Das Leben in Zeiten der Stille

Und, habt ihr schon den Lagerkoller, den Balkongarten neu entdeckt oder freut euch über die neu gewonnene Freiheit im persönlichen „Was-ich-alles-nicht-verpassen-darf“- Terminkalender? Ich persönlich komme ganz gut mit dem neuen Leben klar, aber ich habe ja auch gut reden als systemrelevante Teilzeit-Biobäuerin, die tandembedingt an Isolation mit Daniel gewohnt ist und eh schon immer gern auf dem Balkon übernachtet hat, wenn die Berge fern waren. Aber was ist mit den Menschen, die mit Tod, Jobverlust und Existenzängsten zu kämpfen haben? Ein Einblick in unser Leben in Zeiten der Stille.

Das stille Örtchen

Lustig, bevor ich anfange diesen Absatz zu schreiben, war ich nochmal schnell auf der Toilette und rupfe grinsend das letzte Fitzelchen Toilettenpapier von der Rolle. Ich zelebriere das Aufhängen der neuen Rolle mit Bedacht. Schliesslich hat es uns zwei Wochen gekostet, bis wir wieder Klopapier gekauft haben, nachdem der Lockdown angesagt war. Auf unserer geteilten Einkaufslise blieb das Feldchen vor „Toilettenpapier“ hartnäckig leer, obwohl Daniel und ich ja ganz normal einkaufen waren. Aber wir haben uns regelmässig abends daran erinnert, dass der andere doch mal Toipapier kaufen solle. Und haben darüber gelacht, dass es uns schlicht und einfach peinlich ist jetzt Toilettenpapier zu kaufen. Man will ja schliesslich nicht als Hamsterkäufer tituliert werden.  

Ich habe viele hämische Kommentare über diese gehört. Dabei muss ich sagen: Angst ist ein starkes Gefühl. Wenn man sich davon leiten lässt, dann passieren eben solche Dinge und andere Menschen haben vielleicht nicht wie ich in Indonesien gewohnt, wo man eh kein Toipapier braucht, weil man einen Schlauch an jedem WC hat, mit welchem man sich bequem alles möglich vom Hintern wischen kann und dann in die Achsamkeitsübung startet einfach noch einen Moment auf der Toilette sitzen zu bleiben, tatenlos, bis der Allerwerteste getrocknet ist und man seine Unterbüxe wieder hochziehen kann. Da wir in einer Mietwohnung leben, war das allerdings keine Option, weil wir ein Loch in den Badschrank hätten bohren müssen, um eine weitere Leitung in die Toilette legen zu können. Ausserdem gilt in unserer Welt die linke Hand nicht als unrein, wie das in Indonesien ist. Weil diese eben in direkten Kontakt mit allem „Dreckigen“ kommt. So haben wir also auch wieder Toipapier gekauft. Obwohl wir in Usbekistan gelernt haben, dass auch Zeitung geht – auch wenn das eine harte Schule war für einen gepudderten Mitteleuropäer-Po, der obendrein noch vom Radfahren gschunden war. Ging aber auch. Andere Perspektiven helfen also aus so manchem Dilemma.

Irgendwo in Indonesien – 12 Jahre zuvor

Der Kampf mit der Lust

Daniel und ich stehen mit gepackten Satteltaschen noch in der Wohnung vor der Tür. Wir schauen uns an, lassen die Taschen los und schleichen zurück ins Wohnzimmer. Es ist Samstag und wir waren gerade auf dem Weg uns mit dem Tandem irgendwo in die Büsche zu schlagen, um unserer Wanderlust nachzugehen. Wäre jetzt nicht Corona, würden wir wahrscheinlich gerade einen Berg hochschnaufen (ich) beziehungsweise quasselnd erklimmen (Daniel). Da es aber eben andere Zeiten sind und alle angehalten sind sich selbst einzuschränken und zuahuse zu bleiben, finden wir es einfach nicht richtig vor der Nase unserer Nachbarn mit vollgepacktem Tandem loszutreten. Wir diskutieren hin und her: „Ja, aber tun wir denn jemandem weh? Wir benutzen keine Öffis, kein Auto, wir kommen mit niemandem in Kontakt im Wald.“ Auf der anderen Seite: „Was, wenn auch andere durch unserer Beispiel verführt werden?“ Die Sonne wandert für uns über den Himmel und irgendwann beschliesen wir ein Picknick auf dem Balkon zu machen.

