Der Ideologieclash


Reisen mit dem Rad wirbelt die eigene Weltanschauung oft komplett durcheinander. Man hat viel Zeit, um zu beobachten und um nachzudenken. Man erfährt Dinge hautnah und nicht nur aus zweiter Hand. Der Abstand von der gewohnten Welt und der Versuch sich in neue Welten hineinzufühlen, öffnet neue Türen und lässt ganz praktisch erfahren, was man sich sonst nur über intellektuellen Übungen erschließen konnte. Dabei krachen Welten aufeinander und man beginnt nach Alternativen zu fragen.

Wir fahren durch Uzbekistan. Ich sehe viele, viele Baumwollfelder. Ich weiß, dass u.a. sie der Grund sind warum einer der größten Binnenseen dieser Erde und ein ganzes Ökosystem drumherum vor dem Aus steht. Der Aralsee. Einst der 4.- mächtigste See der Welt, gespeist aus tausenden Zuflüssen steht kurz vor dem Kollaps, weil Stalin entschieden hat, dass das extrem trockene Usbekistan die neue Baumwollkammer der Riesenreiches werden soll. Hat geklappt. Mit ganz viel Verschwendung von Wasser und dem Einsatz riesiger Mengen an Pestiziden, die nicht nur den See verschmutzt haben, sondern die auch extreme gesundheitliche Folgen für die lokale Bevölkerung mit sich bringen. Das Beispiel gilt als eine der größten von Menschen verursachten Umweltkatastrophen.

Kasachstan. Unendliche Weiten, Steppen so weit das Auge reicht. Im Vergleich dazu leben eher wenige Menschen in den kargen Gegenden. Der ideale Platz für ungestörte Atombombentests, denkt sich das sowjetische Regime. Ich muss nicht ausführen, welche grausigen Folgen solche Tests auf die Menschen und Tiere haben, die das Pech haben, in der Nähe zu sein.

China. Ein trüber Schleier liegt über über der letzten Ruhestätte des 4. Kaisers von China. Eigentlich könnte das ein Ausflug ins Grüne sein, ein wenig ausserhalb von Xi’an. Doch tatsächlich ist der “Nebel”, der so schwer über allem liegt nicht feucht und so schwant uns bald, dass es sich um Smog handelt, der von der Armada an Kohlekraftwerken zur Energieproduktion, dem Verkehr und der industriellen Produktion herrührt. Die Partei setzt v.a. seit 2013 verstärkt darauf den Kohleanteil an der Energieproduktion, der immernoch bei über 60% liegt und vielerlei gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung hat, zu reduzieren. Dies ist jedoch ein ehrgeiziges Ziel und und sie kann den Umbau zu erneuerbaren Energien nicht von heute auf morgen leisten. So haben Fehlentscheidungen der früheren Parteikader dazu geführt, dass überhaupt ein solches System, das auf Kohle setzt installiert wurde, und die folgenden haben die Energiewende nicht früh genug beschlossen.

Über CO2 als Klimafaktor wisst ihr alle genug. Der Klimawandel ist ein schleichender Prozess, bei dem wir kognitiv nicht direkt Ursache und Wirkung verknüpfen können, weil wir als Menschen nicht fähig sind für unsere Augen unsichtbares und komplizierte, globale Zusammenhänge wirklich zu erfahren, zu erleben. Wir müssen den Umweg über unser Gehirn machen, dem unzählige Wissenschaftler erschreckende Ergebnisse in Form von Tabellen, Hochrechnungen und Schaubildern vorlegen. Hier in Xi’an ist jedoch direkt erfahrbar, was hochkonzentrierte Kohlepartikel mit Atemwegen machen. Und das ist eben nur die ganz persönliche Dimension einer viel größeren Herausforderung.

