Nach unserer Zeit in Sheki wollen wir eigentlich ins Flachland fahren, aber das Navi hat anderes mit uns vor und so fahren wir kurzerhand noch ein wenig am wunderschönen Kaukasus entlang, bevor es durch die schweißtreibende Kura-Aras-Steppe geht.
Und das alles nur, weil wir Elsen zufällig an einem Supermarkt treffen und er uns später noch zum Tee einlädt und uns dabei klarmacht, dass der geplante Weg nicht so toll ist, weil die Straße ein Desaster ist. Wir danken ihm für den Rat und die Würstchen, die er uns aus seinem Laster schenkt und strampeln weiter.
Kurz darauf treffen wir wieder auf zwei Radreisende, Ahmed aus der Türkei und Kevin aus Frankreich. Wir schließen uns ihnen spontan an und bemerken einmal mehr, wie anders es ist, wenn man die Sprache spricht (aserbaischanisch ist dem türkischen sehr nahe), denn es ist ein leichtes für Ahmed uns in einen Teegarten am Straßerand für die Nacht einzuquartieren. Wir freuen uns über das idyllische Plätzchen, den schönen Abend im “Teecamp” und vor allem über die Geschichten von Ahmed, der bereits 72 Länder beradelt und einiges erlebt hat.
Wir werden noch einige Male reichlich beschenkt, mit Äpfeln, Aprikosen, kühlem Wasser und Tee. Eine besondere Begenung haben wir in Biläsuar. Wir gehen dort abends in einem Restaurant essen und werden in feinstem englisch bedient. Es stellt sich heraus, dass der Chef sich persönlich um uns kümmert und wir nutzen die Gelegenheit, dass wir uns einmal auf englisch und nicht mit dem Google Translator unterhalten können, um ein wenig mehr über Aserbaidschan zu erfahren und bitten ihn an den Tisch. Es stellt sich heraus, dass Jemshid bei einer nationalen 5-Sterne-Hotelkette in Baku arbeitet, ein Buch geschrieben und dieses Restaurant in seiner Heimatstadt aufgebaut hat. Er lädt uns kurzrhand zu seinen Eltern in ein 20 km entferntes Dorf ein und wir freuen uns über diese spontane Herzlichkeit. Er lässt uns auch unser Abendessen nicht bezahlen und auf der Fahrt bekommen wir einen tieferen Einblick ins Land. Er erklärt uns, dass in seinem Restaurant kein Alkohol augeschenkt wird, da es in ländlichen Gebieten ein größeres Alkohlproblem gibt und Frauen im Gegensatz zu den größeren Städten nicht an die Universität geschickt werden.
Bei ihm Zuhause lernen wir seinen Vater kennen, der ebenfalls als Soldat in Deutschland war und immrnoch eine Auszeichnung aufbewahrt hat, die er für herausragende Leistungen beim Fussball erhalten hat. Die Mutter von Jemshid versorgt und mit Tee, wir sitzen zum ersten Mal alle auf dem Boden und Opa spielt Schach mit den Kindern. Bald drauf sind alle müde und wir werden zum Haus des Bruders begleitet, bei dem man ein gemütliches Bett in einem Zimmer mit Aircondition aufgebaut hat. Wir sind gerührt. Noch mehr gerührt sind wir, als wir am nächsten Morgen um halb 6 aufstehen (weil es sonst am Tag zu heiß zum fahren wird und wir uns das zur Gewohnheit mahen wollen, um nicht den Hitzetod zu sterben) und man bereits ein Frühstück für uns bereitet hat. Jemshid fährt uns wieder zu unserem Tandem und nachdem wir dem entsetzten Nachtwächter erklärt haben, dass wir nicht draußen übernachtet haben, legen wir los.
Wir haben nochmal einen Platten an diesem Tag und finden auch endlich die Ursache für den letzten: einen kleinen Draht, der sich fies in den Mantel gefressen hat! Wir treffen noch zwei belgische Radlerfreunde, Jeffer und Katrien, die aber aus dem Iran kommen und uns ein kleines Büchlein mit den wichtigsten Sätzen schenken und uns wertvolle Tipps geben.
Im Süden, 30 km vor der iranischen Grenze, legen wir nochmas einen Ruhetag in einem traditionellen Hotel ein. Ich fühle mich wie im Europa Park, weil alles voller kleiner traditioneller Details ist ud sogar das Reinigungspsonal in Tracht unterwegs ist. Als wir einen kurzen Abstecher in das Stadtzentrum machen, kaufen wir in einer Apotheke Kontaktlinsenwasser und sind zutiefst erfreut, als der Apotheker sich fließend mit uns auf englisch unterhält. Er lädt uns spontan zum Mittagessen ein und schließt ohne mit der Wimper zu zucken die Apotheke.
Wir sitzen zum ersten Mal in einem der wunderbaren Ladas und fahren ans Kaspische Meer. Ich bin begeistert von der frischen Brise und dem Blick auf das Meer. Turan übernimmt die Bestellung und wir verbringen einen wunderbaren Nachmittag mit Diskussionen über Religion, Politik und der Frage ob Europa entwickelter ist, als Zentralasien, wenn man die menschliche Ebene miteinbezieht. Zwischendurch genießen wir das leckere Essen, Tee, einen echten Espresso und das konstante Rauschen der kaspischen See, wenn jeder kurz seinen eigenen Gedanken nachhängt.
Turan hat ein Jahr nichts gearbeitet und es damit verbracht verschiedene Dokumentationen zu sehen. Er nennt es die beste Zeit seines Lebens weil er lernen konnte, was ihn interessiert hat und es ist beeindruckend, was er alles z.B. über Europa weiss, obwohl er noch nie dort war. Wir können uns kaum trennen und so entscheiden wir uns spontan noch eine Nacht zu bleiben. Turans Mama muss uns natürlich zum Abendessen einladen. Wir sind entzückt.
Eine kleine Anekdote zum Thema Hitze: Turan erzählt uns dass wir durch die „Wüsten“-Region gefahren sind, von der man sagt: Leute, die dort sterben, kommen entweder in den Himmel oder bleiben dort – weil die Hölle ist auf keinen Fall heißer. Aserbaidschanischr Humor at its best!
Was uns bleibt von Aserbaidschan? Wieder die Menschen, die uns geben, was sie zu geben haben, uns herzlich aufnehmen, die so aufmerksam und mitfühlend sind, dass sie uns unser Frühstück in ihrem Restaurant essen lassen, uns in die kühle Dönerbude schicken, während sie in der Sonne auf unser Rad aufpassen und uns anbieten mit uns abends noch die Stadt anzusehen. Die Begeisterung, wenn wir sagen, dass wir ihr Land toll finden und das Ausflippen, wenn wir zugeben, dass bei uns Mercedes Benz gemacht werden und unsere Fussballmannschaft auch nicht schlecht ist.
Aserbaidschan gewinnt nicht nur Herzen beim Eurovision Song Contest, das ist sicher!
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