsten Kinder räumen ihr Kinderzimmer und wir dürfen dort unsere Sachen ausbreiten, dann gibt es eine Selektion an echtem georgischen Essen, die uns schier umhaut. Alles vegetarisch und hausgemacht. Wieder sind wir im Food-Himmel gelandet. Und wieder einmal bei beeindruckenden Menschen.
Roi hat eine Weile in Deutschland gelebt, ist jetzt Sportlehrer in Chulo, trainiert die georgische Ringer Nationalmannschaft und kann mit 47 immer noch drei einarmige Klimmzüge machen. Nach dem Essen sitzen wir alle zusammen im Wohnzimmer, ich zeige den Kindern meine Familie, Großmutter darf auch endlich essen, nachdem die Sonne untergegangen ist und die größeren Kinder sind dafür zuständig uns leckeren, süßen Kaffee zuzubereiten. Ich fühle mich extrem wohl im Kreise der Familie. Hier leben 3 Generationen und 2 Glaubensrichtungen sichtlich entspannt zusammen und ich wünsche mir, dass das anderswo auch so ist. In Georgien scheint Religion kein abgrenzendes Argument zu sein. In Achalziche und später in Tiflis stehen Moscheen neben Synagogen und 300 m weiter sitzt der orthodoxe Priester im Garten vor der Kirche und meditiert.
Es fällt uns schwer am nächsten Morgen aufzubrechen, so wohl fühlen wir uns. Back on track holpern wir erstmal die nun feldwegartige Straße hinunter und halten nach ein paar Kilometern, weil uns ein komisches Geräusch am Rad aufgefallen ist. Die Speichen am hinteren Laufrad sind locker und Daniel zieht sie notdürftig mit einer Zange an. Wir haben ca. noch 45 km Holperstrasse vor uns und wenn die Speichen locker werden und reißen bekommen wir einen Achter ins Rad und können nicht mehr weiter. Aber hey, mal sehen was der Tag bringt. Wir eiern an einem grossen Staudammprojekt vorbei und dann wieder durch kleine Dörfer. Die mutigen Kinder kleben alle am Zaun und schreien „Hello, hello!“ und „How are you?“. Wir quieken freudig zurück und die Lehrerinnen sind offensichtlich stolz, dass ihr Unterricht Früchte trägt. Aber auch die Erwachsenen winken oft wie wild oder werfen uns Handküsse zu – wieder einmal bin ich besonders gerührt von einem älteren Herrn der den Handkuss graziös hinter uns herschickt und dabei sein knitteriges Gesicht in eine milden Lächeln aufgeht.
Oben auf dem Pass angekommen gönnen wir uns einen Kaffee und ein paar Kekse im Restaurant „Edelweiss“ und freuen uns, dass es ab nun abwärts geht. Die Kulisse ist alpin, der Nebel hängt tief, die Dörfer erinnern uns an den Himalaya. Wir fahren noch ein paar Kilometer und suchen uns dann wirklich einen Zeltplatz, nachdem wir über Google Translate von einem Kuhhirten erfahren haben, dass es hier keine Bären und Wölfe gibt. Als wir gerade unser Zelt aufschlagen, treffen wir wieder auf zwei unserer Rad-Freunde und laden sie auf unsere Lichtung ein – und zum Bulgur-Abendessen. Wir machen gemütlich Feuer und schnaken.
Nachts wache ich auf, weil Daniel lauthals röhrt. Leider versucht er nicht die wilden Tiere fernzuhalten, sondern breitet das Bulgur über die Wiese aus. Ich versuche ihm beizustehen so gut das eben geht und hoffe, dass die anderen beiden keine Beschwerden haben – auch mir geht es gut. Am nächsten Morgen haben noch ca. 10 km Dreckpiste vor uns und ich frage Daniel, ob er sich das zutraut. Er bejaht und wir fahren los. Zum Glück geht es tendenziell bergab und Daniel meint sogar die Bewegung täte ihm gut. Als wir in Akalthike ankommen, muss er aber sofort ins Bett und wir beschließen einen Tag länger zu bleiben. Beim Abendessen lernen wir zwei deutsche Mädels kennen, die mich herrlich spontan einladen am nächsten Tag mit ihnen zu den berühmten Höhlen von Vardzia zu kommen. Die Rückfahrt muss ich einfach selbst organisieren, da sie weiterfahren. Ich freue mich riesig.
