Der Ecocheck #1

Während man reist, befindet man sich oft außerhalb seiner Komfortzone. Reisen ist die Chance sich neu auszuprobieren, neue Ideen zu entwickeln, von anderen zu lernen und mit jungfräulicher Unvoreingenommenheit begegnen zu können. Trotzdem wirft man Dinge, von denen man überzeugt ist, nicht einfach über Bord. In unserem Leben vor der Reise haben wir unser Leben Stück für Stück „vernachhaltisiert“. Wieviel bleibt davon übrig, wenn man jeden Tag
woanders ist?

Vielleicht als kleines Vorwort: Der Grund für die Reise mit dem Tandem ist ein ökologischer. Wir wollen nicht fliegen, weil wir so wenig wie möglich zur Zerstörung unserer Atmosphäre beitragen wollen. Auch sonst würden wir gerne vorsichtig mit Ressourcen und Menschen umgehen und haben es zuhause geschafft eine Routine zu entwickeln, von der wir glauben, dass sie uns das ganz gut erlaubt. Auf einer Reise ist das schon eine größere Herausforderung. Hier ist unser Ansatz:

Eat local

Zuhause im schönen Konstanz haben wir neben 3 Wochenmärkten, auf dem wir Bioprodukte finden, unseren Bio-Bauern um die Ecke, einen Alnatura in der Stadt und wenns schnell gehen muss einen EDEKA ganz nah, der regionales anbietet. Unser eigenes kleines Gärtchen wirft auch manchmal genügend Biogemüse ab, um uns versorgen. Mit ein wenig Zeit, Tatendrang und Organisation schaffen wir es also uns zumindest zu 80 Prozent mit frischen, regionalen und saisonalen Bio-Gemüse zu versorgen. Kohlenhydrat-und Eiweißspender dazu sind je nachdem nicht regional (Reis) oder manchmal nicht bio (Barilla-Pasta). Fleisch essen wir kaum. Wenn dann mal sonntags in Form von Speck im Rührei oder verstärkt im Sommer in der Grillsaison in Form von Würstchen. Beides kommt von einer regionalen, konventionellen Metzgerei. Eier und Milch sind immer bio.

Mit so einem Speiseplan wird man auf einer Reise natürlich nicht glücklich, wenn man diesen genau so umsetzen will – obwohl wir von einer veganen Radlerin gehört haben, die konsequent war. Aber das ist nicht unser Weg. Eine Reise ist unserer Erfahrung nach unvorhersehbar, unplanbar und wir wollen uns einlassen können. Auf verschiedene regionale Spezialitäten und auf eine eventuelle Einladung, bei der wir sicher nicht die Liste an “das esse ich nur wenn…” herunterbeten. Wir haben also losgelassen. Wir essen was es gibt. Wir essen, was die Locals essen. Wenn man uns fragt, sagen wir, dass wir lieber nur Gemüse essen wollen und dass wir Zuhause auch kein Fleisch essen. Ich versuche auch immer die Worte für Reis mit Gemüse zu lernen, um es in Restaurants loszuwerden. Wir ernten entsetzte Blicke von Serbien über den Iran bis hin zu China, wenn wir sagen, dass wir kein Fleisch essen. Aber das ist okay. Das schönste ist, dass ab Südchina Bananen und allerlei exotische Früchte regional sind und wir sie voll genießen können.

Dann wäre da noch der ganze Süßkram, dem man als Radler kaum entkommt. Zuhause kommt nur Bio-Fairtrade-Schoki auf den Tisch, im Pamir sind wir Snickersabhängig. Nicht nur, dass Mars, zu dem Snickers gehört, eine der fiesen 10 Großkonzerne ist, die versuchen den gesamten Planeten mit ihren ungesunden und immer gleich schmeckenden Produkten zu homogenisieren, sie sind auch einfach eine Katastrophe für die Umwelt und alles andere als nachhaltig. Ganz zu schweigen von Fanta – gehört zu Cola – welchem Daniel ca. vom Iran bis nach Tadjikistan ebenfalls hochgradig erlegen ist. Messen wir also mit zwei Maßen, je nachdem ob wir zuhause sind oder unterwegs?