Die Sonne scheint und streichelt unsere Winterhaut, die Vögel zwitschern und wir beschliessen nach dem Essen ins Apéro überzugehen und stellen fest: „Auch mal ganz schön zuhause zu sein.“ Gegen Abend packen wir unsere Matten und Schlafsäcke wieder aus den Radtaschen und richten unser Nachtbiwak auf dem Balkon ein. Vorher spielen wir noch ein paar Brettspiele und Essen an einem Tisch zu Abend. „Glamping“  – glamorous Camping tut uns auch mal gut, finden wir. Als ich in meinem Hochtourenschlafsack einmumifiziert bin, atme ich die frische Luft ein und bin ganz zufrieden mit dem Tag.  Ausserdem erinnert mich das Ganze an meine Jugend. Da bin ich mit meiner lieben Freundin auch immer auf deren Balkon gelegen und habe den Nachthimmel angestarrt. Das einzige, was ich echt nicht mehr brauche sind die Kolonien von Weberknechten, die nachts über unsere Gesichter gewandert sind. Man kann ja gern von meiner Spucke trinken, dann aber bitte so, dass ich nicht dauernd aufwache, weil man mir über die Wange krabbelt.  Und wenns dumm gelaufen ist, war mein Reflex schneller als das Tierchen, welches dann leider zerquetscht wurde. Ich frage mich, ob es auf unserem Balkon wohl auch eine Spinnenfamilie gibt, bevor ich muckelig einschlafe.

Systemrelevanz mal anders

Spätestens nach der Finanzkrise 2008 wissen wir alle genau, wer systemrelevant ist. Damals wurden Milliarden Steuergelder dazu veruntreut (aus meiner Sicht), um marode Banken und deren spielsüchtigen Managern den Popo zu retten. Hätte man so ein paar Banken hopps gehen lassen und das Geld in Infrastruktur investiert, dann wären wir wohl heute an einem anderen Platz. Aber hey, das ist ja nur meine Sicht als Hobby-Ökonomin.

Aus meiner Sicht als neuerdings systemrelevante Teilzeit-Biobäuerin finde ich es wunderbar, dass das medizinische Personal, die Bäuerinnen und Bauern, die LKW-Fahrer und die Kassiererinnen und Kassier in kleinen und grossen Lebensmittelläden neuerdings auch gelobt werden. Anerkennung erfahren. Wird auch Zeit. Denn diese häufig arg unterbezahlten Jobs reichen manchmal kaum, um den Lebensunterhalt einer Familie zu bestreiten und trotzdem sitzen, spritzen und fahren und ackern diese Menschen häufig über 50 Stunden in der Woche, um unsere wahren Grundbedürfnisse zu stillen: Gesundheit, Nahrungsmittel, Wasser, Wärme, etc. Gut, dass wir daran mal erinnert werden.

Ich selbst arbeite gerade fast jeden Tag, auch samstags. Und ich mache es gern. Wir haben einen Lieferdienst auf die Beine gestellt, weil erstens ein grosser Teil des Einkommens des Hofes von der Direktvermarktung des Gemüses auf dem Wochenmarkt abhängt und weil wir finden genau jetzt brauchen die Menschen frisches Bio-Gemüse, um das Immunsystem zu stärken. Zu Ostern haben wir den Karfreitag durchgepackt, um am Ostersamstag liefern zu können. Die vielen, lieben Kommentare unserer Kund*Innen freuen uns mächtig und wir machen weiter, auch wenn die Gemüsekistenpackerei einer logistischen Eierei gleicht, bei 97 zu packenden Kisten, bei dem zuerst jedes Spinatblatt abgerupft, gewaschen und dann liebevoll in eine Kiste gepackt werden will. So wie die mehr als 40 anderen Produkte, die wir verkaufen und von denen der allermeiste Teil von unseren Feldern stammt. Nebenher erwacht auch der Frühling. Die Kartoffeln lechzen mit kleinen violetten Trieben danach endlich in die dunkle Erde gebuddelt zu werden, die Rüeblisamen tanzen Polonaise, um endlich in die Erde gestreut zu werden und unsere Radieschen schieben ihre prallen Körper obszön weit aus der Erde, um endlich in einen Mund zu wandern. Und das alles muss irgendwie von 4-6 Leuten gehanndelt werden, von denen manche zwar keine Schreibtischhände mehr haben (ich), dafür aber keine Ahnung vom Pflanzen, die super Traktor fahren können, aber nicht wirklich deutsch sprechen (unsere polnischen Mitarbeiter) und mein Chef Bruno, der zwar alles kann, aber gar nicht weiss wo er anfangen soll. So schieben wir unsere 10-12 Stunden Schichten und versuchen alles irgendwie zu pflügen, anzupflanzen, zu pflegen und zu ernten.

