Endlich Indonesien #1

Schon bei der Einfahrt nach Jakarta sehen wir zuhauf das größte Problem der Stadt: Plastik. Es schwimmt kurz unter der Oberfläche im Meer und ich denke an die ganzen Meeresbewohner die dieser fatalen Verunreinigung ausgesetzt sind. Und ich denke an die Auswirkungen, die es für die Kanalisation der Stadt hat. Dieser Gedanke wird uns später noch einholen.

Wir scharen uns mit den anderen Fahrgästen um den Ausgang, müssen das Tandem praktisch die Gangway hinuntertragen, weil diese so steil ist und dann stehen wir im Hafen Tanjung Priok von Jakarta.

Nochmal anstellen zum Gepäck durchleuchten lassen, wir könnten ja auf dem Meer irgendwas aufgesammelt haben und dann sind wir frei. Wir sind ein wenig in Eile, weil es schon fast 18 Uhr ist, die Sonne bald unter geht, wir aber nur sehr ungern im Dunklen fahren. Das Navi lotst uns durch den riesigen Hafen und bereits an der Ausfahrt geht eigentlich gar nichts mehr. Der berühmte Jakarta-Stau, der die Wirtschaft jeden Tag rund 30 Millionen und die Bewohner immense Nerven kostet, türmt sich direkt vor uns auf. Ich muss an einen Mann denken, der mich beim Aussteigen beudeutungsvoll angeschaut und das fiese Wort Banjir gesagt hat – Überschwemmung. Da ich keinen Regen sehen konnte, dacht ich er übertreibt, aber wenn wirklich Banjir ist, dann bricht der Verkhr noch mehr zusammen als sonst.

Damit wir überhaupt auf die Spur kommen, auf die wir wollen, muss ein Polizist einen Lastwagen und gefühlte 100 Roller anhalten, ganz zu schweigen von der anderen Seite der Strasse, auf der sich Autos und Roller in kaum einem Abstand an uns vorbeidrücken. Es ist nicht einfach den Weg in dem Gewirr von ineinander verschlungenen Strassen zu finden. Erschwerend kommen noch verschiedene Ebenen dazu, was das Ganze schir unnavigierbar macht. Daniel hat seinen Boxer-Modus eingeschaltet und drückt sich genau so unverfroren in jede kleine Lücke, wie die ganzen Roller um uns herum. Da taucht plötzlich ein Motorroller neben uns auf, der uns auf englisch fragt, wo wir hinwollen. Ich sage den Stadtteil, Kelapa Gading und er nickt. Er führt uns in eine Nebenstraße und bleibt oft so dicht bei uns, dass niemand uns zu nahe kommen kann. Nach einer Weile hält er an und fragt, wo wir genau hinmüssen. Wir sagen ihm das Hotel und er nickt. Ich frage nach seinem Namen. Yudi. Er schenkt uns zwei typische Tetrapaks Tee und wir verabschieden uns. Kurz darauf stehen wir wieder in dichtem Stau, bei dem es nicht einmal schrittweise vorangeht.

Plötzlich taucht Yudi wieder neben uns auf und sagt, die Straße vorne sei unpassierbar wegen der Überschwemmung und dass wir ihm folgen sollen. Er führt uns am Rande des bereits wieder abgeschwollenen Flusses durch kleine Kampungs. Die armen Leute in Jakarta wohnen alle an Flüssen und ihre Häuser werden regelmäßig geflutet. Zum einen, weil Jakarta nur 8 m über dem Meeresspiegel liegt, zum anderen weil die Kanalisation aus der Zeit stammt, in der Jakarta noch Batavia hieß und die Hauptstadt der kolonialen holländischen Regierung war. Diese ist nicht nur marode sondern wird auch von den Unmengen an Plastik oft so stark verstopft, dass alles überqillt. Ganz zu Schweigen davon, wenn Regenzeit ist und zusätzlich riesige Wassermengen in wenigen Stunden auf Jakarta niederprasseln. Wir sind zwar am Ende der Regenzeit, trotzdem hat es an diesem Tag heftig geregnet und so fahren wir durch die überschwemmten Kampung, in denen das wasser auf der Strasse 10 cm hoch steht. Ich bin zutiefst gerührt, als ich “Monggo, Monggo” von allen Seiten höre. Die Bewohner stehen bis zu den Knöcheln im Wasser und haben trotzdem das Herz uns auf jawanisch in ihrem Kampung Willkommen zu heißen. So führt Yudi uns durch halbdunkle, überschwemmte Wege. Man weiß nie, was sich unter dem Wasser verbirgt, der einzige Anhaltspunkt ist Yudi, dessen Moped ab und zu durchgeschüttelt wird, vom unebenen Untergrund, über den er fährt. Irgendwann ist jedoch Schluss, auch für Yudis Moped, weil das Wasser fast seinen Auspuff erreicht, was dazu führen würde, dass es Wasser anzieht, keine Luft mehr zur Verbrennung zur Verfügung steht und es somit regelrecht absäuft.

