Die Zeit läuft auch in Yogya nicht langsamer. Da freut man sich ein Jahr auf das alles und dann hat man das Gefühl niemals genug Zeit zu haben. Aber es ist okay. Wir geniessen dafür in vollen Zügen.
Daniels Zurückhaltung bezüglich des Touriprogramms war bereits Thema. Eines sieht er sich aber gerne an und das ist der größte buddhistische Tempel in Südostasien. Der Borobudur. Wir fahren mit meinem alten Freund Wahyu dorthin, der herrlich kleine Straßen dorthin kennt. Wir treffen uns bereits morgens um 6 und düsen durch geschäftige Dörfchen, vorbei an Reisfeldern und Palmen. Ich muss mich stark auf die Straße konzentrieren, weil viel los ist am frühen Samstagmorgen, kann einige Bilder jedoch in meinem Herzen einschließen.
Zwei alte Frauen am Wegesrand. Sie sind in verbleichtes Batik gehüllt und tragen Reishüte. Beide sind sicher über 60, aber die Haut an ihren Wangen ist immernoch glatt bis zu den Lachfalten um die Augen. Sie schreien gerade mit ihren hohen Stimmchen quer über die Strasse zu ihren Freundinnen, die in einem Reisfeld waten und lachen ein hohes Lachen. Sie sprechen jawanisch, ich verstehe kein Wort, bin aber sicher es ist einer der vielen Wortwitze, die die Indonesier so gerne machen.
Auf einer hügeligen und kurvigen Straße werden wir von einem Vater mit seinen zwei Töchtern hinter sich auf dem Moped überholt. Die beiden müssen wie alle indonesischen Kinder auch samstags zur Schule. Die größere ist vielleicht zehn, die kleinere sechs. Die größere sitzt hinten, um die kleine Schwester im Notfall auf dem Motorrad zu halten. Als sie an uns vorbei sind, dreht sich die größere um. In ihren geflochtenen Haaren wehen rote Schleifen und ihr breites Grinsen wird von kirschroten Lippen umrahmt. Sicher hat ihre Mutter heute morgen eine Ausnahme gemacht. Ich lächle zurück, das Grinsen wird noch größer, die kleine Schwester wird angestupst und muss auch winken obwohl sie sich nur schwer drehen kann, eingeklemmt zwischen ihrem Vater und ihrer Schwester. Das ganze wiederholt sich bis der Vater eine Möglichkeit gefunden hat das vor ihm fahrende Auto zu überholen. Dann flattern sie dahin die roten Bändchen und ich bleibe verzückt zurück.
Das ist das Indonesien, das ich so sehr liebe. Das ruhige, stetige Leben im Kampung, das ehrliche Interesse, die Freude über den Besuch von Fremden im eigenen Land, die unvorstellbarerweise auch noch die eigene Sprache sprechen.
Und dann kommen wir zum Borobudur. Ich hatte Daniel schon vorbereitet, dass es dort einen Ansturm von Schulklassen auf uns geben wird. Ich habe noch nie so viele Klassen an einem Ort gesehen, wie an diesem Morgen am Borobudur und wir werden alle 2 Meter gefragt: “Miss, Foto?”.
Wir machen ein paarmal ergeben mit, aber bald fühlen wir uns wie im Zoo und so muss ich ein paar traurige Kinderblicke ertragen, wenn ich sage, dass es jetzt reicht. Ich kann solche Massenveranstaltungen einfach nicht leiden und ich kann es noch weniger leiden, wenn man sich mit den Kids nicht unterhalten kann. Vor 10 Jahren mussten sie noch einen Fragebogen vorlesen, um ihr englisch zu üben, jetzt werden einfach nur Fotos gemacht und das mag ich nicht. Auch wenn mich jemand freundlich auf der Straße anspricht, ob er ein Foto machen könnte, sage ich meistens nein. Ich will nicht, dass Indonesier mich als drittklassigen Celebrity sehen nur weil ich weiß bin. Ich fand es schon vor 10 Jahren eine Schande wie wenig Selbstbewusstsein diese wunderschönen Indonesierinnen hatten, nur weil sie braune Haut haben. Ich erkläre immer und immer wieder, dass wir in Europa uns extra in die Sonne legen um braun zu werden und dass die Haut einer Indonesierin so schön zart ist, dass sie fast nicht von dieser Welt zu sei scheint. Zum Glück bin ich eine Frau und keiner wundert sich, wenn ich anderen Frauen dauernd am Arm berühre;) Aber die Indonesierinnen schmieren sich tonnenweise whitening cream an den Körper, eifern in der Kleidung, dem Hairstyle und vielem anderen dem Westen oder jetzt vermehrt auch dem arabischen Raum nach. Das macht mich nicht nur traurig, sondern auch wütend. Indonesien besitzt eine reiche Kultur, die sich aus über 350 Ethnien zusammensetzt, es gibt unzählige uralte Bräuche, Kleider und Tänze und das alles wird immer unwichtiger, weil man lieber modern sein will. Modern bedeutet weiß, ein Haufen Malls und schlechte Telenovelas.
