Der Herbst zieht ein, die Tage werden kürzer und nebelverhangen und wir schwelgen nochmal in Erinnerungen an unser Wanderabenteuer in den Dolomiten. Vielleicht habt ihr ja Lust mitzuschwelgen?
Bereits die Vorbereitungen für unseren Sommerurlaub zeigen, wie sehr uns das Radeln geprägt hat. Für uns ist ganz klar: wir fahren Tandem. Nur wohin? Indonesien ist doch ein bisschen weit für 10 Tage Urlaub. Die Erfahrung zeigt, dass wir für die Strecke eher 11 Monate brauchen, auch wenn wir keine Umwege über Georgien oder Kasachstan machen. Also ein näheres Ziel. Polen zum Beispiel. Klingt super in meinen Ohren, aber irgendwie bin ich nicht restlos überzeugt. Ein paar Tage später kann ich mein Gefühl in Worte fassen: mit dem Rad ist man immer sehr nahe an der Zivilisation unterwegs – zumindest im recht dicht besiedelten Europa. Man fährt auf Strassen oder Feldwegen, die dem Zweck dienen die Zivilisation zu verbinden. Am besten mit einem Fahrzeug. Ich will aber Einsamkeit, Natur und die Unendlichkeit der Zeit. Also entscheiden wir uns für eine einwöchige Wanderung in den Dolomiten.
Es ist Mitte September, das Wetter ist immer noch wie im Hochsommer und das kleine engadiner Dorf mit seinen gedrungenen und schön renovierten Häuschen erstrahlt im Sonnenschein. Wir verbringen hier ein Wochenende mit unseren lieben Freunden Alina und Roman inklusive wandern, Raclette essen und Betten mit dicken Daunendecken, bevor wir uns in die Wildnis stürzen.
Als wir sonntagmittags an der Bushaltestelle stehen, um unsere Reise in die Dolomiten anzutreten und uns von Alina und Roman verabschieden, wissen wir zwar, dass wir am Ende des Tages in Bozen, Südtirol, Italien ankommen werden, aber die Reise fasziniert uns trotzdem. Nicht nur, weil das Reisen extrem bequem ist, sondern auch, weil es einfach so reibungslos funktioniert über drei Länder hinweg. An der schweizerisch-österreichischen Grenze steigen wir einfach in einen italienischen Bus, der uns ein Stück durch Österreich schippert, bis wir die Grenze zu Italien übertreten und über den wunderschönen Reschenpass in Mals landen, wo wir die Bahn nach Bozen nehmen. Mit Öffis in den Urlaub – wir sind begeistert.
Am nächsten Tag beginnt unsere 7-tägige Wanderung auf dem Dolomiten Höhenweg Nummer 2. Typisch italienisch nehmen wir noch einen Cappuccino in einer Bar, bevor der Bus uns auf den Passo de San Pellegrino fährt und dann hat meine Euphorie ein abruptes Ende.
Nicht nur weil wir uns erstmal eine recht steile Skipiste hinaufkämpfen müssen, sondern weil mir wieder bewusst wird, wie bequem es eigentlich ist, das Gepäck nicht auf dem Rücken tragen zu müssen, sondern es wohl verteilt am Rahmen des Tandems hängen zu haben. Ich habe zwar nur zwölf Kilo auf dem Buckel und das Essen, was bedeutet, dass meine Last immer weniger wird, umso mehr Essensvorräte wir mampfen, aber meine Beine und mein Rücken stöhnen trotzdem unter der ungewohnten Last. Ich kenne das schon. Am ersten Tag einer grösseren Wanderung bin ich immer lahm und am Ende des Tages komplett erschöpft. Irgendwie scheint mein Körper zu hoffen, dass ich aufgrund der Startschwierigkeiten meine Pläne ändere und doch noch Wellness-Urlaub buche. Die Erfahrung sollte ihm zwar eigentlich zeigen, dass das nie passiert ist, aber hoffen darf man ja auch als Körper weiterhin. So schleppen wir beide und ein quietschfideler Daniel uns also durch den ersten Tag und hier schlägt auch schon das italienische Lebensgefühl ein. Auf dem nächsten Pass gibt es lecker Spinat- und Käseknödel zu mittag. Dies ist der köstliche Startschuss zu einer Art von Wandern, die ich Gourmet-Wandern nenne – kurz gesagt, wir schlafen zwar in einem Zelt, schleppen unsere ganze Ausrüstung selbst und legen am Tag ca. 16-20 Kilometer und 1000 Höhenmeter zurück- aber wir dürfen uns zumindest einmal am Tag auf ein Verwöhnprogramm auf einer italienischen Hütte freuen – meist inklusive Kaffee aus einer Siebträgermaschine oder einer Mokkakanne und dem allgegenwärtigen Strudel. Lecker!