Unsere Einstellung dazu ist: zuhause haben wir die Möglichkeit. Ich kann nach und nach meine Essgewohnheiten hinterfragen, es gibt ein Angebot an nachhaltigen Alternativen und ich kann mit ein wenig Anstrengung die richtige Entscheidung treffen und durchführen. Snickers ist im Pamir alternativlos. Es gibt keinen anderen Schokoriegel (okay manchmal den aus der Türkei stammenden Ülker-Riegel – die Firma ist aber Erdogan-nah und somit auch auf der geht gar nicht Liste). Man könnte verzichten oder ein paar Kekse aus Russland essen. Vor dem Hintergrund der extremen körperlichen Anstrengung ist es ein fast heroischer Akt auf Zucker verzichten zu können – so geht es uns jedenfalls. Wir messen also nicht mit zweierlei Maßen, sondern tun pragmatisch, was wir können. Und klar, manchmal gibt es auch zuhause eine fiese Lindt-Schoki – Leben mit nur Disziplin ist dogmatisch und macht Frust-Falten. Also lieber gut planen und ab und zu mal danebenlangen. Das macht Lachfalten.

Desweiteren bevorzugen wir kleine Läden vor Ketten, sei es ein Restaurant oder Läden. Auch wenn das manchmal teurer sein kann. Wir wollen diese kleinen Strukturen unterstützen, die es bei uns zuhause aus offensichtlichen Gründen nicht mehr gibt und die ich mir jetzt zurückwünsche. Mal ehrlich, wer braucht schon 50 Sorten Joghurt zum Auswählen? Für mich ist das keine Lust, sondern eine Last, in einer Gesellschaft, die sonst nichts mit ihrer Freizeit anzufangen weiß.

Sleep local

Wir haben unser Zelt dabei und trotzdem kommen wir oft anderweitig unter. Wir sind das zelten in der Natur gewohnt und können einfach nicht, wie viele unserer lieben Radkollegen es tun, einfach neben der Straße zelten. Wir sind einfach nicht hart genug. Deswegen sind wir oft in Hotels, Hostels, Guesthouses oder Homestays zu finden. Auch hierbei bevorzugen wir klein vor groß und wollen so eher Familien unterstützen, als z.B. (inter)nationale Hotelketten. Wir lieben es mit den Menschen in Kontakt zu kommen und so einiges über die Kultur zu erfahren. Trotzdem wäre das Zelt ökologisch nachhaltiger. Unser Bettzeug und unsere Handtücher müssten nicht jeden Tag gewaschen werden und das Zelt ist da, um benutzt zu werden.

Neugier auf Augenhöhe

Für uns ist ein großer Teil des Reisens die Gedanken, Träume, Ängste anderer Menschen kennenzulernen. Wir wollen lernen und uns austauschen – auch wenn das manchmal anstrengend ist. Besonders im Iran sind die Menschen völlig aus dem Häuschen dich als Ausländer zu treffen und stellen extrem viele Fragen – auch wenn sie dich einfach grade im Park herumlungern sehen und dich angesprochen haben. Für uns ist es wichtig, dann nicht genervt abzuwinken, sondern sich Zeit für diese Fragen zu nehmen. Man nimmt sich ja auch Zeit für uns. Wir werden auch so viele, viele Male in verschiedensten Ländern zu den Menschen nach Hause eingeladen und erfahren so viel Fürsorge, das wir das auch gerne anderweitig weitergeben.

Dazu gehört auch, dass wir vorher fragen, wenn wir ein Foto oder Video machen wollen. Wir versuchen für uns fremde Gebräuche oder Sitten (solange sie nicht gegen Menschenrechte verstoßen) nicht zu beurteilen, sondern sie bestenfalls selbst ausprobieren – Beispiel schlürfen:

 

Wertschätzung

Manchmal mache ich mit Absicht kein Foto, damit es Dinge gibt, an die ich mich so erinnern muss. Und weil ich einfach den Moment genieße, ohne die Linse vor der Nase. Ab und zu möchten wir aber auch Dinge mit nach Hause nehmen, die wir in den Ländern sehen. Dabei achten wir auf Handwerkskunst. Wir fragen auch wer das Teil gemacht hat, bewundern die Fähigkeiten desjenigen. Und meist bezahlen wir dann auch einfach den Preis und verhandle nicht bis aufs Blut. Wir schätzen wert und werden uns freuen das Teil zuhause bei uns oder Freunden und Familie wiederzutreffen.