Das klingt jetzt vielleicht nach Corona Ausnahmezustand. Ist es aber nicht. Um ein Einkommen von 4.500 CHF  (alle Deutschen japsen jetzt entsetzt nach Luft – ist aber hier in der Schweiz ein eher niedriges Einkommen im Vergleich zu einem durchschnittlichen Pro-Kop-Einkommen von 6000 CHF) zu erzielen, muss ein Arbeiter in der Landwirtschaft 55 Stunden Regelarbeitszeit leisten (jetzt japsen hoffentlich alle mal nach Luft). Das ist auch der Grund warum Höfe, wie die von Bruno zunehmend verschwinden – weil es für die Kleinen einen zu grossen Aufwand bedeutet die Direktzahlungen (Subventionen) zu beantragen. Das kennt man ja aus der EU, in der man entweder seinen Hof vergrössert und daraus das macht, was kein Kunde will oder  eben – aufgibt.

Da finde ich es doch äusserst Erwähnenswert, dass Bruno die Krise nicht ausnutzt und seine Kartoffeln für 4 Franken pro Stück vertickt, sondern dass er bei 3,90 CHF/ Kilo bleibt, weil er eines schon immer als seine Aufgabe gesehen hat: Menschen mit gesunden Nahrungsmitteln versorgen. Krise oder nicht. Als ich ihn bei unserer ersten chaotischen Kistenaktion frage, wie wir das mit dem Bezahlen machen wollen sagt er: „Jetzt lieferst du das Zeugs erstmal aus und dann machen wir am Ende des Monats eine Sammelrechnung.“ Chapeau. Er muss eh bereits immer erst in Vorleistung gehen mit Samen, Setzlingen, Biodünger, Benzin etc., um das Gemüse produzieren zu können und dann dürfen die Kund*Innen auch noch bezahlen, wenn das Gemüse bereits verspeist ist.  Auch an die älteren Kund*innen denkt er: “ Wir liefern im Fall dann denen über 60 auf jeden Fall nach Hause!“ Ich rolle die Augen und erkläre ihm, dass die Leute vielleicht auch mal gern nen Spaziergang machen und dass auch andere unter 60 zur Risikogruppe gehören könnten. Er gibt meckernd klein bei und so organisieren sich unsere Kund*innen so, dass alle irgendwie an ihr Gemüse kommen.

Nochmal zurück zu meiner Kritik am System: Mir war das ehrlich gesagt nicht so bewusst, aber eine Menge Bauern und Bäuerinnen stehen immer knapp vor dem Burn-out, weil sie so viel arbeiten müssen, um Leben zu können. Dabei will ich als Kundin doch, dass die Menschen, die das Gemüse für mich anbauen sich nicht selbst ausbeuten müssen, um mir das liefern zu können. Bruno hat das mit seiner Direktvermakrtung ganz gut im Griff – obwohl ich immernoch finde, dass er ganz schön ranklotzt mit seinen 62 und zwei neuen Hüften. Wie es in Teilen von Frankreich und Deutschland aussieht, hat mir dieser Arte-Bericht gezeigt. Ich lege ihn allen ans Herz, die immernoch glauben Bauernhof wäre eine andere Bezeichnung für Ponyhof und ein einziges Idyll.

