On Board #1

Die Rückfahrt mit dem Containerschiff war ein Traum, den wir lange gehegt hatten. Denn wir wollten unserer langsamen und bewussten Art zu reisen treu bleiben und einfach zu fliegen hätte sich falsch angefühlt. Mit dem Moment, in dem wir uns auf den Weg zum Hafen machen, beginnt für uns nun wirklich unsere Rückreise, aber eben auch wieder ein neues Kapitel des Reisens, das entdeckt werden will.

Nachdem wir einen Besucherpass für das Hafengelände bekommen haben, braust unser Fahrer mit uns an endlosen Lichtern, Kränen und Containern vorbei, bis er vor einer schwarzen Wand hält, auf der APL GWANGYANG steht. Die Wand ist natürlich keine Wand, sondern die Seite eines immensen Frachtschiffes. So lang sind als 360 Meter. Ziemlich unfassbar. Wir machen Touribilder und bekommen dann noch den Rat uns mit beiden Händen an der Gangway festzuhalten, bevor wir das Schiff betreten dürfen.

Oben erwartet uns Lu, einer der 2. Offiziere, um uns durch die Formalien zu leiten. Wir bewältigen einen Wust an Papierkram, unterschreiben hier und da und bekommen die erste Sicherheitseinweisung, bevor man uns unsere Kabinen zeigt. Wir wollen unbedingt sofort eine Einführung in das Schiff und so werden wir herumgeführt. Gym, Offizierskantine, Offizierskasino (mit Massagesessel und PS 4), Kabinen für die “einfachen” Seeleute bis hin zum Kapitän und ganz oben, die beeindruckende Brücke. Es sieht für mich ein bisschen aus, wie die Schaltzentrale eines Atomkraftwerks, nur mit Meerblick.

Dann dürfen wir raus auf das Brückendeck und uns ansehen, wie die Container be- und entladen werden. Man sieht kaum Menschen, sondern nur sonderbar synchronisierte Abläufe zwischen LKWs und Kränen. Tonnenschwere Container fliegen in aller Leichtigkeit an uns vorbei und alles scheint einem Masterplan zu folgen. Im Hafen selbst brennen tausende Lichter und die Kulisse der Skyline von Singapore dient als Hintergrund. Das Gefühl ist dasselbe, dass ich bereits in Singapur selbst hatte. Erregtes Staunen über das, was Menschen fähig sind zu bauen und die leichte Ahnung, dass das ganze eigentlich einem Ameisenhaufen nachempfunden ist. In dieser Nacht werden 601 Container verladen werden. Über 10 000 haben Platz.

Das Ende der Verladung erlebe ich allerdings nicht, weil ich gegen 11 bereits todmüde bin. Wir legen uns im sanften Schaukeln des Schiffes in Bett und schütteln den Kopf darüber, dass diese Schiffsreise nun wirklich beginnt.

Wir müssen früh raus am nächsten Morgen. Die singapurischen Grenzbeamten möchten uns um 0445 einmal ins Gesicht schauen und das Foto auf unserem Pass mit den kleinen Augen ihrer Gegenüber vergleichen. Gleich darauf liegen wir wieder im Bett, bis es um 700 (wir orientieren uns schnell am militärischen Slang der Besatzung) Frühstück gibt. Kurz darauf legen wir dann auch ab, was eine weitere spannende Sache ist, die wir wieder von der Brücke aus beobachten.

Der Lotse ist zusammen mit dem Kapitän und seinem 2. Offizier ebenfalls auf der Brücke und macht die beiden auf die Sandbänke und andere ausparkende Schiffe aufmerksam. Als er schließlich von seinem eigenen Lotsenboot abgeholt wird, trägt er vorschriftsmäßig einen Helm. Bruce scherzt, dass er Angst habe eine Kaffeetasse von den Touris oben auf der Brücke könne ihn erschlagen. Er winkt uns nochmal freundlich zu, dann nehmen wir Kurs auf die Straße von Melakka, an der auch das früher so wichtige Melakka liegt, dass wir vor 2 Monaten besucht haben. Es ist recht viel los hier und so halten wir uns mit unseren brennenden Fragen an die Crew noch ein wenig zurück.

Am zweiten Tag haben wir uns bereits eine kleine Routine geschaffen, die wir mehr oder weniger beibehalten werden: Sport nach dem Aufstehen, Daniel laufen und Übungen, Antonia Yoga oder laufen und stretching. Kurz hoch auf die Brücke für den Morgenkaffee, dann schreiben, lesen, malen, Podcasts hören etc. bis zum Mittagessen. Dann vielleicht ein bisschen Tischtennis, wieder allerlei Aktivitäten, dann Abendessen und ab in die Kajüte.

Glücklicherweise wird unsere Routine aber auch unterbrochen. Gleich am ersten Tag proben wir abandoned ship Alarm, falls wir das Schiff z.B. wegen eines Brandes verlassen müssen. Ganz gut die Übung, weil wir auf diese Weise feststellen, dass es nur ein Rettungsset bestehend aus Helm und einer Art Tauchanzug in unserer Kabine gibt. Wir bekommen sogleich ein zweites und müssen zu unserem zugewiesenen Rettungsboot eiern. Auch hier brauchen wir nochmal einen Schubs in die richtige Richtung, weil wir steuerbord nicht von backbord unterscheiden können und stolpern als letzte die Treppe zum Treffpunkt hoch. Dort hilft man mir erstmal in die Schwimmweste und zurrt sie schön fest. Die Nummer meines Sitzes im Rettungsboot hatte ich natürlich auch noch nicht auf dem Zettelchen an unserer Tür gecheckt und so hilft man auch hier nach. Wir entern das Rettungsboot und probieren dort alle möglichen Sachen aus, bis auf den Auslösemechanismus, der uns ins Meer befördern würde. Gut so, wir machen sicher gerade 12 Knoten, was um die 20 km/h sind und sicher eine mittelunschöne, harte Landung auf der Wasseroberfläche bedeuten würde.

