Vor unglaublichen 3 Wochen haben wir zum ersten Mal das Schwarze Meer in Karasu gesehen. Dazwischen haben wir uns immer wieder kurz von ihm verabschiedet. Nun wird es uns begleiten bis wir die Türkei an der Grenze zu Georgien morgen verlassen werden. Was ist dazwischen passiert?
Die Entscheidung nicht mehr auf der D-100 weiter um unser Leben zu bangen, führt uns über Karasu am schwarzen Meer und durch ein paar imposante Haselnusswälder nach Ereğli zu unserem Warmshower Berk, der mehr über die Geschichte des Autos weiß als alle Automuseen zusammen. Er arbeitet als Ingenieur in der Stahlfabrik der Stadt, wie die meisten, die hier leben und bedauert, dass es abends keine Möglichkeit gibt noch ein Bierchen zu zischen, weil die Stadt so konservativ ist, dass es keine Bar gibt, die Alkohol ausschenkt. Man hat uns darauf vorbereitet, dass der Osten der Türkei konservativer ist und dies ist das erste Anzeichen, das wir bemerken. Der Gastfreundschaft und den Teeeinladungen tut dies jedoch keinen Abbruch. Hier sind sich alle Türken einig.
Nach Ereğli fahren wir die einzige kleine Straße, der wir in der Türkei je begegnen werden. Sie windet sich durch kleine Dörfer und sattes Grün und wir landen in Devrek, einer kleinen Stadt im Hinterland, deren Bürgermeister für Mesud Özil schwärmt. Am folgenden Tag fahren wir durch einen engen Canyon und treffe alte bekannte wieder: Tunnel (auf türkisch: Tüneli). So süß, wie sie sich anhören sind sie nicht. Wir rüsten uns zwar mit unseren Stirnlampen aus, der Türke an sich hält jedoch nicht viel von Licht anschalten im Tunnel und so winke ich wie wild mit der Stirnlampe an meinem Arm, um auf uns aufmerksam zu machen. Das klappt mal mehr, mal weniger. Daniel hat es besonders schwer, weil er nach vorne schauen muss und nur das dumpfe Grollen hört, wenn ein Fahrzeug in den Tunnel fährt. Ein großer Lastwagen donnert schon ganz schön und wir wünschen uns unsere einsamen Tunnel in Spanien zurück, die ohne Autoverkehr waren. Wir werden ab jetzt Tunnel wieder des öfteren begegnen, weil die Küstenstraßen oft direkt am Meer verlaufen und die Spur gen Osten dann einfach direkt in den Berg geschlagen wird. Jedesmal ziemlich aufregend für uns und ein Grund eine Çayfeier einzulgen, wenn wir wissen, dass keine Tüneli mehr kommen.
Als nächstes stolpern wir wieder mal über ein UNESCO Weltkulturerbe: Safranbolu, eine ganze Stadt voller alter osmanischer Fachwerkhäuser und einst einer der wichtigsten Handelsplätze für Safran, den man hier auch gern mal im türkischen Kaffee versenkt. Wir nutzen die Gelegenheit und bleiben eine Nacht länger bei unserem Warmshower Mustafa und seiner ukrainischen Freundin Nathalie. Es ist wunderbar, welches Gespür Nathalie für Dinge hat, die Fremde an der türkischen Kultur interessant finden, weil sie selbst ständig dazulernt. Wir erfahren viel und es ist außerdem spannend einmal aus erster Hand berichtet zu bekommen, wie eine echte Ukrainerin den Krim-Konflikt sieht.
Wir strampeln uns weiter durch das Hinterland und logieren in Kastamonu ziemlich unverhofft in einer alten Karawanserei. Diese wurden in früheren Zeiten von Reisenden genutzt, um mit ihren Tieren sicher zu nächtigen. Dabei wurden die Tiere im Innenhof und dem Erdgeschoss untergebracht, während die Reisenden im Obergeschoss übernachteten. Wir fühlen uns wie in einem Märchen aus 1001 Nacht und genießen den ruhigen Innenhof, die ehrwürdige Stimmung und das Prinzessinnenzimmer.
Unsere letzte Station im Hinterland ist Boyabat. Eine Arbeiterstadt umringt von Ziegelbrennereien. Hier warten 6 junge Männer auf uns, als wir die angegebene Adresse ansteuern und dann geht es los. Man nimmt uns alle Taschen ab, trägt das Tandem die Stufen hoch, bringt uns zu Nachbarn, damit wir warmes Wasser zum duschen haben, kocht, spült und unterhält uns gleichzeitig, kredenzt uns ein leckeres Menü und führt uns dann noch zu Çay aus. Die Jungs studieren an der hiesigen Uni Bauingenieurwesen oder Wirtschaft, sind Kurden und zum Teil Erdogan-Befürworter, was das ganze noch spannender macht. Wir werden regelrecht übermannt von so viel Gastfreundschaft und Daniel muss sich erst daran gewöhnen ständig umarmt zu werden. Ich schaue amüsiert zu und wir bedauern, dass die Verständigung nur über Google Translator stattfinden kann, weil wir so gerne mehr von den Jungs erfahren würden.
