Mit neuer Kassette und Entdeckungslust geht es für uns weiter Richtung Süden. Es ist eine ländliche und eher weniger besuchte Gegend Thailands. Uns gefällt es.
Es ist inzwischen kurz vor Weihnachten und wir finden es passend, dass unser weiterer Weg nach Süden uns durch unendlich erscheinende Mandarinen-Plantagen führt. Die lokale Bevölkerung ist völlig aus dem Häuschen wenn wir vorbeirauschen und wir bekommen von 3 verschiedenen Menschen trotz freundlicher Proteste um die 20 Mandarinen geschenkt, die wir kaum verladen können. Zum Glück kommen wir danach durch eine Menge Reisanbaugebiet, da will uns niemand mit dem noch leuchtend grünen Reis beglücken.
Am Morgen des Heiligabend sind wir früh auf den Beinen, denn wir sind in Sukhothai, dem ersten Thaireich und wollen die vielen alten Tempel besuchen. Es liegt eine mystische Stimmung über dem Gelände und die Morgensonne taucht die Buddhastatuen in goldenes Licht. Am frühen Vormittag haben wir genug gesehen und strampeln zu unserem Bungalow, um digitale Weihnachtspost zu verschicken. Allgemein sind uns die Feiertage dieses Jahr nicht so wichtig, weil es ohne Familie und Freunde einfach nicht dasselbe ist. Wir sind ein wenig sehnsüchtig und erzählen uns gegenseitig was wer wann jetzt normalerweise machen würde. Es kommt eben auch nicht die sonst so erholsame Stille über uns, die vor allem mich zwischen den Jahren richtig entspannen lässt und so machen wir einfach weiter wie sonst.
Und so fahren wir am 1. Weihnachtsfeiertag nur ein paar Kilometer, weil wir in Neu-Sukhothai die Fahrradläden nach Schaltzügen durchforsten wollen. Es ist nicht viel los auf der Straße und wir eiern ein wenig vor uns hin, weil wir wissen, wir werden später noch den ganzen Tag Zeit haben. Ich nehme kurz ein Motorrad wahr, das recht schnell an uns vorbeizieht und dann: ein schrilles Quietschen, das Geräusch von schlitterndem Blech auf Asphalt. Als ich nach vorne sehe, sehe ich nur noch wie es den Motorradfahrer quer über die Fahrbahn fegt. Als wir am Unfallort ankommen, steht ein Minivan etwas grotesk in der Kurve, seitlich liegt das Motorrad, der Fahrer auf dem Rücken vor der Motorhaube des Vans. Es vergehen ein paar endlos lange Augenblicke und niemand nähert sich dem sichtlich verletzten Mann auf dem Boden. Es ist bedrückend ihn so allein und sich auf dem Boden windend zu sehen. Schließlich steigt Daniel vom Tandem, ich halte es und er beugt sich über denn Mann, sagt ihm er solle liegen bleiben und den Helm anbehalten. Der Mann steht unter Schock, das kann man sehen und Daniel, der sonst nicht so mit Blut und Verletzungen kann, drückt ihn sanft auf den Boden und redet beruhigend auf ihn ein. Schließlich erwachen alle aus ihrer Schockstarre, eine Frau beginnt den Verkehr zu regeln, ich höre auch schon die Sirenen des Krankenwagens. Der Mann wird verladen und wir fahren schließlich weiter, da wir nicht gesehen haben, was passiert ist und somit keine große Hilfe sind. Wir fahren zitternd und ich bin stolz auf Daniels Reaktion und Mumm und enttäuscht von mir selbst. Meiner Untätigkeit. Uns wird wieder bewusst wie verletzlich wir sind und unsere Gedanken sind bei dem Mann im Krankenhaus. Wir hoffen er ist nicht schwer verletzt.
Am nächsten Tag fahren wir nach 3 Monaten oder seit dem Iran wieder zu einem Warmshower. Wir sind entzückt. K.B. ist Koreaner und lehrt an der Universität von Kamphaeng Phet koreanisch. Er ist ein witziger Typ und wir sind froh, dass wir noch einen ganzen Tag länger bleiben müssen, weil es draußen in Strömen regnet. So lernen wir auch seine Freunde kennen: Beer, Pi, Arm und Puy, alle Thai sowie Chris, einen Philippino, der englisch lehrt. Wir genießen einen bunten Mix aus koreanischem und Thaiessen, stoßen auf das neue Jahr an, obwohl erst der 28. Dezember ist und lernen viel über Korea und die Philippinen – mitten in Thailand.
Am nächsten Tag regnet es immernoch, aber wir wollen weiter und fahren zum ersten Mal bei richtigem Schmuddelwetter los. Nach 40km und verschieden starken Schauern haben wir genug und mieten uns in ein heruntergekommenes Resort ein. Dort nutzen wir die Gelegenheit und spritzen das Tandem mal wieder ab. Dabei kommen mehrere Risse in unserer Felge unter der Dreckkruste zum Vorschein und uns schwant, dass wir wieder einige Zeit in Fahrradläden verbringen werden. Am nächsten Tag ist wieder gutes Wetter und wir fahren in 3 Tagen bis nach Kanchanaburi zur berühmten Brücke am Quai. Ein bisscheen fahren wir wie auf Eiern, weil wir nie wissen, wann das Laufrad aufgibt und so kontrolliert Daniel die Größe der Risse bei jedem Halt.