Das sind nur drei Beispiele, über die ich auf dem Rad nachgedacht habe. Gepaart mit dem Wissen, das ich durch Bücher oder Filme über die sozialen Missstände in vielen früheren kommunistischen Ländern (Unterdrückung, Repression, Unfreiheit, in China bis hin zu einer Art bürgerkriegsähnlichem Terror während der Kulturrevolution) erworben habe, kann ich nicht anders als den Kommunismus als gescheitert zu betrachten. Vielleicht sogar als menschenfeindlich, weil die großen kommunistischen Führer wie Stalin und Mao echte Psychopathen waren und trotzdem – oder gerade deswegen – an die Macht kommen konnten.

Und dann denke ich an das System, in das ich hineingeboren bin. Das mir vertrauter ist, weil ich es für mindestens 25 Jahre für das “normale” erachtet habe. Denn Kapitalismus. Und als ich so darüber nachdenke, wird mir klar, dass dieser alle oben genannten Probleme ebenfalls nicht gelöst hat, aber scheinheilig so tut, als wäre er die bessere Lösung, weil “alle die Chance haben am Wohlstand beteiligt zu werden”.

Was wir im brasilianischen oder malayischen Regenwald erleben, ist aus meiner Sicht vergleichbar mit dem usbekischen Baumwollboom. Konzerne kaufen Konzessionen von Regierungen und wandeln unvorstellbare Flächen in Soja-bzw. Palmölplantagen um. Dass die lokale Bevölkerung dafür umgesiedelt werden muss, sie ihre heiligen Stätten verlieren oder sogar komplett ihren nomadischen Lebensstil aufgeben müssen, weil nicht mehr genug Platz ist, interessiert weder die Konzerne noch die eigene Regierung, die ihre Bürger eigentlich schützen sollte. Wir verlieren auch hier jahrtausendealte Ökosysteme, mit schwerwiegenden Folgen, die wir jetzt noch gar nicht alle absehen können.

Atomkraft. Die zivile Nutzung dieser wird von (oft) privatwirtschaftlichen Unternehmen betrieben, die gerne die exorbitanten Initialinvestitionen aufbringen, um ein Atomkraftwerk zu bauen, weil sie wissen, dass die Gewinne diese übersteigen werden. Wäre da nicht dieses leidige Problem der Endlagerung des Atommülls. Oder die Kosten für das endgültige Abschalten eines Atomkraftwerkes. Diese werden dann “externalisiert”, das heißt der gesamten Bevölkerung aufgebürdet, indem deren Steuern dafür verwendet werden, das Müllproblem “zu lösen”. Gewinne machen bzw. die Stärke des eigenen Staates zeigen okay, Verantwortung übernehmen nein. Ungefähr so, lässt sich sowohl das unglaubliche Verhalten des Sowjetregimes sowie der modernen Konzerne zusammenfassen.

Bei der CO2 Thematik weiß ich gar nicht wo ich beginnen soll. Von der Tatsache angefangen, dass Konzerne Millionen investieren, um Politiker davon zu überzeugen, keine neuen Höchstgrenzen zu etablieren, keine zusätzliche Steuer im Flugverkehr zu erheben, bloß nicht in öffentlichen Verkehr zu investieren. Bis hin zu dem Narrativ, der über die milliardenschwere Werbetrommel transportiert wird: Konsum macht glücklich, egal ob es das argentinische Angus-Steak, die wöchentliche Paketlieferung mit Aufschrei oder der dicke SUV ist. Dass das alles Auswirkungen auf unser aller Erde hat, brauche ich auch hier nicht zu erwähnen. Wir wissen das alles, handeln aber nicht danach, obwohl wir die Möglichkeit hätten. Nicht wie mancher Genosse, der seine wahren Gedanken nicht teilen durfte. Und so ist der Kapitalismus dem Kommunismus nicht überlegen, sondern vielleicht noch viel zerstörerischer, weil es in unserer globalisierten Welt keine Instanz gibt, die Verfehlungen weltweit anklagen und durchsetzen kann und somit korrupte und durchsetzungunfähige Regierungen multinationalen Konzernen gegenüberstehen, die über genügend Ressourcen verfügen, um sich Politiker oder gleich ganze Parlamente zu kaufen.

