So eine Schifffahrt kann ganz schön lange sein. Wir sind froh eine hochmotivierte Crew zu haben. Das unterhält und die restliche Zeit nutzen wir, um uns langsam auf Europa vorzubereiten.
Tag fünf ist ereignislos und so freuen wir uns, als uns Lu an Tag 6 mit auf das Außendeck nimmt. Wir dürfen auf dieses Deck nicht ohne Begleitung, weil dort viele Gefahren lauern. Also setzen wir wieder mal unsere hübschen Bob-der-Bauleiter-Helme auf und machen eine Rundtour. Vorne auf dem Schiff können wir uns gerade so verkneifen Titanik zu spielen, wünschen uns aber ein paar Sonnenliegen herbei, denn an diesem Teil des Schiffs ist der Motor nicht zu hören und wir gleiten seidig und fast schwerelos auf der ruhigen See dahin.
Ganz anders am Bug des Schiffs. Dort wühlt unsere riesige Schraube das Wasser auf, wie ich es sonst nur von Wasserkraftwerken kenne. Es ist ein bisschen gruselig, soviel Kraft unter sich zu haben.
Am 1. April 2018 dürfen wir nach 2 Tagen, in denen wir nicht auf Deck durften, wegen möglicher Piratenangriffe, wieder raus. Wir befinden uns im Roten Meer auf Höhe von Eritrea und Jemen. Der Wind ist deutlich kühler geworden und es riecht wie wenn man im Frühling nach Italien ans Meer fährt. Vor meinem inneren Augen laufen Bilder von italienischem Nadelwald ab, durch den wir oft im Frühling wandern. Ich spüre dieses Gefühl, das man nach einem langen Winter hat. Dieser Drang nach draußen zu gehen, die Natur zu spüren und ganz viel Neues anzufangen. Und das obwohl wir gar keinen richtigen Winter hatten. Ich hüpfe auf und ab auf der Brücke und unsere Seemänner sind ein wenig erstaunt über dieses Bündel an Energie.
Zugleich ist Ostersonntag und wir sind den halben Tag damit beschäftigt, die Ostereier, die wir gebacken haben, einzupacken, mit Ostergrüßen zu versehen und mit den Namen der Crew zu personalisieren. Das Eiersuchen wird auf der Tafel im Speiseraum angekündigt und die Seebären verwandeln sich in aufgeregte Seebärchen, während sie darauf warten, dass der Startschuss fällt. Dann suchen alle wild drauflos:
Es ist herrlich ihnen dabei zuzusehen, wie sie den Raum nach den Nestern durchstöbern. Am meisten Freude habe aber wohl ich beim ihnen zuschauen.
Tag 11 ist dann schreeeeeeecklch laaaaaaaangweilig! Es ist Ostermontag, seit 8 Tagen ist kein Land in Sicht, die See ist ruhig und wir bekommen so langsam morbide Gedanken: Wie ist das wohl von so einer Schiffsschraube erfasst zu werden? Tut das weh, wenn man vom Brückendeck springt und auf dem Wasser aufklatscht? Wie genau kann man wohl so einen Tischtennisschläger auf ein Ziel, sagen wir ganz zufällig die Nase von Daniel, werfen? Nein, die meisten Gedanken haben ihren Ursprung nicht in der Tatsache, dass Daniel mich jeden Tag mindestens 4 mal beim Tischtennis abzieht – der war im Tischtennisverein bevor er Rad gefahren ist – sondern einfach nur an der murmeltierartigen gleichförmigkeit der Tage. Damit beruhige ich zumindest Daniel;)
Nachdem wir unsere Fähigkeit zu sich wiederholenden Tagesabläufe zur Genüge unter Beweis gestellt haben, sind wir endlich im Suez. An diesem Tag sind wir von 6 Uhr morgens bis halb 6 abends und durch das Essen unterbrochen auf der Brücke. Es ist unglaublich aufwühlend endlich wieder Land zu sehen. Wir gleiten an den Städten vorbei, in denen die höchsten Häuser meist nicht unsere Höhe erreichen. Wir sehen Häuser, Straßen, Esel, Autos, Palmen, einfach Leben. Wir fahren in einer Kolonne von 19 Schiffen und als wir in den neu gebauten Kanalabschnitt abbiegen, gleitet die entgegenkommende Kolonne an uns vorbei. Manchmal sieht es wirklich aus, als würden die Schiffe durch den Sand fahren. Wenn man sich auf einen Punkt am hinteren Ende des vorderen Schiffes konzentriert, ist es manchmal, als würde man ein Stillleben betrachten, so langsam kommen wir voran. Dürfte überholt werden, wäre es ein Schneckenrennen.