Daniel wird also mit ein paar Essensvorräten augestattet und ich mache mich auf zum Hühnerausflug. Es wird ein toller Tag mit viel Geschnatter. Wir haben sogar das Glück, dass gerade ein Tanzwettbewerb mit verschiedenen Gruppen läuft und können so ein paar der traditionellen Tänze von Georgien kennenlernen. Als ich ein paar Männer nach meinem Bus zurück nach Achalziche frage, sagen sie, dass dieser erst in 1 1/2 Stunden fährt. Das gibt mir die Zeit die Tänze zu genießen. Als ich gerade auf dem Weg bin um mir etwas zu trinken zu kaufen, packt mich einer der Männer von vorhin am Arm und schleppt mich zu einem Kiosk. Er fragt ob ich Kaffee oder Bier will. Da es gefühlte 30 Grad hat und erst 2 Uhr ist, nehme ich den Kaffee.
Mein Wohltäter Kacha erzählt mir, dass er Fußball liebt und nach und nach kommen noch ein paar mehr Männer dazu und als meine beiden Girls auftauchen, nachdem sie das Auto umgeparkt haben, werden sie auch direkt mit in die Runde genommen. Wir bekommen eine Kleinigkeit zu essen, dann schleppt man uns zur Tribüne.
In der Pause bekommen wir einen frisch gepressten Orangensaft von Kachas Stand. Er stellt mir außerdem meinen Busfahrer vor und als ich mich verabschiede, bekomme ich noch ein „Georgian Snickers“, den traditionellen Snack aus Walnüssen und Traubensirup geschenkt. Das alles wohlgemerkt von einem Mann, der vom Tourismus lebt und noch dazu an einem der touristischen Orte in Georgien. Aber so sind sie eben – unglaublich gastfreundlich!
Man hätte das als Einzelfall abtun können, aber als wir am nächsten Tag in Surami halt machen, wo es heilendes Wasser gibt, werden wir von Ia und ihrer Familie in ihrem Guesthouse ebenso verwöhnt. Sie kocht uns leckeres Essen und pflückt Rosen für uns, schenkt uns neben Socken auch selbstgemachtes Kaugummi, Tannenzapfensirup (ja wir haben tatsächlich einen ganzen Tannenzapfen gegessen) und Blütenstaub – alles, um unsere Gesundheit zu fördern. Allgemein fällt uns auf, dass die Georgier auch an touristischen Orten fast ausschließlich selbstgemachtes verkaufen: Honig, Wein, Marmeladen, Sirup, Soßen und vieles mehr. Auch hier wären wir sehr gerne noch weiter geblieben!
Wir machen einen Abstecher in Gori, um uns dort das Stalin-Museum anzusehen. Dieser ist nämlich hier geboren und nur die englischsprachige Tour vermag ein wenig an seinem Image zu kratzen, ansonsten ist das Museum ein wenig unkritisch, was die Gräueltaten des Diktators angeht.
Nach einem weiteren Tag landen wir in Tiflis, der Hauptstadt von Georgien und genießen ein wenig die Annehmlichkeiten einer grösseren Stadt, bevor wir dieses wunderbare Land verlassen.
Die Herzchen in den Augen kommen also von den saftigen grünen Hängen, den bunten Wiesen und Städten, dem überraschenden Essen, aber v.a. von den sanften, gastfreundlichen und liebenswürdigen Menschen, die nicht verlernt haben zu schätzen, was ihnen die Natur gibt. Georgien, you touched my heart!
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