Meine banale Erkenntnis in Kürze: Weil ich in ein System hineingeboren bin, verstehe ich es vielleicht besser, aber es ist nicht besser. Und: die Beispiele zeigen, wie sehr wir uns anstrengen das eine oder das andere zu rechtfertigen. Im Kapitalismus meist im Namen des Wachstums und dem daraus vermeintlich entspringenden materiellen Wohlstandes. Im Kommunismus im Namen der Nation, die nicht nur der kapitalistischen überlegen ist, sondern auch für alle Genossen eine Verbesserung der Lebensumstände verspricht.

Bei mir wirft das die Frage auf: Was, wenn wir uns von unseren Ideologien verabschieden würden und wirklich daran arbeiten würden eine gerechte Welt zu bauen, in der wir nicht nur einander, sondern auch unsere Umwelt achten? Werden wir ein System oder auch mehrere finden, die es uns erlauben ein friedliches, sinnvolles, uns und andere(s) achtendes Leben zu führen? Gibt es eine Alternative?

Ich würde es mir wünschen. Und ich in meinem ganz beschränkten Denken und dem was ich über die Welt zu wissen glaube, sehe da einige Ansätze. Da gibt es diese Unternehmen, die sich nicht dem Diktat der Gewinnmaximierung und damit auch nicht dieser furchtbaren Annahme endloser Ressourcen hingeben (welche eine bedeutende Annahme in den Wirtschaftswissenschaften ist!), sondern die einfach genug verdienen wollen. Und dabei organisch wachsen und auf Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden und Kunden eingehen können. Da gibt es diese Politiker, die sich Schritt für Schritt vorankämpfen und Dinge verändern wollen. Da gibt es jeden Einzelnen, der durch seine Kaufentscheidungen, sein Engagement im Privaten, seine Offenheit, seine Liebe und sein Mitgefühl für andere einen Teil dazu beitragen kann uns in Richtung einer Gesellschaft zu bringen, die mehr ist als die Summe ihrer Bruttoinlandsprodukte.

Dafür müssten wir aber fähig sein, nicht um unseren “Wohlstand” zu bangen, wir müssten offen sein, bereit zu teilen und Teilhabe zuzulassen. Wir müssten die Arbeit des anderen wertschätzen und darauf vertrauen, dass andere das auch mit unserer Arbeit tun. Wir dürften unser Mitgefühl nicht auf ein paar Familienmitglieder und Freunde um uns herum begrenzen, sondern müssten es ausdehnen auf andere. Mehr Vertrauen, weniger Kontrolle. Weniger Arbeit, vielleicht weniger Einkommen, aber dafür mehr Zeit, um Neues zu lernen, zu entdecken, mehr Zeit für Menschen, die mir wichtig sind oder einfach nur um im Wald spazieren zu gehen.

Ich will das neue Jahr starten, indem ich überlege,  was ich weniger tun will, anstatt, was ich noch alles tun könnte. Oder anders: was mein Leben wirklich bereichert – ohne einer Ideologie zu folgen. Ein paar Anregungen und Ideen von beeindruckenden Menschen, die ich persönlich inspirierend finde, habe ich für euch zusammengertragen:

 

Uwe Lübbermann, der Geschäftsführer von Premium Cola über seine Art zu Wirtschaften: Kurz I Lang

Zum Thema wie Ideologie auch bei überlebensnotwendigen Fragen die Menschheit spaltet:Interview mit Sebstian Pflugbeil, Physiker und Bürgerrechtler zum Thema Chernobyl (Audio).

Wie Menschn für ein Ziel zusammenarbeiten: Die Energiewerke Schönau, Energie in Bürgerhand.

Ein beeindruckender (ehemaliger) Politiker mit Vision: Ernst Ulrich von Weizsäcker  im Interview mit Harald Lesch. (Nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Er ist sein Onkel.)

18 Rules for positive living by his holyness the Dalai Lama.