Es braucht 4 Mann auf der Brücke. Den ägyptischen Lotsen, einen Seemann, der lenkt, den Kapitän und einen Offizier. Es herrscht volle Konzentration auf der Brücke. Bei unseren momentanen 9 Knoten, bräuchten wir 20 Minuten um zum Stillstand zu kommen und der Steuermann muss vorsichtig lenken, um das Schiff nicht zum Schaukeln zu bringen. Das hört sonst nicht mehr so schnell auf. Wir wuseln von einem Deck auf das andere, um diese faszinierende Wüsten-und Oasenlandschaft zu betrachten. Und die riesigen Wüstenschiffe, die an uns vorbeiziehen. Oft sind die Containerschiffe doppelt so groß wie wir in Bezug auf die Last, die sie schiffen können. Und wir können bereits 10 000 Container mitnehmen, sind 350 Meter lang und 50 Meter breit.
Und dann sind wir im Mittelmeer. Ganz nah an Europa, an zuhause, es ist ein erhebendes Gefühl. Wie versprochen ist der Horizont im Mittelmeer keine verschwommener Dunst mehr, sondern eine gerad Linie, die den hellblauen Himmel vom dunkelblauen Meer trennt. Ich kann verstehen, dass frühe Seefahrer Angst hatten, am Ende der Welt ins Nichts zu stürzen. Genau so sieht es nämlich aus.
Die letzten beiden Tage vor Malta friere ich erbärmlich. Mein Körper scheint vergessen zu haben, wie man heizt und der Chief Engineer, der über die Klimaanlage herrscht scheint überhaupt kein Kälteempfinden zu haben. Er läuft stoisch in kurzen Hosen und T-Shirt umher, während alle anderen bereits ihre Jacken anhaben und bibbern.
Wir sind aufgeregt endlich anzukommen. Es war eine wunderbare Erfahrung und wohl genau das richtige um von unserem Vagabundenleben wieder in einen Rhytmus zu wechseln. Wir haben immens viel gelernt über Navigation, den Alltag auf einem Schiff, den Papierkrieg, der bewältigt werden muss. Wir konnten auch über persönliches mit den Männern reden und ein Gefühl dafür bekommen wie sehr es an ihnen nagt von ihren Familien getrennt zu sein. Und konnten endlich mal mit Chinesen, die Englisch sprechen über ihr Land reden.
Wir sind beeindruckt, in welch ruhiger und professioneller Atmosphäre so ein Koloss von einem Schiff durch die Weltmeere geschippert werden kann. Wir sind glücklich, dass wir immer auf der Brücke sein durften, wenn wir wollten, an jeder Gemeinschaftsaktivität teilnehmen durften. Die Herren sind echte Gentlemen, man hält mir die Tür auf, grüßt nett und achtet genauestens darauf, dass wir beim Bingo keine Zahl vergessen oder falsch eintragen, schnippelt das Obst in mundgerechte Stücke beim Essen.
Glück haben wir auch mit unserem Mitpassagier. Bruce ist auf der Überfahrt nach Frankreich, wo er seine Frau für eine weitere Reise treffen wird. Er ist ein interessierter Mensch, dessen intelligente Fragen helfen, dass wir so manches Lernen. Unsere Sonnenuntergangschnacks auf dem Deck liebe ich besonders und wir reden über die Ursprünge der Menschen, die Alpen, die globale politische Lage und wir lernen sein Heimatland Australien durch ihn besser kennen ohne selbst je dort gewesen zu sein. Wieder so eine bewegende Begegnung.
Als wir an unserem letzten Abend in die Kajüte verschwinden, wissen wir, dass um 2200 der Lotse aufs Schiff kommen wird und wir gegen 2400 in Malta einlaufen sollten. Wir sind aufgeregt. Tatsächlich Europa. Kaum zu glauben.
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