Wegesrand-Initiative #4: Vielversprechende Aussichten und Permakultur

Bahadir ist nicht nur eine beeindruckende Persönlichkeit voller Humor, Energie und Ideen. Er hat auch den Mut und den langen Atem bestehendes zu hinterfragen und Neues auzuprobieren. Und das alles mit einer Gelassenheit, die tief aus dem Vertrauen in sich selbst wurzelt. Wir finden: es lohnt sich hier ein wenig tiefer zu graben.

Bahadir ist der Freund eines Freundes, dessen Nummer uns eine Freundin von mir, die ich wiederum aus dem Masterstudium kenne, gegeben hat. Als ich Bahadir anschreibe und frage, ob wir ihn besuchen dürfen, wundert er sich gar nicht, sondern lädt uns direkt ein bei seiner Familie zu übernachten – typisch türkisch könnte man sagen.

Als wir ankommen erwartet uns Bahadir bereits in Gummistiefeln unter einem Dach aus wildem Wein. Jeder schnappt sich ein Gepäckstück und wir wandern auf einem schmalen Pfad bergauf durch Haselnusshaine, an Pflaumen – und Feigenbäumen vorbei zum Häuschen von Bahadirs Eltern. Dort erwartet uns neben einer Schar Frauen, die uns herzlich willkommen heißen, drei Katzenbabies mit ihren 2 Müttern, Hühner, ein Hund und natürlich ein reich gedeckter Tisch. Wir dürfen uns gemütlich in den kühlen Schatten setzen und Bahadir übersetzt uns alle Fragen, die seine Mutter, seine Tanten und Cousinen haben.

Nachdem wir uns ausgeruht haben, nimmt Bahadir uns mit auf einen Rundgang durch den großen Garten. Er zeigt uns seine Zucchini-  Kürbispflanzen, Gurken und Bohnen, die allesamt auf kleinen Feldern inmitten der Haselnusssträucher gedeihen. Ein Feld nahe dem Wald und einem kleinen Wasserfall wurde teilweise von Wildschweinen umgegraben und Bahadir will ein Fischernetz anbringen, damit die Schweine nicht mehr durchkommen.

Er erzählt uns, wie er von seinen Tanten dafür beäugt wird, dass er keine Chemikalien einsetzt, um Schädlinge fernzuhalten und dass er ihnen verboten hat seine Felder zu betreten. Er will alles biologisch im Stil der Permakultur anbauen. D.h. mit der Natur als Vorbild und in Kreisläufen arbeiten. Er erzählt uns wie befriedigend es ist jeden Tag im Garten zu arbeiten. Bevor er wieder in seinen Heimatort zurückkam, hat er in Istanbul gelebt, hat dort als Industriekletterer, Touristenführer auf einer Yacht und als Bootsbauer gearbeitet. Dort ist er fast jeden Tag gejoggt und ist viel geklettert.

Abends nimmt uns Bahadir mit seinem Bus mit zu ein paar schönen Aussichtspunkten und es ist viel Zeit für Gedankenaustausch,  das Spinnen von neuen Ideen oder das Weiterdenken von bestehenden. Daniel und Bahadir haben sich viel zu erzählen und ich genieße es in der Zwischenzeit meinen eigenen Gedanken nachzuhängen.

Als wir bei Einbruch der Dunkelheit zurückkommen, schaut Hakan, der Mann der Cousine von Bahadir aus dem Fenster und winkt uns herein. Wir werden spontan zum Abendessen eingeladen, welches aus mehreren, leckeren Gängen besteht und wir sind beeindruckt, wie einfach es für 3 weitere Personen reicht.

Nach dem Essen drehen wir mit Bahadirs Cousine und ihrem Mann noch eine Runde durch die Stadt, schlemmen hausgemachtes Eis und schauen gefühlt der gesamten Bevölkerung von Perşembe dabei zu, wie sie ebenfalls eine Runde drehen. Bahadir erzählt uns, dass man es hier nicht gewöhnt war, dass er ab und zu joggen gegangen ist und man ihn gefragt hat, warum er das tut. Er hat es erklärt, man hat es nicht verstanden und seither lässt man sich gegenseitig einfach leben.

Zuhause trinken wir noch gemütlich ein Bierchen mit Blick auf die funkelnde Bucht von Perşembe und Bahadir versucht seinen Vater davon abzuhalten politische Diskussionen zu beginnen. Er sagt augenzwinkernd das würde die ganze Nacht dauern.