Ich bin auch erstaunt, wie stark der muslimische Glaube sich verändert hat. Ich sehe vermehrt Frauen mit einer echten Hijab, die auch die Kleidung und nicht nur den Schal miteinschließt. Vor 10 Jahren konnte man auch locker ein Kopftuch tragen und dazu enge Jeans mit High Heels. Jetzt sehe ich sogar Frauen in Burka – auch Kinder- und jeder, der etwas auf sich hält, fährt nach Mekka, macht die Haddsch. Überall werben Plakate dafür und ich bin entsetzt über die Preise, die für einen normalen Indonesier fast unerschwinglich sind. Ich bin traurig darüber, dass der muslimische Glaube immer mehr das indonesische verliert und sich mehr arabisiert. Früher gab es Moscheen in traditionell jawanischer Bauweise, heute stehen überall Kuppelbauten mit vier Türmchen. Versteht mich nicht falsch, ich will nicht jammern und sagen alles war besser vor 10 Jahren. Aber ich sehe einfach eine blinde Nacheiferung des Westens einerseits und des arabischen andererseits und ich finde es traurig, wenn diese reiche Kultur einer fremden Mittelmäßigkeit zum Opfer fällt. Und ich will einfach nicht unterstützen, dass dieses schräge Schönheitsideal der weissen Haut weiter propagiert wird. Es hält Frauen genau da, wo man se haben will. Im Ich- bin-nicht-gut-genug.
Trotz dieser Gedanken ist der Tag sehr schön. Wahyu führt uns in ein hübsch gelegenes Restaurant mit Blick auf Reisfelder. Wir bestellen ein richtig indonesisches Allerlei aus Fisch, Tempeh, Salat, Wasserspinat und trinken Sirsaksaft, den ich nur aus Indonesien kenne. Es ist herrlich im kühlen Schatten des erhöhten Hüttches auf dem Boden zu sitze und zu schlemmen.
Wahyu ist Züchter und verkauft inzwischen Vögel und Orchideen online und nimmt mit den Vögeln an Wettbewerbe teil. Er erklärt uns, dass die Männer, die wir immer mit einem abgedeckten Vogelkäfig auf de Rollern herumbrausen sehen, Hobbyvogelsammler sind, die zu Wettbewerben fahren. Es ist interessant einen Einblick in diese Welt zu bekommen auch wenn es nichts für mich wäre.
Vom frühen Aufstehen und dem Essen sind wir alle ganz schön platt und so eiern wir zurück auf den hübschen Wegen.
Daniel und ich müssen erstmal Mittagsschläfchen machen bevor wir abends ausgehen. Ein bisschen Billard spielen, ein Bierchen trinken, in einem koreanischen Bar. Auch eine Veränderung in Yogya: es gibt kaum noch einen Ort, an dem man Bier kaufen kann. Früher konnte man das in jedem kleinen Supermarkt. Auch unsere Stammbar ist jetzt geschlossen. Schade, denn dort gab es auch immer coole Livekonzerte und es war ein einfacher und gut besuchter Treffpunkt. Auch eine Folge der Erstarkung des Islam.
Wir haben also einen schönen Abend beim Billard, Gin Tonics und Bierchen und vervollständigen unser Wochenende mit einem Sonntagsbrunch.
Es gibt Raritäten wie schweizer Käse, Salami, Paprika, Sauerteigbrot und Eier mit Speck, zubereitet von Nana und Matze.Wir sind im Himmel!
Später erkunden wir noch ein wenig den Süden von Yogya und besuchen Markus und Lia auf ihrem schönen Anwesen. Markus ist begeisterter Bastler und zimmert Bars für schweizer Stadtfeste zusammen, auf denen er Cocktails verkauft. Dafür verschifft er sie per Container von Indonesien in die Schweiz. Das Tandem darf da auch mitfahren, wir sind beglückt. Uns ist es wichtig, dass es ankommt. Wir beraten wie wir das Tandem verpacken müssen, schlemmen ein wenig und Markus führt uns durch den Garten und zeigt uns seine Bastelarbeiten.
Abends sind wir ganz schön geschafft und gehen früh ins Bett, wir wollen ja gerüstet sein für das Interview mit den 4 Journalisten, die das PR des Nanamia organisiert hat. Es ist ein legeres Zusammensitzen und Quatschen, leider ist das englisch der Reporter nicht so gut, wie sie vorgeben und so stehen nachher allerlei Kuriositäten in den Berichten. Nana und Matze und das PR freuen sich trotzdem und vielleicht wurde ja der ein oder andere Indonesier inspiriert.