Samstagabend ist immer Party an Bord. Es wird uns missmutig verkündet, es gäbe nur Softdrinks, aber es wäre schön, um ein wenig zu quatschen. Außerdem gibt es einen Tischfussball, eine Karaokemaschine und wir zocken alle zusammen Bingo um Dollars. Die Jungs verhalten sich mir gegenüber herrlich unbefangen und wie echte Gentlemen. Ich darf mit Tischfussball spielen obwohl ich grottenschlecht bin und nicht an meine Freibadkarriere in der Schulzeit anknüpfen kann und man erklärt mir geduldig, was ein Bamboo und die anderen lustigen Ausdrücke beim Bingo bedeuten.

Um 9 mache ich nochmal einen Ausflug auf die nun dunkle und stille Brücke und quatsche noch ein wenig mit dem diensthabenden Offizier. Es ist ein unheimliches Gefühle diesen großen Gewässern in einer zugegeben sehr großen, aber doch vergleichsweise lächerlichen Konservendose, ausgeliefert zu sein.

An einem Sonntagmorgen dürfen wir vom 1. Ingenieur begleitet den Maschinenraum besuchen. Es ist eindrücklich. Wir sind ein fahrendes Hochhaus, inklusive Generatoren, Wasseraufbereitung und Entsalzung unseres eigenen Trinkwassers. Auch hier brüllt man geduldig die Antworten auf unsere 1000 Fragen zurück und man erklärt uns auch gerne Details.

Am Sonntag sind wir von der chinesischen Community eingeladen, mit ihnen zusammen Jiauzee zu machen, eine Art Ravioli, die wir bereits aus China kennen. Es wird ein interessanter Nachmittag und wir lernen wieder unglaublich viel, u.a., dass unser Schiff neu 50 Millionen USD kostet und es erst seit kurzem erlaubt ist, Passagiere mitzuführen. Besonders weibliche Passagiere hätten früher unter dem Ruf gestanden Unglück zu bringen. Glücklicherweise scheint keiner mehr diesem Aberglauben nachzuhängen.

Man zeigt uns Bilder von den Familien und ist etwas entsetzt, dass Bruce seine 11-jährige Tochter allein mit dem Flugzeug nach Japan schickt. In China darf man Kinder in diesem Alter nicht allein lassen, weil sie sonst gekidnappt werden und dem Menschenhandel zum Opfer fallen können. Es wird auch immer mal wieder über den Kostendruck geklagt, aufgrund dessen immer weniger Personal an Bord ist. Wir fahren mit 24 Mann für ein Schiff, das rund um die Uhr bewacht werden muss. Immerhin ist allein die Ladung 120 Mio. USD wert.

Kurz bevor wir Sri Lanka erreichen, proben wir den Piratenalarm. Es gibt eine hohe Risikozone um Somalia, in der auch die deutsche Marine hochaktiv ist gegen die Piratenangriffe. Theoretisch kannten wir das Problem aus dem Fernsehen, haben aber nie daran gedacht, dass wir diese Passage ebenfalls durchfahren werden und sind ein wenig amüsiert, dass wir zwar unterschreiben mussten, dass uns bewusst ist, dass kein Arzt an Bord ist, aber nicht, dass wir uns der Gefahr von Piraten verschleppt zu werden bewusst sind. Ich träume dabei natürlich von Johnny Depp als Captain Jack Sparrow.

Der Kapitän erklärt alle Schritte im Einzelnen, für die Offiziere, aber auch für die Crew. Der Notfallplan beinhaltet u.a. die Verdunklung der Fenster, das geschlossen halten aller Türen bis auf eine und das Verbot auf der Brücke das Außendeck zu betreten, während wir die hohe Risikozone durchqueren. Als der Alarm losgeht – 7 schnelle, ein langer Ton – sammeln wir uns zuerst an einem Punkt und werden dann gemeinsam in die Zitadelle des Schiffes evakuiert, deren Lage streng geheim bleiben muss, um die Mannschaft bei zukünftigen Fahrten nicht zu gefährden. Allgemein wird angenommen, dass ein so großes und schnelles Schiff wie unseres ein schwer einzunehmendes Ziel ist. Weder das Unternehmen noch der Kapitän nehmen die Gefahr jedoch auf die leichte Schulter und so erleben wir unsere zweite Übung innerhalb von 4 Tagen. Die allgemeine Haltung des Kapitän drückt sich sehr gut in folgender Frage aus: “What will you do if the pirates ask you to bring them to my cabin?” Schweigen. “Just bring them, I will negotiate with them. Your personal safety is the most important. That is not egoistic. Do not try to play the hero.” Es wird davon ausgegangen, dass die Piraten keine Gewalt anwenden, wenn kooperiert wird und das Unternehmen hält immer eine hohe Summe cash standby für solche Situationen, auch wenn die herbeigerufene Navy das Problem wahrscheinlich schneller lösen würde, indem sie die Piraten einfach festsetzt.

So bangen wir ein wenig, wie es uns ergehen wird, wenn wir zwei Tage aus Sicherheitsgründen das Deck nicht betreten dürfen und hoffen ein wenig, dass Jack doch noch kommt.