Als Frau im Iran

Wie ist es als Frau im Iran? Ganz ehrlich? Extrem anstrengend. Der Iran erinnert mich jeden Tag daran, dass ich eine Frau bin und zwingt mich mein eigenes Frauenbild ständig zu verteidigen. Ich bin das weder aus Europa noch aus den bis jetzt bereisten Ländern gewöhnt und es macht mich alles von traurig über hilflos bis wütend. Es ist mir ein dringendes Anliegen meine Gedanken dazu aufzuschreiben. Bevor ich platze.

 


Der Iran ist seit der Revolution 1978, bei der der Shah (König) vom Thron gestürzt wurde, eine islamische Republik. Dieser Umbruch wurde von einer breiten Masse der Bevölkerung und verschiedensten Gruppierungen unterstützt. Am Ende hat die islamische Partei um den schiitische, geistlichen Führer Khomeini die Macht ganz für sich beansprucht, die Revolution gestohlen, wie viele Iraner sagen und was folgte war die Einführung von islamischen Regeln in das alltägliche Leben der Iraner, von denen kaum jemand gedacht hätte, dass sie so streng ausfallen würden. Viele ältere Menschen, die wir kennenlernen waren beim Umbruch aktiv, entschuldigen sich aber gleichzeitig bei mir dafür, das ich deswegen die Hijab tragen muss, weil sie verstehen, dass ich es nur aus Respekt ihnen gegenüber tue und nicht, weil es meiner Religion oder meiner Kultur entspricht. Ich sage jedesmal, dass es okay für mich ist, doch dass ich mich frage, wie sich viele Iranerinnen fühlen müssen, die dieser Regel unterworfen sind.

Die Einführung der islamischen Ordnung bedeutet z.B., dass Frauen per Gesetz dazu verpflichtet sind in der Öffentlichkeit ihre Haare und den Po zweimal zu bedecken. Je weiter wir uns richtung Osten bewegen, sehen wir auch immer mehr Frauen, die auch ein sogenanntes chador (Zelt) tragen – ein bodenlanger Umhang, meist schwarz, der die Frau komplett umhüllt. Schon allein das ist eigentlich skandalös, wenn man mal darüber nachdenkt. Der Staat schreibt dir vor, was du zu tragen hast. Was ich aber viel schlimmer finde ist, was es von ganz allein mit den Frauen macht. In einem Land in dem es meist über 30 Grad hat, ist es schlicht gesagt eine Bürde so viel Stoff an sich zu haben. Man schwitzt, man fühlt sich unwohl und wenn eine erfrischende Windböe kommt, rutscht der Schal vom Kopf – man muss also immer irgendwo herumzippeln. Die Bewegungsfreiheit ist extrem eingeschränkt und ich verstehe, dass viele Frauen keine Lust haben Sport zu machen oder überhaupt rauszugehen, weil man ständig diese Kluft überstreifen muss. Es ist das Gefühl, das ich im Winter in Europa habe, dieses “ach schon wieder alles anrödeln”, nur, dass es eben nicht kalt ist und man es mir vorschreibt.

Das ist noch nicht alles. Frauen ist es in der Öffentlichkeit eigentlich nicht erlaubt Sport zu treiben, zu tanzen oder an Sportveranstaltungen als Zuschauerinnen teilzunehmen. Nur um Teheran und an der Nordküste werden radelnde Frauen toleriert, draußen joggen ist ein No-Go und ich sehe ein einziges Mal eine Frau Federball spielen. Ganz zu schweigen von der Vollmontur, mit der die Frauen hier im Meer baden, während die Männer lässig in ihren Slips im Meer plantschen. Es macht mich rasend. Nicht nur, dass ich Sport persönlich als Lebensqualität empfinde und es ganz klar etwas ist, dass der Gesundheit zuträglich ist. Frauen wird somit eine selbstbestimmte,  gesunde Lebensführung verwehrt. Und die ganz einfachen Schönheiten des Lebens. Eine Frau gesteht mir, dass sie nichts schöner findet, als das Gefühl im Sommer, wenn ihr offenes Haar über ihre nackten Schultern streift beim Fahrrad fahren. Sie musste erst nach Deutschland kommen, um dieses Gefühl überhaupt kennenzulernen. Das rührt mich zu Tränen.