So starten wir in unsere letzte Woche in Yogya, die Anspannung bei Matze und Nana ist jetzt mit Händen zu greifen und sie sind am Ende ihrer Kräfte. Glücklicherweise kommt Wawan, ein alter Freund von Nana vorbei, der momentan im Südsudan Krisenmanagement für Oxfam betreibt. Er ist überglücklich der Sicherheitslage im Südsudan und seinen mehr als aufwühlenden Aufgaben dort kurz entfliehen zu können. Seine sprühende Art überträgt sich auf uns andere und wir haben einen tollen Abend im Kino.
Falls ihr eine Erklärung für sprühend braucht:
Am vorletzten Tag in Yogya lege ich endlich meinen lang ersehnten Spatag ein. Der ist längst überfällig. Früher war ich jede Woche im Spa. Es gehört für mich zu Indonesien wie Sate. Traditionell lassen sich die Indonesier hier verwöhnen und ich vermisse oft im kalten deutschen Winter diese wohlriechenden Oasen und die warmen, weichen Hände der Indonesierinnen. Es gibt in meinem Deluxe Spa sogar einen Fahrer, der mich abholt und so werde ich zu meiner 3-Stunden-Session chauffiert. Ich bekomme meinen eigenen Raum und eine Therapeutin zugeordnet und darf genießen. Es ist ein herrliches Gefühl, auch wenn ich die Indonesierinnen ab und zu bitten muss weniger stark zu massieren, denn Massagen in Indonesien sind traditionell kräftig. Man ist oft verführt diese kleinen, sanften Wesen zu unterschätzen, wenn es um ihre Fingerkraft geht und erlebt nicht selten eine Überraschung, wenn sie loslegen.
Den allerletzten Tag in Yogya verbringen wir auf einer Permakultur Farm etwas ausserhalb (sogar Obama war schon hier). Bumi Langit liegt auf einem Hügel und das traditionell gestaltete Restaurant serviert raffinierte Dinge aus teils eigenem Anbau. Wir lassen uns herumführen und dürfen auch die Behausungen für die Teilnehmer der Permakulturkurse anschauen. Als ich später die Website checke, wird mir ein wenig zuviel Religion mit Permakultur vermischt, aber der Besuch war interessant.
Dann ist es bereits wieder Zeit Adieu zu sagen. Matze findet es schade, dass sie so wenig Zeit mit uns hatten, ich bin eigentlich happy, dass sie sich so viel Zeit genommen haben, trotz des Umbaus. Die Zeit ist verflogen, wir sind beide aber auch wieder bereit weiterzuziehen. Abschied nehmen ist auch etwas, das man auf solch einer Reise lernt, weil es so häufig vorkommt. Und im Fall von Matze und Nana sind wir eh sicher, sie bald wieder einmal in Deutschland zu treffen, was das Ganze weniger dramatisch macht. Mbak Ida, die patente Haushilfe von Nana und Matze kommt auch noch zu uns um sich zu verabschieden und ich bin sicher sie ist ein wenig traurig, aber auch ein wenig froh, dass sie morgens wieder ungestört sauber machen kann, ohne uns zu fragen, ob wir mal die Füße heben können;).
Eine letzte Fahrt durch Yogya, dann sind wir am Bahnhof und steigen in den Zug, der die 500 km bis nach Jakarta in 7 Stunden fährt. Dann haben wir sie wieder, die Chaosstadt. Dieses Mal bekommt Daniel die volle Ladung Stau ab und wir brauchen 3 Stunden, ein Taxi und zwei Ojeks (Motorrollertaxis) bis wir die 20 km vom Bahnhof bis an den Hafen zurückgelegt haben.
Am Hafen behandelt man uns auffallend zuvorkommend und es dauert eine Weile bis wir herausfinden, dass die Nummer, die wir von unseren belgischen Radlermädels bekommen haben, um die Tickets zu bestellen, die Nummer des höchstrangigen Beamten von Pelni, der Schiffsgesellschaft in Jakarta ist.
Er hat seine Angestellten angewiesen uns nicht aus den Augen zu lassen und so werden wir vom Pelni Büro bis an den Hafen auf Rollern chauffiert, bewacht und unterhalten bis zum boarding und mit Regenschirmen zu Schiff begleitet. Ausserdem bekommen wir ein Viererzimmer nur für uns zwei, weil alle A1 Kabinen ausgebucht sind und wir sonst getrennt logieren müssten. Wir jedenfalls fühlen uns wie A1 Passagiere. Und dann heißt es wieder Abfahrt nach Batam auf der MS Kelud, auf dem selben Schiff, das uns 5 Wochen früher bereits bis nach Jakarta gebracht hat.
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