So ich hab fertig gewettert, jetzt mal wieder eine positive Seite des Ganzen:

Man sieht mich

Ich schiebe meinen klapprigen Stadt-Drahtesel die Tiefgarageneinfahrt hoch. Als ich einen Moment in der Sonne stehen bleibe, um die Wärme zu geniessen, blicke ich schräg nach links unten und erblicke den Zwerg, der gern mit seinem Velo auf der Wendeplatte seine Kreise zieht. Er ist ein blondes Kind, so um die vier und geht meist völlig in seiner Radlerei auf. Doch seit Corona ist viel weniger los auf der Wendeplatte und ich glaube er denkt es ist das erste Mal in seinem Leben, dass er mich sieht. Ich lege den Kopf schräg und halte seinem kritischen Blick stand. Er macht einen Schmollmund, hebt sein kleines Köpfchen noch ein wenig an und aus seinem bis dahin zusammengekniffenen Mund kommt ein kurzes „Hoi!“.  Ich grinse ihn an und antworte : „Hoooiiiii“ in einem sanft abfallenden Ton. Er nickt zufrieden und tritt davon. Ich steige auf mein eigenes Rad und denke: „Krass, jetzt nehmen mich schon die Kinder wahr.“ Mir ist bereits aufgefallen, dass die Menschen beim Einkaufen und auch die, die man auf dem Gehsteig trifft einem bereits wieder ins Gesicht schauen. Erstens um abzuschätzen, um man in zwei Metern Abstand aneinander vorbeikommt und zweitens wahrscheinlich auch, um zu sehen, ob mir die Nase läuft – erstes Anzeichen von Corona;) Manche grinsen mich auch verschwörerisch an, als wären wir alle in eine globale Überraschung verwickelt und wüssten alle, dass wir das nur gemeinsam bewältigen können. Ich kann keine latent agressive Stimmung spüren, wie das manch andere wahrnehmen. Aber hey, ich bin auch mit einem Tandem um die halbe Welt gefahren und habe so gelernt, dass mir normalerweise niemand etwas böses will. Viellleicht hab ich das die rosarote Radlerbrille an.

Grade fahre ich wieder an ein paar Kindern vorbei und auch die schauen mich an und brüllen artig „Grüüüüüüüüeeeeezi!“ Ich brülle ein „Hoi!“ zurück und erst da wird mir bewusst, dass der Zwerg mich wohl für gleichaltrig hielt. Denn in der Schweiz gibt es klare, auf das Alter abgestimmte Begrüssungsformeln. Und ein Zwerg müsste mich aufgrund meines weisen Alters mit „Grüezi“ grüssen, anstatt mit „Hoi“. Ich im Gegenzug darf auf keinen Fall mit „Grüezi“ antworten, sonst würde ich den oder die Jüngere Siezen und das geht nöd. Man muss das erstmal verstehen, wenn die Grossis auf dem Gehsteig stehen bleiben und einen genauer betrachten, wenn man ihnen ein freudiges „Hallo!“ entgegenschleudert. Die fragen sich dann nämlich, ob sie den Namen der jungen Frau wohl vergessen haben oder gleich die ganze junge Frau – weil sonst würde die ja mit „Grüezi“ grüssen, wenn man sich kennen würde. Ich hab das erst gecheckt, als eine Omi mal stehen geblieben ist und mich gefragt hat: „Kennen wir uns?“. „Ne.“ war meine lapidare Antwort. Dann hat sie genickt und ist weiter gezottelt. Als ich meinen Schweizer Freunden die Situation schildere, krümmen die sich vor Lachen. Klar, ältere Damen grüsst man eben mit „Grüezi“.

Nach diesem kleinen Ausflug in die Feinheiten der Schweizer Begrüssungsformeln, will ich nochmal zurück zu Corona-Zeiten kommen: Ich finds super, dass die Leute auf der Strasse mich wieder wahrnehmen. Dass man artig vor dem Regal im Supermarkt auf den anderen wartet, während er oder sie seine Sachen zusammensammelt und dann erst selbst ins Regal greift, wenn man die zwei Meter Abstand einhalten kann. Klar gibt es immer Leute, die drängeln. Aber dann niese ich einfach lautstark in meine Armbeuge und schwupps sind die schneller weg, als man denkt. Ich nehme das ganze als eine Zeit wahr, in der man wieder mehr aufeinander achtet. Und das finde ich eine schöne Seite unserer gruseligen Situation.

