Zurück sein

Meine Mutter schließt mich im Bahnhof von St. Georgen im Schwarzwald in die Arme. Wir haben uns ziemlich genau 1 Jahr und 1 ½ Monate nicht gesehen. Und es fühlt sich an, als hätte ich sie vielleicht 4 Wochen nicht gesehen. Der Bahnhof hat sich ein bisschen verändert, meine Mami hat eine schicke neue Brille und trägt ein strahlend weißes Oberteil, das ich nicht kenne. Ansonsten ist alles wie immer. Beruhigend.

Ich habe ihr erst gestern angerufen und ihr gesagt, dass wir kommen. Ich wollte nicht, dass sie zu viel Zeit hat, um sich vorzubereiten und bereue die Entscheidung nicht, sie ein wenig überrascht zu haben. Sie hat es sich natürlich trotzdem nicht nehmen lassen Brezeln zu kaufen und Spätzle mit Linsen und Saitenwürstle zu kochen. Mama eben. Wie immer einfach herzlich. Nach und nach trudeln meine Schwester, ihr neuer Freund, den wir noch nicht kennen und mein Vater ein. Alles ohne Tränen, alles als hätten wir uns gestern gesehen. Und irgendwie ist es eben auch so. Ich habe versucht meiner Mutter mindestens einmal im Monat anzurufen, mit meinen Schwestern habe ich gewhatsapped und so alles vom neuen Freund, über das größer werdende Hundebaby bis hin zur neuen Brille meiner Mami zumindest mitbekommen. Auch wenn ich jetzt doch ganz schön baff bin, wie groß Mathilda, der Labrador meiner Schwester Virginia ist. Aus dem süßen Welpen ist eine flegelige junge Hündin geworden, die genau weiß, bei wem sie sich welche Schnitzer erlauben darf und einen abwechselnd zur Weissglut und zum Dahinschmelzen bringt.

Wir gehen es langsam an in den ersten Tagen. Erst nach und nach erfahren auch die Freunde zuhause, dass wir wieder da sind. Wir nehmen uns Zeit für alle und setzen uns nicht unter Druck alle so schnell wie möglich zu sehen. Meine Schwester Giulia und ihr Freund Julius kommen extra aus München und Wien angereist, um uns wiederzusehen. Jetzt ist die Familie zum ersten Mal wieder komplett und Mami strahlt. Daniels Papa und seine Frau Tami kommen uns im Schwarzwald besuchen, wir machen eine Wanderung und kehren in ein Ausflugslokal ein. Auch sonst bewegen wir uns immernoch viel, weil unsere Körper das einfach brauchen. Wir beginnen wieder ernsthaft zu joggen und versuchen unsere Mägen an die herzhafte deutsche Küche zu gewöhnen. So große Probleme mit der Verdauung hatten wir auf der ganzen Reise nicht.;)

Nach einer Woche fährt Daniel in unsere alte Heimat Konstanz, um formelles zu klären und Freunde zu treffen. Es ist das erste Mal seit einem Jahr, dass wir uns nicht jeden Tag sehen – und es ist herrlich. Ich fahre zu einer Freundin in die Nähe von Baden-Baden und staune über den kleinen Mann, der vor kurzem noch ein Baby war. Nach ein paar weiteren gemeinsamen Tagen im Schwarzwald, in denen Daniel darüber klagt, dass er eine Post-Reise-Depression hat und lustlos ist, fahren wir zur Konfirmation von Daniels Stiefgeschwistern in die Vulkanlandschaft des Hegau. In Singen werden wir von Daniels Schwester Désirée und ihrem Verlobten Michi abgeholt. Desi ist überglücklich ihren Bruder wieder in die Arme schließen zu können, ich stehe daneben und fühle, was ich immer fühle, wenn ich in Singen am Bahnhof stehe: “Können wir jetzt gehen?”. Ein weiteres Indiz dafür, dass ich gar nicht verstehe, dass wir so lange weg waren.

Wir fahren also nach Hilzingen, wo Marlon und Aileen konfirmiert werden. Wir lernen viele neue Gesichter kennen, erleben einen berührenden Gottesdienst und gehen dann schön Mittagessen. Nach Kaffee und Kuchen machen wir es uns auf der Terrasse von Daniels Papa gemütlich – wir werden heute Nacht die Couch belegen. Wir reden bis spät abends, haben ein wunderbares gemeinsames Frühstück und laufen dann noch die Hausstrecke zur Burg Hohentwiel im erstaunlich warmen Frühling. Dann haben wir kurz eine halbe Stunde für uns allein, bis Daniels Oma uns ausführt, bevor sie uns für diese Nacht beherbergt. Daniel ist gelöst. Bei Oma schlafen ist eben immer schön. An diesem Abend müssen wir früh zu Bett, weil wir erschlagen sind von so viel Zuwendung. Als ich am nächsten Morgen eine kleine runde jogge, sehe ich in der Ferne die Voralpen schneebedeckt leuchten und freue mich darüber, dass die noch da sind. Es gibt Dinge, auf die man sich einfach verlassen kann.

Oma fährt uns zum Bahnhof und wir steigen in den letzten Zug, der uns endgültig nach Konstanz bringt. Wir schlafen zwar noch eine Nacht in der Wohnung von Freunden, bis wir wieder einziehen können, aber Konstanz ist Konstanz. Wir kennen uns aus, wir wissen wie es läuft, wo wir einkaufen können und welche Buslinie wohin fährt. Es hält uns auch nicht lange drin. Wieder müssen wir uns unsere alte Heimat erwandern und nehmen wahr, was sich verändert hat.

Am 1. Mai wollen wir unsere Wohnung von unserem Zwischenmieter übernehmen und erleben eine mittlere Katastrophe. Wir werden zwei Tage lang schrubben und putzen, werden Mami und ihren Kärcher Dampfreiniger um Hilfe fragen und erst dann ruhen, wenn wir uns wieder wohl fühlen. Als der Moment kommt, an dem es nichts mehr zu putzen gibt, schauen wir uns an und ich frage: “Willst du hier bleiben?” Daniel schaut mich an und sagt: ”Ich glaube nicht.” Das ist auch mein Gefühl. Ich fühle mich, als ob mein jetziges Ich in meine alte Umgebung nicht hineinpasst. Nicht, weil es mir nicht mehr gefällt, sondern weil ich einfach gewohnt bin weiterzugehen, zu entdecken, neugierig zu sein. Und das ist an einem Ort, an dem man bereits viel entdeckt hat ein wenig schwierig. Wir bestärken uns nochmal darin uns Zeit zu lassen anzukommen, zu sehen, was wir wollen, zu verstehen, was der nächste Schritt ist. Ich fange zunächst wieder an in Eugens Bio Café und Restaurant Kaffees und auch alles weitere durch die Gegend zu schupsen und freue mich auf mein altes, neues Team. Das kommt schon gut. Wie immer. Und am Ende: Home is where the heart is. Und da mein Herz bei Daniel ist, ist mein zuhause ziemlich mobil.