Der 9-monats Report

Genau am 01.01.2018 sind wir neun Monate unterwegs. Neues Jahr, neue Radlerabenteuer, aber auch die Zeit, um wieder einmal zurückzuschauen.

Inner Journey

Spätestens ab der Türkei, bis ungefähr Tadjikistan sind wir extrem viel unter Leuten. Wir werden eingeladen, zu Tee, zum Essen, zum Übernachten. Wir führen tausende Gespräche. Vom schnell abgehackten woher, wohin, warum bis hin zu politischen Diskussionen und nächtefüllenden Gott-und-die-Welt Ergründungen. Und alles dazwischen. Wir genießen es die Möglichkeit zu bekommen so hautnah in das Leben in ganz verschiedenen Kulturen schauen zu können, auch wenn wir manchmal nicht genug Schlaf bekommen oder gerne mal mit uns alleine wären. Und wir fiebern, trauern, freuen uns, lachen und fühlen mit, egal, was uns begegnet und in welcher Situation die Menschen, die uns begegnen stecken. Man kann nicht anders. Die Menschen eröffnen einem so viel, da kann man nicht teilnahmslos daneben stehen und nur zuschauen. Wir sind manchmal für nur kurze Momente, manchmal jetzt noch tief mit ihnen verbunden. Es ist eine intensive Zeit, die wir um nichts auf der Welt missen wollen.

 

 

Dann kommt China, wir geben das Tandem ab, um es einmal durch das ganze Land zu senden und mit ihm geht ein Stück unserer Nähe zu den Menschen, ein Stück Unplanbarkeit und ein Stück unserer inneren Begeisterung. Wir sind nun ganz normale Touris, die mit Bus oder Bahn von Stadt zu Stadt tingeln und sich Sehenswürdigkeiten ansehen. Wir steigen in Hotels ab, die wir uns vorher aussuchen können und vielleicht sogar buchen. Dazu kommt die Zurückhaltung der Chinesen und die Anonymität, die uns vor allem in den Städten auch mit Tandem auffällt. Und so verändern wir unseren Fokus schleichend. Von außen, nach innen. Jeder von uns findet seinen eigenen Weg die nun vorhandene Zeit durch weniger Input von außen und weniger körperlicher Anstrengung zu nutzen. Diese Tendenz hält auch an, als wir wieder auf dem Tandem sind und durch Laos fahren und auch, als wir die Grenze zu Thailand überschreiten. Auch wenn die Menschen wieder interessierter an uns sind und leichter einen Weg finden uns anzusprechen, wenn wir auf dem Tandem daherkommen, sind wir zurückhaltender. Das bedeutet nicht, dass wir nicht quatschen, antworten, erklären, fragen, aber die eingetretene Veränderung spüren wir und sind zufrieden die Zeit für unsere inneren Reisen nutzen zu können, die neben dem Radeln bleibt.

Wir haben auch wenn wir nicht auf dem Tandem sind nun Zeit ausladende Gespräche miteinander zu führen und uns gegenseitig über die Dinge upzudaten, die wir in Stille jeder für sich abends so beackern. Es ist eine Phase, in der wir viele Dokus sehen, uns über Dinge informieren, die uns schon immer interessiert haben, für die wir uns aber nie die Zeit genommen haben und in der wir erkunden, was in uns schlummert. Es ist ebenfalls eine intensive Phase und eine, die ebenfalls immens wichtig ist. Das spüren wir beide und genießen so auch diese innere Reise.

Zoogeschichten

Die erste Bekanntschaft mit handtellergroßen Spinnen machen wir in Südchina – glücklicherweise hängen diese da dekorativ in ihren Meisterstücken an Spinnennetzen und lassen sich willig fotografieren. Spätestens ab Laos bricht dann aber der Zoo los. Mosquitos, die morgens und abends oder in der Pipipause im sumpfigen Schatten gierig versuchen einem Blut abzuzapfen. Geckos, die immer dann fröhlich losglucksen, wenn du gerade schlafen willst oder von der Decke fallen, wenn du darunter stehst. Da kann man schon mal mädchenhaft quieken, wenn so ein fallender Gecko mit seiner feuchten, kühlen Haut die Wange streift. Oder einen schönen Haufen lautlos auf deine Bettdecke plumpsen lässt, während du gerade nicht da bist.

