Wir übertreten die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei und sofort ist klar: Ab hier ist alles anders.
Im Sperrgebiet zwischen Griechenland und der Türkei ist fotografieren verboten, wir werden zum ersten Mal richtig kontrolliert auf der türkischen Seite: zwei Beamte vergleichen die Gesichter auf unseren Personalausweisen mit den verschwitzen Köpfen, die er vor sich hat, wir müssen die Helme abnehmen und ein weiterer Beamter durchsucht jede einzelne unserer Radtaschen. Nebenher liest man immer mal wieder laut unsere Namen vor um zu sehen, ob wir auf diese reagieren. Man ist aber trotzdem blendend gelaunt, was die ganze Prozedur weniger anstrengend macht.
Die ersten Meter in der Türkei fühlen sich irgendwie an, als hätte es uns direkt nach Asien katapultiert. Es riecht nach Feuer und Sommer, jedes vorbeifahrende Auto hubt kurz, um klarzustellen, dass es jetzt vorbeisausen wird und zieht dann eher nah an uns vorbei.
Nach kurzer Zeit erscheint die erste eindrucksvolle Moschee von Edirne vor uns und wir fühlen uns endgültig wie in einem Märchen aus 1001 Nacht. An unserem ersten Tag in der Türkei dürfen wir bei Ahmed unterkommen. Er ist Arzt und wohnt mit seinem Kumpel in einer WG. Wir machen uns kurz frisch und sind dann so neugierig auf die neue Welt, dass Ahmed uns direkt in die Stadt entführt. Dort zeigt er uns die eindrucksvolle Selimiye-Moschee der Stadt, ein ästhetisches Wunder in der Abenddämmerung. Wir schlendern durch die Stadt, naschen bei einem Süßigkeitenladen die ersten unwiderstehlichen türkischen Leckereien und landen in einem Restaurant, in dem man an einer Vitrine aussucht, was man essen möchte und der Kellner das ganze dann an den Tisch bringt. Töpfe gucken. Eine meiner Liebelingsbeschäftgungen! Nicht nur dafür müssen wir Ahmed danken. Er ist ein wunderbarer Gastgeber, der uns geduldig alles mögliche erklärt, sondern auch extrem belesen ist und es ist eine Freude sich mit ihm zu unterhalten. Er kennt sich auch bestens mit vielen deutschen Kulturgütern aus und sein feiner Humor unterhält uns prächtig.
Am nächsten Morgen geht es weiter. Und hier betreten wir ihn zum ersten Mal. Den Hell of an Highway – die D-100. Es ist sozusagen DIE Strasse von Europa nach Asien. Sie beginnt in Edirne und zieht sich in fiesen Wellen bis ins Herz von Istanbul und weiter bis in den Iran. Die Euphorie des ersten Tages lässt uns motiviert in die Pedale treten und wir schaffen es tatsächlich an diesem Tag 120 km und 1000 Höhenmeter in einer Achterbahnfahrt auf dem Pannenstreifen der D-100 zurückzulegen. Unser bester Freund: der Rückenwind. Neben den geduldigen LKW-Fahrern, die ihre beängstigend grossen LKWs vorsichtig an uns vorbeimanövrieren und nicht wie ein paar wenige hupend an uns vobeirauschen, sodass der Wind uns fast vom Rad saugt. Kurz vor dem Etappenziel erwischt uns dann noch das Gewitter, das den ganzen Tag neben uns hergezogen ist. Wir werden zwar nicht nass, weil wir uns an einer Tanke unterstellen unnd von den Tankwarten und LKW-Fahrern mit Fragen belagert werden, aber die Strasse verwandelt sich in ein Sumpfgebiet mit rießigen Pfützen und kleinen Bächen. Da kann auch der netteste LKW-Fahrer nichts mehr machen. Wir werden nass.
Wir landen in Çorlu, einer chaotischen Kleinstadt, in der wir auffallen wie ein rosa Elefant mit Haarschleide und retten uns vor dem nächsten Sturzregen unter eine Markise. Der freundliche Cafébesitzer von nebenan bittet uns auf einen Çay herein. Das ist bereits die zweite Einladung an diesem Tag. Wir sind gerührt und schlürfen genüsslich das tröstlich warme Gläschen. Am Abend bin ich zum ersten Mal richtig zerstört. Meine Oberschenkel fühlen ich wie zwei Betonklötze an und ich kann mich kaum motivieren eine sonst heiß geliebten und jeden Tag durchgeführten Yoga Übungen zu machen. Das Ganze Ausmaß wird klar, alls es um das Abendessen geht: Daniel bekommt mich kaum aus dem Zimmer geschleppt – und es geht um Essen, wer mich kennt weiß: damit bin ich sonst immer zu locken.