Wir eiern also wieder auf die große Straße, aber dort geht gar nichts mehr. Alle Fahrer stehen um ihre Autos herum und warten – sie sind es gewohnt. Wir kämpfen uns mit Mopeds mal auf der Straße, mal auf dem Gehweg weiter nach vorne, bis Yudi uns rät das Rad über eine Mittelbefestigung zu hieven, weil er keine andere Möglichkeit sieht weiterzukommen. Wir verabschieden uns zum zweiten Mal und schieben unseres Weges. Jetzt sind wir in einer Straße angekommen, die leer ist, weil sie mindestens zu 20 cm überflutet ist. Wir versuchen über einen Parkplatz, der etwas höher liegt in unser nur noch 200 m entferntes Hotel zu kommen. Am Anfang sieht es ganz gut aus, aber die vielen Zäune, die man standardmäßig um jedes Gebäude baut, machen unsere Hoffnungen zur Nichte und so fahren wir zurück zu überschwemmten Strasse und stürzen uns in die Fluten.

Der erste Schritt ist der schlimmste. Das Gefühl, wenn das Wasser in deine Schuhe eindringt und du dir vorstellst, dass das nicht einfach Wasser ist, sondern alles, was in der Kanalisation zu finden ist. Scheiße, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir bauen die vorderen Taschen ab, weil diese bis zur Hälfte im Wasser sind und wir uns nicht sicher sind, ob unsere Flicken halten, die beide haben. Ich trage die beiden kleinen Taschen, Daniel schiebt das Tandem durch die Fluten. Es gibt noch ein paar Fußgänger, die gut gelaunt durch das Wasser waten, zwei Mädels, die einen Roller schieben und ein paar Autos, die hoch genug sind, um durch die Fluten zu fahren. Jedes dieser Autos verursacht eine Flutwelle, die mir bis über die Knie geht und die hinteren Taschen des Tandem komplett überschwemmt. Jeder, den wir treffen, ist eher in aufgekratzter Stimmung, als irgendwie genervt. Die Menschen sind so daran gewohnt damit zu leben, dass sie sich gar nicht aufregen. Kapitulation vor der Situation.

Wir müssen noch einmal die Straßenseite wechseln, bevor wir unser Hotel erreichen. Da die Fahrbahnen immer durch hüfthohe Befestigungen getrennt sind, gestaltet sich das nicht so einfach, aber wir finden aber einen Durchgang, der gerade im Bau ist und ebenfalls, wie alles andere geflutet ist. Ich marschiere voran, steuere auf die andere Seite der Straße zu, als meine Füße in weichem Schlamm stecken bleiben. Ich schwanke mit den beiden Taschen in der Hand und dem üblen Gefühl, dass der Untergrund gleich nachgeben wird. Ich ziehe einen Fuss aus dem Schlamm, immernoch voller Angst, was sich unter dem Wasser, das meine Beine bis unter die Knie verdeckt, verstecken könnte. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, frage ich den nahestehenden Wachmann, wo ich laufen kann, ohne abzusaufen und er weist mir den Weg. Daniel steckt glücklicherweise nur mit einem Fuß im Sumpf und ist bald neben mir. Wir müssen noch einmal das komplette Rad abladen, um durch einen zu Engen Durchgang zu kommen. Dabei schauen uns sicher 4 kräftige Männer zu. Ich sage nichts zu ihnen, stelle aber fest, dass uns das in einem anderen Land sicher nicht passiert wäre. Wir fahren vor dem Hotel vor und man bedeutet uns in die Tiefgarage zu fahren. Dort angekommen laden wir das Tandem ab und müssen unsere Taschen über einen Zaun heben, um zum Aufzug zu kommen. Wieder von 4 Männern beobachtet. Ich bin zu genervt, um dazu einen Kommentar zu machen und Sarkasmus versteht man hier sowieso nicht. So stehen wir also nass bis üer die Knie, verschwitzt und dreckig an der Rezeption eines einigermaßen schicken 3-Sterne Hotels. Wir werden eingecheckt und fahren mit dem Fahrstuhl und ein paar verstört dreinblickenden Chinesen in unseren Stock. Ja, wir sind gerade aus dem Dschungel gefallen. Aus dem Stadtdschungel von Jakarta.

Wir sind völlig ausgehungert und überstrapaziert und nur Yudis beide Tees geben uns die Kraft zu duschen. Daniel putzt fleißig unsere Schuhe und die Taschen. Wer weiß, was da alles dranhängt. Ich melde mich solange bei der Freundin, die wir eigentlich heute Abend noch treffen wollten. Sie weiß natürlich bereits, dass Banjir ist und sie nicht durchkommt. So verlegen wir unser Treffen. So ist Jakarta eben. Es macht es immer schwer, sobald du den Fuß aus der Tür setzen musst, um Freunde zu treffen.

Wir gönnen uns ein Abendessen im Hotelrestaurant und fallen kaputt ins Bett. Wir wollen sehen, ob wir am nächsten Tag zu unseren Freunden in den 20 km entfernten Stadtteil Kemang fahren können oder nicht. Wir hatten uns extra entschieden nur bis zu diesem 9 km vom Hafen entfernten Hotel zu fahren, weil wir mit viel Verkehr gerechnet hatten. Dass wir allerdings 3 Stunden durch Wasser waten würden, war auch für uns eine Überraschung.

Und am nächsten Tag: als wäre nichts gewesen. Leere Straßen, weil Feiertag ist, nur noch ein par Pfützen sind übrig vom Fiasko des Vortags.