Dann wären da eben noch die Spinnen, die oft in allen Farben leuchten, mal klein und unscheinbar sind und wild durch die Gegend springen – gerne auch mal in deine offene Tasche mit all deinen Klamotten drin – bis hin zu wirklich großen Exemplaren, die irgendwo in ihrem Netz hängen und die ich lieber nicht nachts von meinem Speichel trinken lassen will. (Kennt ihr, oder? Dieses Märchen, dass Spinnen nachts den Speichel schlafender lecken? Nicht? Ups, dann hab ich euch jetzt ein paar schlaflose Nächte beschert? Ich bin leider nicht wirklich reuig, weil ich muss auch oft mit schaudern an diese Geschichte denken – dann teilen wir jetzt wenigstens diese Schauergeschichte;))

 

 

Und was haben wir noch im Zoo? Aja, Schlangen, leuchtend grün, kurz, lang, dick, dünn, allerlei Exemplare begegnen uns tot auf den Straßen in Thailand. Allein der Gedanke so eine könnte sich mal aus einem Busch schlängeln, neben dem ich Pipi mache, lässt mir einen Schauer den Rücken hinunterlaufen, der kurz vor Angststarre kommt. Ich trample also elefantenartig (nein, nicht meine normale Gangart) durch den Busch, wenn ich Pipi  muss und hoffe so genügend auf mich aufmerksam zu machen, dass man nicht aus versehen in meine Radlerwade beißen muss.

Apropos Radlerwade. Die scheinen eine besondere Anziehung auf die freilaufenden Hunde in Thailand auszuüben. Klar, die gibt es nicht erst seit hier – jedes Land hat so seine ganz eigene Hundearmada, in manchen Ländern sind die meisten verschreckt und schwanzklemmend, in manchen ist der großteil der Hunde aber auch angriffslustig. Hängt irgendwie mit dem allgemeinen Verhältnis der Kultur hinsichtlich Hunden zusammen. In Thailand jedenfalls gibt es Hunde, die jemandem gehören und ihr Territorium verteidigen, in dem sie z.B. wie ein Pfeil aus der Einfahrt geschossen kommen, bremsen, bellen und dann beginnen auf Höhe meiner Waden oder neben den Radtaschen ein Stückchen weiter hinten hinter uns herzurennen. Meist nur großes Getue, aber manchmal ist man sich da nicht so sicher, wenn einer der größeren Hunde die Zähne fletscht, da spritze ich dann lieber Mal ein bisschen Wasser aus meiner Trinkflasche auf das erhitzte Gemüt. Das reicht meistens um Verwirrung zu stiften und man lässt von uns ab.

Aja, meine Freunde die Ameisen. Ich weiß, diese Tiere sind immens wichtig für die Bodengesundheit das hält mich jedoch nicht davon ab, ab und zu entnervt zu sein. Vorzugsweise kapert man nämlich über Nacht meine Zahnbürste, die unschuldig im Badezimmer in einem Becher lehnt und stürmt dann entsetzt morgens los, wenn ich es wage meine Zähne putzen zu wollen. Die kleinen schwarzen, sich bewegenden Punkte kann ich glücklicherweise auch ohne Brille erkennen und schiebe sie so nicht aus versehen in den Mund. Weniger verständnisvoll bin ich, wenn man nachts beschließt eine Ameisenstraße durch mein Bett zu bauen und dabei keine Rücksicht darauf nimmt, dass ich mit tausenden von kleinen krabbelnden Füßchen auf mir leider nicht schlafen kann. Da werde ich dann zum Tier, so wie Daniel zum Jäger wird, wenn sich mal ein Moskito in unser Zimmer verirrt hat. Er kann auch ohne Vorwarnung nachts das Licht anschalten und dem hohen Surren, das ihn geweckt hat mit seiner Unterhose bewaffnet folgen. Ein herrlicher Anblick.