Es ist doch auch einfach lächerlich zu behaupten Frauen sollten keinen Sport machen, weil dann ihre Körperformen besser zu sehen seien und Männer sich dadurch angesprochen fühlen könnten. Und genau hier ist der Punkt. Männer könnten sich angesprochen fühlen. Aber anstatt in die Aufklärung und Erziehung der Männer zu investieren und klarzustellen, dass Frauen respektiert werden müssen, packt man einfach die Frauen ein. Verkehrte Welt. Als ich höre, dass Frauen nicht zu Sportveranstaltungen ins Stadion dürfen, weil sie dort unhöfliche Wörter von den dort anwesenden Männern hören könnten, die das Spiel betreffen, kann ich nur noch bitter lachen. Ich kann nicht sagen wie ungemein unfair ich es finde, dass Frauen diese einfachen Freuden verwehrt bleiben, wie sehr mein Herz blutet, wenn ich ein 14-jähriges Mädchen sehe, das gerne Rollerblades fahren würde, wie ihre Brüder draußen. Und ich ticke selbst fast aus, als wir in Teheran bowlen gehen und ich über meine Hijab noch ein Gewand bekomme und wir Mädels nicht Billiard spielen dürfen, weil wir uns dazu ja lasziv über den Tisch beugen müssten. Meine Rebellion besteht darin lasziv zu bowlen und meinen Po extra nochmal rauszustrecken, wenn ich die Kugel auf den Weg schicke. Das Problem ist: Damit entspreche ich genau dem Bild der verruchten Europäerin, die keinerlei Skrupel hat sich so aufreizend zu zeigen. Und wieder ist der schwarze Peter bei der Frau. Habe ich das Dilemma klar gemacht?

Hey, für mich alles kein Problem, ich bin nur sechs Wochen in diesem Land und für mich gelten andere Regeln. Ich werde nie von der fiesen grünen Polizei gestoppt oder darf nicht ins Regierungsgebäude, weil mein Mantou zu kurz ist, wie wir es einmal bei der Verlängerung unseres Visa erleben. Ich bin Touristin und habe somit Welpenschutz. Aber wie machen das die emanzipierten Frauen, die hier leben?

Ich höre Frauen die sagen, dass sie sich unfrei fühlen, dass sie nach Europa auswandern möchten, um ihren Mädchen ein freieres Leben zu verschaffen. Und das, wo die Familie hier so wichtig ist. Ich sehe exzellent ausgebildete Frauen, die keine Jobs finden und deswegen tief deprimiert sind. Ich lerne genau zwei Frauen kennen, die arbeiten. Eine davon ist über 30, Single und lebt mit ihren Eltern. Sie gesteht mir, dass sie nicht heiraten will, weil sie ihre eigene Freiheit liebt und weil viele Männer im Iran nur an ihre eigenen Bedürfnisse denken. Die andere hat ein Kind, einen liberalen Mann und eine Mutter, die für das Kind sorgt. Deswegen kann sie arbeiten gehen. In vielen Familien ist es einfach klar, dass die Frau zuhause ist und für die Kinder sorgt, wenn der man es sich leisten kann. Das ist Status.

Dann das leidige Thema mit dem Händeschütteln. Man sagt mir es sei ein Zeichen von Respekt, wenn man mir nicht die Hand gibt. Ich kann hier leider nicht aus meiner kulturellen Haut heraus und finde es schlicht verletzend und unhöflich, wenn Männer mir nicht die Hand geben. Es ist auch eine Kunst herauszufinden, wer wem in welcher Situation die Hand gibt und wann ich auch innerhalb des Hauses mein Kopftuch tragen muss. Denn manche Frauen behalten ihr Kopftuch auf, während ich meines abnehmen darf. Die grobe regeln in konservativen Familien ist, solange nur die Familie da ist, darf man so rumlaufen, kommt aber der angeheiratete Mann der Tochter vorbei, muss das Tuch auf. Verwirrend, weil es auch von jeder Familie anders gehandhabt wird. Ich versuche hier Respekt zu zeigen. Beim Händeschütteln ist das anders. Gegen Ende unseres Aufenthalts bin ich es leid und schüttle nur noch Hände, wenn man sie mit entgegenstreckt. Frauen geben mir natürlich immer die Hand, knuddeln und küssen mich. Das besänftigt mich ein wenig und rührt mich sehr. Doch oft geben diese Frauen dann auch Daniel nicht die Hand, was aus meiner Perspektive auch unfair ist.