Vor Kanchanaburi sind wir in einem Homestay inmitten von Ananashügeln und lernen eine Thai Familie kennen, die die 4 freien Tage um Silvester herum nutzt, um Bangkok zu entkommen. Sie zelten und als ich frage wie ihnen die Region gefällt, sagen sie es gäbe hier nicht so viele Touristen. Später überlege ich mir ob sie Einheimische oder ausländische Touristen gemeint hat und wie der Farang-Ansturm über Weihnachten und Neujahr sich auf die Preisbildung für Unterkünfte und so für die Einheimischen auswirkt. Als ich so darüber nachdenke fällt mir auf, dass wir oft nur auf dem Land mit Einheimischen im Hotel sind, in den Städten oft mit Ausländern. Ich frage mich ob die Thais uns manchmal ein wenig verfluchen.
In Kanchanaburi verbringen wir Silvester mit Burger und Bier in einer Hipster-Thai-Bar. Wir genießen es die einzigen Farang zu sein freuen uns über die Thais in ihren Hawaiihemden und 80-er Style Klamotten, die mit Freunden in das neue Jahr feiern. Auch wenn uns das wieder ein wenig traurig macht, weil wir auch gern mit Freunden gefeiert hätten. Schön zu merken, was man vermisst.
Wir halten nicht ganz bis Mitternacht durch und strollen noch einmal durch die Farang-Straße auf der Suche nach Dessert. Doch nach 3 zwielichtigen Etablissements, in denen auffällig viele alte, weiße Männer mit jungen Thai-Mädels sitzen, haben wir genug und kehren in unser ruhiges Refugium am Fluss zurück. Auch das ist leider Thailand. Manche Städte sind hier einschlägig bekannt für das Geschäft mit Sex. Prostitution ist eigentlich illegal in Thailand, trotzdem kommen viele Ausländer und auch Männer aus dem benarchbarten Malaysia hierher. Ich denke an die ganzen Mädels, die sich sicher anderes gewünscht hätten für ihre Zukunft und empfinde Wut auf die Männer. Zugegebenermaßen habe ich gerade ein Buch über burmesische Sexarbeiterinnenin Bangkok gelesen und mich würgt bei dem Gedanken, dass die Mädchen wie Ware behandelt werden und wie Maschinen funktionieren müssen. 30 Kunden am Tag und kaum 20 Jahre alt. Ich frage mich wie so oft, warum diese Industrie gerade hier und in Kambodscha so floriert. Und ich fühle Anteilnahme für all die zerstörten Träume, für all den Schmerz, für all die Sinn-und Seelenlosigkeit dieser Maschinerie.
So endet Silvester und ein neues Jahr beginnt. Für mich, für uns ist es voller Hoffnung und Licht. Für unsere Lieben und viele, viele Menschen auch. Wie privilegiert wir sind.
Den 01.01.2018 verbringen wir mit Hundesitting. Tiny ist gar nicht winzig, sondern ein echter Weimarer und wir dürfen ein wenig Gassi mit ihm gehen, weil Paul, sein Herrchen und unser nächster Warmshower zur Verlängerung seines Visums einmal nach Myanmar hoppen muss. Wir haben viel Spaß, bei Tiny sind wir uns da nicht so sicher. Er zeigt keine allzu großen Gefühlsausbrüche in seiner schon fast aristokratischen Art.
Nachmittags besuchen wir das ausgezeichnete Thailand-Burma Railway Center, das einen Einblick in den Bau der sogenannten Todes-Bahn gibt. Sie wurde von Kriegsgefangenen (ca. 60 000 sollen hier gearbeitet haben) und asiatischen Zwangsarbeitern (ca. 240 000) unter unsäglichen Bedingungen und japanischer Führung gebaut, um Thailand mit China zu verbinden und somit die Versorgunglücke für die japansichen Truppen zu schließen. Zum ersten Mal wird uns bewusst, was im zweiten Weltkrieg in Asien alles passiert ist und wir sind geschockt angesichts der vielen Toten und der unmenschlichen Bedingungen, die einem anhand von Filmen und Nachbauten von z.B. Zugwaggons, in denen die Gefangenen wie Vieh transportiert wurden, näher gebracht werden. Die Bilder zeigen ausgemergelte Gestalten, wie man sie aus den KZ-Museen aus Deutschland kennt und die einen immer wieder die Kehle zuschnüren und einen fassunglos fragen lässt, wie Menschen sich gegenseitig so etwas bestialisches antun können.
Dann starten wir wieder, immer weiter Richtung Süden – und endlich – ans Meer, den thailändischen Golf.
Lesens-und schauenswert:
- The Railway Man, eine wahre Geschichte über den Funker Lomax, der in japanische Gefangenschaft gerät und Jahre später eine Reise über den Hass hinaus antritt.
- Pierre Boulles berühmtes Werk „Die Brücke am Kwai“. Fakten kann man darin keine finden, dafür einen sehr kolonialen Blick auf den Bau der Brücke am Kwai.
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