Mamas und Papas! sind die Besten

Wie eben schon erwähnt ist es auf unserer Wendeplatte neuerdings recht still. Dort toben sonst lautstark um die 20 Kinder Hockey spielend, auf Bäume kletternd und sich gegenseitig fangend herum. Jetzt sieht man meistens Mamis oder Papis mit ihrem eigenen Nachwuchs durch die Strasse ziehen und sich höchstens mal mit zwei Metern Abstand mit anderen Familien austauschen. Mir fehlt dass gackernde, kicherne, schreiende Chaos auf der Wendeplatte, aber ich bin auch froh, dass es all die Eltern gibt, die sich in dieser Zeit um ihren Nachwuchs kümmern. Mit kreativen Spielen, einem strengen Haushaltsführungsplan, in dem auch jedes Kind seine wichtige Aufgabe fürs Team erfüllt oder in Form von Home Schooling. Ich stelle es mir recht herausfordernd vor im Home Office knifflige Konzepte zu entwickeln, während ein Kind unterm Schreibtisch hockt und das Stuhlbein anmalt, das nächste lautstark die Spülmaschine ausräumt und das dritte durch die Wohnung brüllt: „Ich bin feeeeeeeeeeeertig. Und da ist kein Klooooooopapier!“ Aber wie man es so von Eltern gewohnt ist: sie finden trotzdem eine Lösung. Auch wenn das bedeutet, dass sie noch weniger schlafen, das Konzept ein paar Tippfehler enthält und man eben mal eine Pizza bestellen muss (klar, um das lokale Gewerbe zu unterstützen, aber auch um mal keine blutigen Finger verarzten zu müssen beim gemeinsamen Kochen).

Also an alle dies tapferen Muttis und Vatis: weiter so! Geniesst die Zeit mit den Kindern, die ihr sonst beim Pendeln verbringt, das Chaos, den Lagerkoller, denn bald sind sie so gross, dass sie keinen Bock mehr haben die Spülmaschine auszuräumen. Und bleibt kreativ! Vielleicht werden sich eure Kinder an die Corona-Zeit zurückerinnern als eine Zeit, in der ihr so viele coole Haus-Abenteuer bestritten habt, wie sonst nie wieder. Wie bei  „Kevin allein zu Haus“, nur mit Eltern. Es gibt ja auch sooooo unendlich viele tolle Ideen im Internet, was man mit den Kids alles machen kann. Manches kann man auch heimlich als Erwachsene mal wieder unternehmen. Zum Beispiel bunte Wimpel für den Balkon basteln – ich hab mein inneres Kind nämlich immer dabei.  Und ein letztes  noch: Ist es nicht herrlich, dass auch die Wetschätzung für die Erzieher*Innen und Lehrer*Innen steigt, weil man jetzt mal sieht, was das alles an Vor-und Nachbereitung braucht und dass Textaufgaben gar nicht so Pipi sind. Erinnern wir uns daran, wenn alles wieder „normal“ ist.

Reicht es für eine neue Gesellschaft?

„Normal“ sollte es aus meiner Sicht eigentlich gar nicht mehr werden. Das klingt jetzt pathetisch bis weltfremd, aber ich sehe an so mancher Stelle, dass sich unsere Gesellschaft auf Dinge besinnt, die bis anhin nicht mehr so en vogue waren. Zusammenhalt, Solidarität, nach-dem-anderen-Fragen, sich kümmern, die Natur schätzen, sich-fragen-was-man-wirklich-will-im-Leben, Entschleunigen und all die anderen Wörter, die man da so finden kann.

Denn

„Stille ist nichts für Feiglinge“

Niklaus Brantschen

und ich muss ihm da völlig recht geben. Plötzlich haben wir Zeit, um uns mit uns zu beschäftigen. Das ist nicht immer so angenehm. Und trotzdem wichtig. Meine Theorie ist ja, dass uns das allen mehr davon gut täte. So versuche ich jeden Tag eine kleine Mediation zu machen. Ist nicht einfach und manchmal ist es so laut in meinem Kopf, dass sich dabei überhaupt keine Stille einstellt. Aber ich bleib mal dran. So als Hobby- Meditatorin.