Sexualität ist ein riesiges Tabuthema und deswegen hängt es wahrscheinlich auch oft so offensichtlich im Raum. Sexuelle Aufklärung ist natürlich nicht existent und sogar gebildete Frauen sind überrascht, wenn ich ihnen z.B. von der Pille als Verhütungsmittel erzähle. Zugleich scheint die meist unternomme Operation nach einer Nasenkorrektur, das Annähen des Jungfernhäutchens zu sein. Das heißt es gibt haufenweise Sex vor der Ehe, aber einfach unaufgeklärten. Und das passt überhaupt nicht zu diesem modernen Iran, der in puncto Technologie, ärztliche Versorgung und Infrastruktur sehr gut dasteht. Und es macht natürlich wieder die Frau künstlich schwächer. Wenn Sexualität als etwas dunkles und untugendhaftes angesehen wird. Aber natürlich nur für Frauen. Ich frage in dieser Situation immer, wie denn der Mann nachweist, dass er noch Jungfrau ist, wenn die Frau das gerne nachprüfen würde. Ich ernte meist betretenes Lächeln.

Natürlich kämpfen die Iranerinnen. Sie tragen ihre Kopftücher so, dass man eigentliche alle Haare sehen kann, sie tragen offene Mantous und knallroten Lippenstift. Aber es ist ein Kampf der kleinen Siege und ein endlos anstrengender und quälender, bei dem man aufpassen muss, dass das eigene Herz nicht hart und freudlos wird.

Mir geht das Herz auf, wenn Frauen an uns vorbeifahren, deren Gesichter vor Freude strahlen, weil wir da sind, aber vielleicht auch ein bisschen, weil eine Frau auf einem Rad sitzt. Hier wünsche ich mir oft, dass ich das Tandem lenken könnte. Aber es ist einfach zu viel Aufwand für uns alles umzustellen. Und auf der anderen Seite ist auch das Teil der Emanzipation: ich kann offen zugeben, dass Daniel besser Radfahren kann als ich. Nicht, weil er ein Mann ist, sondern weil er 10 Jahre seines Lebens mit trainieren verbracht hat. So einfach ist das.

Ich denke so oft: wenn Männer all das erdulden müssten, wenn sie so eingeschränkt wären in der Wahl ihrer Kleidung, der Freiheit Dinge zu tun oder zu lassen, dann wären diese Regeln ganz schnell vom Tisch. Es liegt also auch an Männern, die diese Regeln hinnehmen oder sie zumindest tolerieren, weil sie ihnen manchmal auch in die Hände spielen und ihnen das Leben einfacher machen, weil nicht diskutiert werden muss. Aber ganz, ganz am Anfang steht natürlich der konservative, geistliche Führer und die Regierung, die diese Vorgaben macht. Denn viele, viele Männer leiden mit ihren Frauen und geben ihnen jede Annehmlichkeit, um sie zu trösten.

Warum sich nichts ändert? Vielleicht weil eben doch eine Mehrheit okay ist mit den Regeln, vielleicht, weil den Iranern nichts ferner liegt als gewaltsame Auseinandersetzungen. Es gab sie als es 2009 vor allem in Teheran große Demonstrationen gegen das Regime gab und und viele denken mit Schrecken daran, wie brutal die Regierung damals vorgegangen ist. Viele setzen auf einen langsamen Wandel, eine Politik der kleinen Schritte, die jetzt durch die Wiederwahl des liberalen Präsidenten Rohani wieder bestätigt wurde.

Sechs Wochen Iran sind meine persönliche Toleranzgrenze hinsichtlich der Unfreiheit, die in diesem Land für Frauen herrscht. Ich kann hier nicht objektiv bleiben und fühle mich persönlich beleidigt von so viel Unfairness. Es geht so weit, dass ich Daniel vorwerfe sich ebenfalls machohaft zu verhalten. Ich mag also nicht, was dieses Frauenbild mit mir macht. Ich möchte das alles jedoch nicht auf den Islam als Religion schieben, sondern auf die Auslegung desselben. Und die wird von Menschen gemacht – genauer gesagt von Männern, die es dann allen aufgezwingen. Ich denke an die Diskussion in Deutschland hinsichtlich Frauenquote und Geschlechtergerechtigkeit der Sprache. Für mich persönlich schießt das alles über das Ziel hinaus, aber wenn ich sehe wo es hinführt, wenn Frauen so viele Rechte, die wir als gegeben ansehen, entzogen werden, dann bin ich doch dafür es ein wenig zu übertreiben, um am Ende wenigstens Gleichberechtigung zu erreichen. Mir ist noch einmal mehr bewusst geworden, dass Frauenrechte leider immer noch ein Thema sind, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich bitte euch also: Wann immer ihr die Chance habt, steht für Frauen ein. Steht für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen ein und dafür, dass all das Potential, das sonst vergeudet wird, sich entfalten kann. Frauen sind genauso wertvoll wie Männer. Klare Sache – eigentlich, aber in vielen Teilen der Welt leider noch kein Standard.