Am nächsten Morgen bin ich früh voller Energie und gehe auf die Terrasse. Bahadirs Mutter ist auch bereits wach und wir unterhalten uns prächtig, obwohl wir nicht dieselbe Sprache sprechen. Sie ist eine pensionierte Lehrerin und eine besorgte Mutter und Oma, wie sie im Buche steht. Bahadir versucht ihr bei jedem Essen klarzumachen, dass wir wirklich nicht mehr essen können als was wir uns nehmen und sie gibt meist nach dem dritten Mal auf uns noch mehr aufzutun.

Nach dem ausladenden Frühstück gehen wir in den Garten und graben ein neues Feld um. Bahadir teilt seine Ideen mit uns. Er würde gerne etwas mit Permakultur und Tourismus machen, eine kleine Bar unten an der Straße, vielleicht auch etwas mit Yoga und Permakultur, eine mobile Kletteranlage oder sein Laufprojekt weiterführen, in dem er joggen mit Sightseeing verbindet.

Wir sind begeistert und spinnen kräftig mit: hausgemachte Haselnusscreme in Pfandgläsern den Hipstern im hippen Stadtteil Moda in Istanbul verkaufen, Permakultur-Workshops anbieten, EU-Fonds abgreifen und die mobile Kletteranlage an Schulen und bei Stadtfesten einsetzen. Wir kommen aus dem Träumen gar nicht mehr heraus. Das Problem ist immer dasselbe: Geld. Er sagt er lebt hier ohne Geld  und hat auch keine Ersparnisse, die er investieren könnte. Er will einfach eins nach dem anderen angehen und sehen, ob irgendwann jemand in seine Ideen investiert.

Nach der Gartenarbeit werden wir wieder mit leckerem Esse auf der Terrasse versorgt. Die Damen fangen dann an Weinblätter mit Reis (Yaprak Sarma) zu füllen. Alles Handarbeit und fast alles aus dem eigenen Garten. Sogar die Brotplatten für den Börek werden selbst hergestellt. Wir sind mal wieder im Food-Himmel gelandet.

Nachmittags machen wir uns auf an den Strand, schauen den Fischern beim Fischen zu und Bahadir erzählt uns, dass als er klein war die Schiffe fast zusammengebrochen sind unter der Last der des täglichen Fangs. Wenn man 5 kg Fisch wollte, hat man diesen geschenkt bekommen, weil so viel da war. Inzwischen sind fast alle Fischer insolvent. Nur die großen fangen noch weit draußen. Und beachten auch die Schonzeit nicht, sodass sich die Bestände nicht erholen können.

Abends und morgens werden wir wieder liebevoll von Mami umsorgt, dann heißt es wieder Abschied nehmen. Die ganze Familie versammelt sich, um uns zu verabschieden und hier und da fließen auch Tränen. Auch uns fällt der Abschied von diesen herzlichen Menschen, dem friedlichen Leben und der natürlichn Umgebung sehr schwer. Jeder der Anwesenden drückt uns noch kleine Geschenke in die Hand, dann wird kollektiv gewunken, bis wir wirklich hinter der nächsten Senke verschwunden sind.

Wir sind wieder einmal dankbar solch wundervolle Menschen kennengelernt zu haben. Bahadir hat uns wieder so vieles beigebracht und von seiner unbändigen Energie, seinem ständigen versuchen, verwerfen, verbessern wollen wir uns ein Stück abschneiden. Er ist der Pionier, der mutig vorangeht und Dinge einfach ausprobiert. Er ist neugierig und wissbegierig und wirft sich voller Vertrauen in sich in das nächste Projekt. Manchmal scheitert er, dann lernt er und versucht es erneut. Es ist manchmal nicht einfach der erste zu sein und sich ständig zu erklären. Aber irgendwann wird es Wirkung zeigen und der Aufwand wird sich gelohnt haben. Davon sind wir überzeugt.

Falls jemand von euch Bahadir bei seinen Projekten in irgendeiner Weise unterstützen möchte, nehmt Kontakt zu ihm auf Ihr könnt ihn über Twitter oder Facebook unter „Land of Oxygen“ oder seinem vollen Namen Bahadir Elverdi erreichen. Wie gesagt, man kann viel von ihm lernen.

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