Als wir völlig zerstört von so viel Aufmerksamkeit ins Bett fallen, klopft es nochmal an der Tür. Die Jungs fragen, ob sie das Angebot, das ich ihnen früher am Abend gemacht habe, annehmen können: Sie möchten das Tandem ausprobieren. Daniel geht mit ihnen nach unten, als nächstes höre ich ihn schreien. Ich springe ans Fenster und es dauert kurz bis zwei hinkende Gestalten und Daniel mit dem Tandem auftauchen. Die Straße vor dem Haus ist abschüssig, die Jungs fahren selten Rad und der Captain hat einfach die Kontrolle verloren und die beiden sind bei voller Geschwindigkeit abgestiegen. Der Bremshebel steht senkrecht ab, Daniel biegt daran herum. Ich warte bis Daniel wieder reinkommt, um die Betroffenheit der beiden nicht noch größer zu machen. Ich frage ob die Jungs ernsthaft verletzt sind, dann wird uns klar, dass eine solche Aktion leicht das Aus für unsere Reise bedeuten könnte. Wir bekommen nach Istanbul kaum noch speziellere Ersatzteile.
Nach einem wundervollen Frühstück in der Sonne, vielen Umarmungen und dem Ausschlagen des Angebots, dass man uns trotz den Prüfungen die alle an diesem Tag noch zu bewältigen haben die Burg von Boyabat zeigen möchte, steigen wir auf unser Tandem. Wir müssen allerdings gleich wieder anhalten, weil mein Lenker ziemlich verbogen ist. Wir stellen fest, dass außerdem die Bremse vorne schleift. Als wir weiterfahren, muss ich immer wieder über die tiefen Kratzer in meinem Lenker streichen. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich den Jungs das Angebot so freimütig gemacht habe, ohne zu bedenken, dass sie sich dabei ernsthaft hätten verletzen können. Das Quietschen der Bremse begleitet uns den ganzen Tag und wir beschließen niemanden mehr mit dem Tandem fahren zu lassen. Ich finde es sehr schade für die Menschen, denen wir eine große Freude damit machen können, verstehe aber auch Daniel’s Magenschmerzen, wenn er die Verantwortung für diejenigen trägt, die mitfahren oder eben die Gefahr, wenn jemand Ungeübtes allein mit dem Tandem fährt.
Nach einem 1000 Höhenmeter-Pass in der glühenden Sonne erreichen wir abends wieder das Schwarze Meer in Gerze. Was dort so passiert ist, könnt ihr dem Cittaslow-Beitrag entnehmen. Nur eines bleibt zu erwähnen: Während wir in Gerze sind, beginnt der Ramazan, die 30-tägige Fastenzeit der Muslime. Dabei trinken und essen die Menschen nichts von Sonnenauf-bis Sonnenuntergang. Das war uns einen eigenen Beitrag wert. Nur soviel: Ein paar Warmshowers in Samsun nehmen uns mit zu einem Fastenbrechen vor einer Moschee – eine wundervolle Erfahrung für uns. Danach werden wir von den Jungs noch zu einem Çay ausgeführt und reden viel darüber, wie schwer es in der Türkei ist sein Studium zu schaffen, denn das Studienfach wird einem je nach den Noten des Abiturs zugeordnet und das macht es für viele schwer Motivation zu finden oder einfach die Prüfungen zu bestehen – wer ist schon gut in etwas, das er nicht liebt oder sich nicht mal selbst aussuchen durfte? Wir sind berührt von dem Interesse, das die Jungs an unserer Reise zeigen und dem Großmut, mit dem sie es uns nicht neiden diese Reise machen zu können, während sie sich darauf konzentrieren müssen ihr Studium zu schaffen und dann einen Job zu finden und diesen zu behalten. Es ist nicht einfach einen zu bekommen und den gibt man dann nicht mehr her, wir hören dies mehrfach auf unserer Reise.
Wir fahren am nächsten Morgen erstmal schön am Meer entlang und feiern es richtiggehend. Endlich mal entspannt starten. Wir halten uns nun am Meer bis die Straße wegen starken Regenfällen seit einiger Zeit gesperrt ist und fahren wieder endlos durch Haselnussplantagen.
Am Ende des Tages erreichen wir Persembe, wo wir Bahadir, einen Freund von einem Freund einer Freundin treffen – Türkei halt. Es ist ein faszinierender Besuch, den wir in Kürze näher beleuchten möchten. Hier geniessen die Haselnüsse nun Meeresblick.
Eine Sache gibt es aber noch: Hier sichten wir wieder ein außergewöhnliches Gefährt, das uns bereits einmal begegnet ist: Ein Fahrrad mit Motor und Beiwagen, in dem sich zwei junge Golden Retriever verstecken. Komustus und seine zwei Hunde sind auf dem Weg nach Georgien und Komustus ist eigentlich Kapitän, gerade aber als Landratte unterwegs. Er erinnert uns ungemein an Jack Sparrow und wir verbringen ein relaxtes Mittagspicknick mit ihm. Wir wollen uns ein Stück seiner Gelassenheit abschneiden und bemerken mal wieder wir sind nicht die wirklichen Abenteurer in dieser Runde.
Wir machen noch einen Warmshower-Stop bei Hasan, dessen 800. Warmshower-Gäste wir sind und sind beeindruckt von seinen Geschichten über seinen Job als 2. Commander auf Frachtschiffen und seinen Motorradtouren, die er auch z.B. in Afrika macht.
Am Ende erreichen wir endlich Trabzon, eine quirlige Hafenstadt, in der wir unser Visum für den Iran beantragen, die vielen Cafés genießen und einen Wellnesstag beim Berber (Daniel) und im Hamam (Antonia) einlegen. Wir beschließen außerdem die Chance zu nutzen noch zwei weitere Länder kennenzulernen. Wir werden über Georgien und Aserbaidschan in den Iran einreisen. Wahnsinn, wenn man so einfach seine eigenen Entscheidungen treffen darf!
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