Die folgenden Tag bestaunen wir atemberaubende Landschaften. Von kargen alpinen Steinwüsten über grüne Bergwiesen bis hin zu Ausblicken über die venezianische Ebene. Unsere Zeltplätze sind oft die einzigen zwei Quadratmeter ebene Fläche im Umkreis von einer Stunde Fussmarsch und die Sonnenaufgänge sind magisch, wenn das Nebelmeer unter uns liegt und der durch das Tageslicht schwindende Sternenhimmel über uns.
Wir geniessen die Stille um uns und die Abwesenheit von Ablenkung. Einfach nur auf einem Stein sitzen und die Landschaft anschauen. Sich freuen, wenn wir wieder ein Rinnsal gefunden haben, an dem wir unsere Wasserreserven auffüllen können. Die Einfachheit unseres Lebens und unsere Welt auf dem Rücken zu tragen, machen uns schwerelos.
Es gibt aber auch Herausforderungen. Vor allem für mich. Ich finde mich fünf Meter über dem Boden an einer senkrechten Wand wieder, in die ein paar Stahltritte getrieben sind und die ich überwinden muss. Es ist kein richtiger Klettersteig, an dem man sich mit einem Klettersteigset sichern sollte, es ist aber auch kein ausgesetzter Wanderweg mehr, sondern irgendetwas dazwischen. Ich packe die Tritte beherzt mit den Händen und drücke mit mit den Beinen hoch. Womit ich nicht gerechnet hätte ist, dass der Rucksack mir durch die Bewegung gegen meinen Kopf schlägt und ich mir dem Gewicht auf meinem Rücken noch bewusster werde. Es zieht mich nämlich ein wenig nach hinten. In Richtung des Nichts und das ist kein allzu schönes Gefühl. Meine Überlebensinstinkte sind aktiviert, meine Beine beginnen zu zittern. Jetzt bloss nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn ich herunterfalle. Und bumm – ich sehe mich unten am Boden liegen, grotesk verrenkt und höre schon den Heli anfliegen.
Glücklicherweise kenne ich den Trick. Einfach weitermachen. Also zwinge ich meine schlotterten Knie noch eine Stufe hochzugehen, ich atme schwer und mein Herz rast. Aber dadurch, dass ich mich ganz auf das konzentriere, was der nächste Schritt ist, übermannt mich meine Angst nicht. Diese Situation ist gemeistert, aber ich weiss, dass noch andere solche kommen werden. Ich muss immer wieder üben mich nicht gefangen nehmen zu lassen von meiner Angst und mit der Zeit werde ich wieder meiner eigenen Fähigkeiten wieder sicherer. Ich bin trotzdem froh, dass wir uns extra nicht für den ausgesetztesten Höhenweg entscheiden haben, sondern aufgrund des Gewichts, das das manövrieren schwieriger macht, die einfachere Variante genommen haben. Denn Mut und Übermut liegen in den Bergen nahe zusammen und ich will stets meine eigenen Grenzen nur um so viel überschreiten, wie ich verkraften kann. Wie im wahren Leben eben auch.
So wandern wir also von Herausforderung zu Strudel und Sonnenschein und immer wieder weiter. Irgendwann sind wir dann in Feltre angekommen und geniessen das Dolce Vita in dem pittoresken Städtchen bis wir wieder unsere Rucksäcke schnappen und mithilfe des öffentlichen Verkehrs unsere Heimreise über das schöne Innsbruck antreten.
Kriegt ihr grade auch wieder Lust auf Urlaub? Wir auch! Wir spüren sogar ein wenig Sonne auf der Haut.
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Für alle Nerds, die nachwandern wollen:
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