Nach dem leckeren Frühstück quäle ich mich wieder auf das Rad. Die ersten paar Kilometer sind gnädig, dann kommt ein Anstieg und ich beiße die Zähne zusammen. So müde Beine hatte ich noch nie. Der Schmerz krallt sich in meine Oberschenkel und drücke sturr den Berg hinauf. Bloß nicht anhalten, sonst steig ich nicht mehr auf das Rad. Gegen Ende des Tages entkommen wir der Hell of an Highway ganz kurz und sehen zum ersten Mal das Meer. Wahnsinn! So weit haben uns diese im Moment einfach nur überlasteten Stecken von Beinen schon gebracht! Die Euphorie hält nur kurz und wieder ertappe ich mich dabei wie ich nach der nächsten Rastmöglichkeit Ausschau halte. Den letzten Anstieg vor dem Ziel schaffe ich kaum. Ich bin so froh, als Buğra und Dilara, unsere Warmshowers für diesen Abend vor uns stehen und fragen: „Kaffee oder Çay?“ Ich dusche lange und versuche mir vorzustellen, wie ich am nächsten Tag weiterfahren soll. Dilara kocht Manti (eine Art türkische Ravioli mit Joghurt) für uns und ich freue mich über die schöne warme, scharfe und bunte Mahlzeit. Als sie uns dann anbietet doch eine weitere Nacht zu bleiben fällt es mir schwer die Contenance zu bewahren. Ich wäre ihr am liebsten vor Dankbarkeit um den Hals gefallen.
Wir verbringen einen wunderbar relaxten und völlig ungeplanten Tag bei den beiden Lehrern. Dilara muss erst Nachmittgs abeiten und verwöhnt uns mit eine ausgedehnten türksichen Frühstück mit Oliven, verschiedenem Käse und Sucuklu yumarta (türkische Wurst mit Spielgelei). Nachdem wir eine Runde mit dem Golden Retriever Odi gedreht haben sinke ich in einen wohligen Mittagschlaf, nachmittags wird uns eine besondere Erfahrung geschenkt: Wir begleiten die beiden zur Aziz Nesin Stiftung, in der sie ehrenamtlich Unterricht geben. Wir bekommen eine ganz spontane Führung, in der man uns das Leben des bereits verstorbenen Schriftstellers näher bringt und können uns mit ein paar der Kids unterhalten. Der ganze Ort atmet Freiheit, ist voller Kunst und origineller Ideen. Eine sehr bereichernde Erfahrung für uns.
Am nächsten Tag fühlen wir uns gestärkt. Wir wollen zwar nicht unbedingt weiter, weil es so schön ist bei den beiden, weil sie so voller Wissen sind und uns vieles eröffnen, mit dem wir die Türkei besser verstehen können. Aber wir gehen trotzdem los. Wir können den Hell of an Highway öfters meiden an diese Tag. Bei der ersten Abzweigung auf den Fußgängerweg ist leider eine Baustelle, aber da fackelt man nicht lange, sondern reißt uns das Tandem unterm Po weg ud trägt es kurzerhand samt Gepäck über das Hindernis. Wir sind beeindruckt! Der erste Steig an diesem Tag ist zwar nur 3 km lang, bringt mich aber fast um. Ich muss Daniel drei mal bitten anzuhalten, weil ich vor Anstrengung kaum mehr atmen kann. Ganz zu schweigen von meinen Beinen, die sich wie zwei Eisenträger anfühlen. In den Pausen versuche ich meine pumpende Atmung zu beruhigen und damit klarzukommen, dass mein Wille nicht stärker ist als mein Körper. Meine Beine zittern und ich wünsche mich an den prall gefüllten Frühstückstisch von Dilara zurück oder zumindest an den Tisch, sitzend. Als wir endlich oben sind, schlucke ich zum letzten Mal mein Frühstück des Morgen hinunter und hoffe, dass ich diesen Tag irgendwie schaffen werde.
Schwups, finde ich mich wieder auf dem Hell of a Highway wieder. 10-spurig, mit Verkehr von links hinten und Zufahrten von rechts, aus denen man gerne mal rauszieht, ohne zu gucken. Ich bin voll konzentriert und versuche uns die größten Wägen vom Hals zu halten, in dem ich Handbewegungen mache. Daniel ist seelenruhig, passt sich dem Chaos an, schießt mit 60 die Achterbahnen hinunter und drückt sich wie die anderen schön überall durch. Nachmittags ist es geschafft, wir verlassen den Hell of an Highway. Ich bin froh, dass ACDC in meinem Kopf endlich aufhört zu röhren und brauche erstmal nen türkischen Kaffee und natürlich etwas Süßes. Man ist wie immer sichtlich bemüht um uns und mit dem Zucker kommt meine Energie zurück. Die letzten Kilometer, vorbei am fast-im-Meer-ich-hab-noch-nie-so-nah-ein-Flugzeug-über-meinen-Kopf-fliegen-sehen Attatürk-Airport und ein paar Parkanlagen, die gerade im Bau sind, verfliegen schnell. Ein letztes Mal müssen wir das Tandem eine Fußgängerbrücke hinauf und hinunter und durch eine Unterführung tragen, dann sind wir in Sultanahmed, der Altstadt von Istanbul angekommen. Kleine Gässchen, der Geruch nach Çay und gebratenem Fleisch. Wir sind happy und schnitzelfertig.
ACDC wird vom Muezzin der benachbarten Moschee abgelöst.
Ich finds gut. Der Hell of an Highway ist hinter uns – erstmal. Ganz ehrlich frage ich mich aber, ob das die grösste Strasse war, die wir fahren werden und ob es in meiner Kopf-Dukebox noch ein anderes Lied für solche Situtionen gibt. Vorschläge?
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