Wasser

Spätestens ab dem Iran sind wir in einer der trockensten Gegenden der Welt unterwegs. Wasser ist Mangelware, Trinkwasser sowieso. Wir brauchen mindestens 5 l Trinkwasser am Tag. In den meisten Ländern kann man das Leitungswasser nicht trinken. Wir könnten unseren Wasserfilter benutzen, um Keime aus dem Wasser zu bekommen, die uns krank machen können. Wir tun das aber nur in abgelegenen Gebieten. Denn ich befürchte eher menschlichen Einfluss: In Städten entleeren die Autowerkstätte gerne Mal irgendwelches Öl in die Kanalisation und auf dem Land sehe ich viele, viele Bauern, die mit Spritzrucksäcken zu ihren Feldern unterwegs sind. Schwermetallbelastung und Düngemittelrückstände in Lebensmitteln sind bereits im mit Vorschriften überladenen Europa ein Problem. Wie soll das also hier sein? All das wird uns nicht direkt umbringen oder uns den Magen verderben, wie es die natürlichen Erreger tun. Es besteht einfach die Gefahr, dass sich so einiges im Körper ablagert und deswegen weichen wir auf Flaschenwasser aus, welches kontrolliert werden muss. Sicher ist nichts auf der Welt und man kann sich vielen menschlichen Umwelteinflüssen nicht entziehen. Aber hier entscheiden wir uns für diese Lösung, auch wenn es bedeutet, dass wir immens viel Müll produzieren. 5 l Kanister sind selten zu bekommen, öffentliche Wasserspender gibt es nur ab und zu im Iran und in Thailand und so sind wir manchmal gezwungen 6 1,5 l Plastikflaschen zu kaufen, um unsere Tagesdurst zu stillen.

Dann gibt es da noch die anderen Dinge, für die man Wasser und Energie braucht. Duschen und Wäsche waschen zum Beispiel. Heiße Dusche nach dem Sport? Sogar im heißen Aserbaidschan eine Wohltat, nachdem wir den ganze Tag durch die Wüste gefahren sind. Es ist unheimlich schwer nicht minutenlang unter diesem wohligen Schauer seinen geschundenen Körper zu verwöhnen. Aber es ist eben nicht der Bodensee, wo Wasser im Überfluss da ist, wo mein Duschwasser geklärt werden kann, wo zumindest ein Teil der Energie, die mein Duschwasser heizt, erneuerbar hergestellt wird. Dieses Duschwasser wird nicht geklärt und mein aufgelöstes Shampoo tötet wahrscheinlich ein paar Wasserorganismen bis es irgendwo versickert und mit viel Glück, ein paar Bodenschichten und viel Zeit später vielleicht wieder als Trink-oder Brauchwasser irgendwo aus einem Brunnen gepumpt wird.

Wasser ist das, was uns leben lässt. Das merkt man bei 40 Grad im Schatten auf dem Tandem bei einer Wüstenfahrt ganz schnell. Deswegen bemühen wir uns wertschätzend damit umzugehen.

Was ist für uns also nachhaltiges Reisen? Es ist der Versuch Menschen gleichwertig zu behandeln, Fähigkeiten zu schätzen, Interesse zu zeigen. Es ist der Versuch sich immer wieder zu hinterfragen, noch eine Meile weiterzugehen, sich anzustrengen. Es ist aber auch Prioritäten zu setzen und dort nachzugeben, wo man den kleineren Impact vermutet oder wo für einen selbst weniger Fokus liegt. Alles der Reihe nach. Niemand kann in einer Welt wie unserer völlig nachhaltig leben. Und wie ihr seht sind wir auch weit davon entfernt perfekt zu sein. Aber das bedeutet nicht, dass man sich nicht anstrengen muss.

Es bedeutet, dass man wach und aufmerksam sein sollte und versuchen noch etwas besser zu machen. Bei manchem muss man sich vielleicht ein wenig informieren, um Abschätzungen treffen zu können. Manchmal weiss man einfach intuitiv, was richtig ist. Und irgendwann sind einem diese Rituale zu eigen geworden und man freut sich neues zu lernen. Außerdem schätzt man mehr, was man bewusst tut. Es ist unser aller Welt und sie hat den größtmöglichen Respekt verdient.

Und so halten wir uns an Alber Einstein:

Life is like riding a bicycle. In order to keep your balance you must keep moving.

Die liebe Lena hat uns passend zum Thema diese Seite hier empfohlen: https://www.fairtrip.org – weltweit lokale Unterkunft, Essen und Services mit Impact finden. Sie ist zwar noch schwer im Aufbau, könnte aber eine coole Sache sein, wenn das Ganze weiter fortgeschritten ist. Unbedingt im Auge behalten!