Desweiteren gibt es natürlich noch eine beträchtliche weitere Zahl an Insekten, die ich teils leider nicht einmal einordnen kann, die auf unseren Sachen rumkrabbeln oder eine MFG auf dem Tandem nehmen, ohne uns vorher zu informieren. Manchmal rennt im Bad auch ne Kakerlake vorbei, wenn man gerade thront. Zweimal haben das auch kleine Frösche getan. Nie ist man allein auf dieser Welt!

Und so versuchen wir die Contenance zu bewahren, mit dem ganzen Zoo um uns und es gibt tatsächlich mehr als eine Schönheit daran: Das Konzert, das uns abends in den Schlaf singt, ist atemberaubend – da kann man den Rest auch irgendwie ertragen.

Home sweet Home

Wenn man auf die Karte schaut, die immer auf unserer Fronttasche mitfährt und die unsere Route zeigt, damit wir auch Menschen, deren Sprache wir nicht sprechen erklären können woher wir kommen und wohin wir wollen, dann sieht man, dass wir schon mehr als ¾ der Strecke hinter uns haben. In China haben wir außerdem die Zeit uns einmal ernsthaft mit unserer Rückreise per Containerschiff zu beschäftigen und das führt dazu, dass die Gedanken zum ersten Mal seit wir los sind wieder öfter zuhause landen. Das ist irgendwie zwiespältig, weil man will ja das, was man gerade erlebt in vollen Zügen genießen und im Moment sein – und nicht dauernd an eine Zukunft denken, die vielleicht niemals so eintritt, wie man sich das vorstellt. Andererseits kann man heutzutage nicht mehr einfach so auf ein Containerschiff springen und sich jeden Abend mit dem Kapitän betrinken – da gibt es Agenturen und Preise zu vergleichen, Versicherungen, Impfungen und einen Wust an Papierkram zu erledigen und deswegen muss man sich irgendwann einen Plan zur Heimreise zurechtlegen. Das machn wir also ein wenig widerwillig und ein wenig vorfreudig.

Und somit ist dies wohl die zweite große Fokusänderung. Sie ist nicht so stark und vordergründig, wie die der inneren Reise, aber sie ist da. Und irgendwie ist es ja auch schön an Butterbrezeln, Kletterstammtische und all die dringend nötigen Umarmungen und Wiedersehenstränchen zu denken. Wir sind ja nicht aus einem Leben geflohen, das wir nicht mochten. Wir haben uns eine Weile von lieben Menschen verabschiedet, um die Welt zu entdecken, um Neues zu lernen, um uns Zeit zu geben eine andere Perspektive einzunehmen. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht teilnehmen würden, an dem was während unserer physischen Abwesenheit zuhause passiert, dass wir nicht schätzen würden wieder zu diesen lieben Menschen zurückzukehren. Wir wollen einfach die Zeit, die uns auf unserem Abenteuer noch bleibt nutzen und offen sein. Damit wir die Zeit, in der wir dann zurückgekehrt sind genauso genießen können und nicht sagen müssen: Wir haben diesen Moment aber schon 1000 Mal in unserer Vorstellung durchgespielt und jetzt ist der ganz anders. Deswegen bleiben wir im hier und jetzt so gut wir können und erlauben uns ab und zu einen kleinen Augenblick an unsere Rückkehr zu denken. Aber nicht zu fest. Damit wir dann euch ganz fest in unsere Arme schließen können, wenn es soweit ist.

Für alle Statistikfans noch die Facts:

  • 12 400 km gefahren
  • 19 Länder bereist
  • mindestens 8 Platten, zwei Mäntel und 2 Umlenkrollen niedergefahren, eine neue Nabe eingesetzt, einmal neue Schaltzüge eingezogen, 4 Paar Bremsbeläge verbremst, auf der Suche nach einem neuen Laufrad für hinte
  • immernoch ein Unfall – toitoitoi
  • die hohe Luftfeuchtigkeit treibt uns sprichwörtlich den Schweiß aus den Poren, wie wir es noch nie erlebt haben – wenn Daniel winkt, kriege ich hinten einen Schweißregen ab – lecker.
  • ungefähr noch 2000 km to go. Wir können es kaum fassen.