Sterben in Zeiten der Stille

Meine Tante ist gestorben. Sie hatte erst ein Jahr entdeckten Krebs und ist in (die) Stille gegangen.  Zuhause, im Rahmen ihrer vier Kinder, ihres Mannes und ihrer eigenen Mutter. Das war drei Wochen nachdem die Ärtze sie nach Hause geschickt haben, weil sie keine Therapiemöglichkeiten mehr sahen. Sie hat gelitten und ihre Familie sagt, dass es gut war, dass sie gehen durfte.  Um ihr noch mehr Schmerz zu ersparen. Ich bekomme das alles nur übers Telefon mit. Die Grenzen sind zu, ich bin in der Schweiz, meine Familie in Deutschland. Es ist recht surreal, wenn der Verstand versucht eine Tatsache zu verstehen, die so gravierend ist. Ich bin einfach nur schockiert, nicht traurig. Ich suche in mir nach Zeichen der Trauer und kann keine finden. Die Beerdigung findet mit 10 Menschen statt. Ich kann nicht dabei sein. Dafür fahren Daniel und ich auf einen Pass in der Schweiz und machen unser eigenes kleines Ritual. Denn es ist wichtig physisch aktiv zu werden, um Abschied nehmen zu können. Es nur in Gedanken verstanden zu haben, ist nicht dasselbe.

Ich muss an all die Menschen denken, die ohne ihre Angehörigen sterben mussten. Im Beisein von Fremden, die sich um sich kümmern, dabei aber Schutzkleidung tragen müssen. Ich frage mich, wie es ist seine letzten Stunden in einer sterilen Umgebung zu verbringen, in der alles irgendwie nach Science Fiktion aussieht mit Masken, Plastik, blinkenden Geräten. Ich muss mal wieder feststellen: Ärzte vollbringen in diesen Tagen übermenschliches. Vor allem, wenn sie die Entscheidung treffen müssen, wer beatmet wird und wer nicht. Sie entscheiden sonst schon immer irgendwie über Leben und Tod mit, aber in dieser Situation erst recht. Und da bleibe ich gerne zuhause, wenn es dabei hilft, dass sie nicht entscheiden müssen. Das ist meine eigentliche Motivation.

Nach dem Ritual erzähle ich Daniel ein paar Anekdoten, die ich mit meiner Tante erlebt habe. So ist sie irgendwie doch mit uns auf dem Pass unter dem weiten blauen Himmel und es ist ein friedlicher Moment. Wir werden sie alle vermissen, aber das wird für mich real erst werden, wenn ich an Weihnachten am Tisch sitze und ihr helles Lachen nicht durch den Raum schallt. Wenn ich Anfang Dezember vergeblich auf den Adventskalender warte, den sie mir stoisch auch noch mit meinen über 30 jedes Jahr verlässlich am 4. oder 5. Dezember hat zukommen lassen und ich dann die diebische Freude empfand gleich 4 oder 5 Türchen aufmachen zu dürfen. Ich bin froh, dass ich ihr immer gesagt habe, wie sehr ich mich über die Aufmerksamkeit freue. Denn jetzt könnte ich es nicht mehr. Wieder einmal stehe ich erfürchtig vor dem Leben und werde mir bewusst, wie verletzlich wir alle sind. Ich habe dieses Gefühl oft in den Bergen. Wenn wir mehrere Tage unterwegs sind und dann schlechtes Wetter einbricht und ich verstehe welch dünner Faden uns mit dem Leben verbindet. Zu spüren, dass ich mit allem verbunden, aber eben nur ein klitzekleines Teilchen in einer unendlichen Zeit bin. Das rückt meine eigene Wahrnehmung immer wieder zurecht und lässt mich dankbar sein für all die Momente, die ich erleben darf.

So erlebe ich auch diese Situation als etwas, aus dem ich lernen kann. Mich nicht in der Fülle der Ablenkungen zu verlieren, sondern ab und zu bewusst einfach in der Stille zu sitzen. Zu lauschen. Wie es mir geht, wie die Vögel draussen ein Konzert veranstalten, wie es draussen eben gerade auch still ist. Bei all den schlimmen Auswirkungen ist es magisch. Auch wenn ich mich kaum traue das zu sagen, bei den Dingen, die in ärmeren Ländern noch dazukommen werden. Aber das ist leider auch in normalen Zeiten nicht anders.

Und ich hoffe ich finde einen Weg nach der grossen Stille ab und zu die kleine Stille zu suchen. Nur für mich und doch auch irgendwie für alle.

P.S.: Wer absolut keine Lust hat sich weiter mit dem Thema Corona auseinanderzusetzenoder eine Pause braucht, dem empfehle ich das Buch „Die Liebe in Zeiten der Cholera“ des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Marquez, an dessen Titel der Blogeintragtitel angelehnt ist. „Hundert Jahre Einsamkeit“ find ich eigentlich noch besser von Marquez. Aber ich wollte euch nicht zu sehr schocken;)