Der Zweimonatsblues

Wir radeln am Schwarzen Meer entlang und uns wird bewusst: Wir sind schon zwei Monate unterwegs. Zeit zu rekapitulieren: Sind wir immernoch happy?


Die ersten Kilometer in Deutschland und Österreich haben sich angefühlt, wie Sommerferien in der Oberstufe. Großes Abenteuer, viel Zeit, Picknick zum Mittagessen, schlafen im Zelt. Völliges Urlaubsfeeling. Unterwegs im (fast) eigenen Land. Man weiß wie es läuft, es gibt viele Fahrradwege oder kleine Sträßchen, die uns oft einsam durch die wundervolle Landschaft bringen.

Auf dem Balkan dann ganz viel Neues. Wir lernen mit den Ortsschildern kyrillisch lesen, geniessen die Kaffeekultur und können uns noch wunderbar auf englisch verständigen. Die Straßen sind immer noch klein und oft sehr einsam. Stressig wird es nur in und um die Metropolen wie Belgrad oder Sofia. Während wir in Deutschland und Österreich noch nicht so aufgefallen sind, sind wir hier schon eher eine Attraktion. Man winkt uns, strahlt uns an und wenn wir halten nickt man auch mal anerkennend.

Seit wir in der Türkei sind, hat sich vieles davon geändert. Wir fahren meist auf große Straßen, denn die kleineren sind so schlecht, dass wir in tandemgroßen Schlaglöchern verschwinden würden. Das bedeutet, dass wir nicht mehr so viel Zeit haben unseren Gedanken nachzuhängen und die Umgebung nicht mehr so einladend ist, wie zuvor. Oft fahren wir gefühlt den ganzen Tag durch besiedeltes Gebiet. Die Städte und Dörfer gehen hier nahtlos ineinander über und es fällt uns richtiggehend auf, wenn wir mal durch einen Wald fahren. Das macht das Fahren  sehr viel anstrengender, weil wir dauernd in Alarmbereitschaft sind.

Ich fühle mich auch manchmal wie im Papamobil, weil uns vorbeifahrende Autos anhupen und winken, die Leute in den Cafés und am Straßenrand sich gegenseitig mit heruntergeklappten Kiefern anstupsen und auf uns zeigen, uns den Daumen entgegenrecken, uns freundlich winken und uns grüßen. Und wir winken natürlich zurück. Manchmal habe ich abends Muskelkater im Oberarm.

Da es weniger Natur gibt, machen wir oft in kleinen Locandas halt, essen eine Kleinigkeit, trinken einen Çay in einer Çaybar oder werden von wild winkenden Menschen auf einen Çay eingeladen. Dann wird das Tandem begutachtet, die üblichen Fragen (Woher? Wohin? Warum?) gestellt, man fragt uns wann wir endlich heiraten und ob ich eigentlich auch trete oder nur Daniel. Wir freuen uns sehr über die rege Anteilnahme völlig Fremder und ich möchte immer wieder geduldig all die Fragen beantworten, das Staunen beobachten. Ich finde ich bin es den Menschen schuldig. Es ist oft so unvorstellbar für sie, was wir da vorhaben und ich möchte sicher sein, dass jeder seine Fragen beantwortet bekommt. Wir werden hier so freundlich aufgenommen, da möchte ich etwas zurückgeben.

Durch die hohe Besiedlungs- und Warmshowersdichte zelten wir hier weniger und lernen fast jeden Abend jemand anderen kennen, der uns aufnimmt, uns bekocht, sich um uns kümmert, alles tut, damit wir uns wohl fühlen. Das ist eine wunderbare, erfüllende Erfahrung, Es ist aber auch jeden Tag wieder ein sich einlassen und öffnen und jeden morgen ein kleiner (manchmal tränenreicher) Abschied. Fast jeden Tag sagen wir den Satz: „Oh schade, dass wir schon wieder gehen müssen. Die sind so toll!“

Die Sommerferien haben sich in Reisen verwandelt. Die Leichtigkeit ist weniger geworden, die ersten Gedanken kommen, mit denen man sich fragt: „Was ist der Sinn dieser Reise? Was will ich damit erreichen?“ Die körperliche Reaktionen bleiben nicht aus. Die Knie pochen abends, die schweren Beine bei den ersten Tritten morgens erinnern einen daran, dass man bereits den 6. Tag radelt. Die mentalen Pausen während des Fahrens sind nicht mehr da, bei den Stopps wird man ebenfalls neugierig umringt, man hat fast keinen Moment allein für sich und der andere ist auch nie weit. Das führt dazu, dass man beginnt sich einen Rhythmus zu wünschen.

Bisherige Versuche: Wenn es geht, dann gibt es morgens 20 min, Yoga für Antonia, während Daniel Nachrichten schaut, liest oder etwas organisiert. Dann das tägliche Pack-Ritual, ein ausgedehntes türkisches Frühstück und los. Es wird gewunken und getreten, entdeckt, gestaunt, was der Tag so bringt. Im Laufe des Tages wird Daniel zum Dehnen gezwungen, verschiedene Çaystopps eingelegt und abends öffnet sich eine neue Tür für uns, hinter der neue interessante Menschen warten, die uns ihre Gastfreundschaft, Zeit und Aufmerksamkeit schenken.

Uns wird immer wieder bewusst, wie glücklich wir uns schätzen können, diese Reise und damit so intensive Erfahrungen machen zu dürfen. Wir so dankbar, für all die Menschen, die wir kennenlernen dürfen und die uns inspirieren und all die kleinen Wunder, die uns jeden Tag entgegen fallen. Nach 2 Monaten unterwegs haben wir uns ein wenig eingegroovt im Reiserhytmus, vertrauen oft auf unsere Intuition und sind immer wieder erstaunt, was dabei passiert. Wir lernen jeden Tag mehr über uns als Menschen, über uns als Paar, über unsere Art Entscheidungen zu fällen. Es ist ein ständiges Beobachten, ein ständiges Horchen, ausprobieren, vielleicht nochmal neu angehen.

Nach 2 Monaten auf der Straße ist der freudige Aktionismus des Anfangs einer ruhigeren Gangart gewichen. Wir sind entspannter einerseits, was das Verlassen auf ein „Türchen wird schon aufgehen“ angeht, gleichzeitig sind wir müder als am Anfang. Der Verkehr nagt mehr an uns, wir sind schneller gereizt und es kostet manchmal Anstrengung offen und neugierig zu sein. Wir freuen uns auf ein paar Tage in Trabzon, wo wir das Visum für den Iran beantragen werden. Endlich fällt das tägliche Packritual mal für ein paar Tage aus. Eine Sache haben wir uns außerdem noch vorgenommen: das täglich Baklava Ritual abschaffen. Die Baklavaschwimmringe um unsere Hüften (ja auch um Daniels) stören echt ein wenig beim bergauftreten!

Zwei Monate on the road – es fühlt sich immernoch gut an, auch wenn die Ferien jetzt vorbei sind. Wie immer im Leben gibt es Phasen des Übergangs. Wichtig ist dabei morgens einfach rauszugehen und zu sehen, was der Tag bringt. Und er bringt meistens Unerwartetes, Überraschendes und manchmal auch Unfassbares. Also raus aus der Komfortzone und rein ins Ungewisse – mit dem Vertrauen: irgendwie wirds schon.