Back in Europe #1

Wie ist es zurück in Europa zu sein? Schön.

Als wir zum Sonnenaufgang in Malta auf die Schiffsbrücke kommen bietet sich uns ein Bild, bei dem mir der Atem stockt. Die aufgehende Sonne scheint auf den hübschen Hafen vor uns. Die sandfarbenen Häuser leuchten im Morgenlicht. Dazwischen ragen Kirchtürme empor. Vor uns steht eine alte Burg auf einer Anhöhe. Drumherum ranken sich die Weinberge.

Das Bild ist vertraut und doch fremd. Es ist Malta, eine der südlichsten Spitzen von Europas und deswegen friere ich auch nicht in der Morgenluft sondern ziehe den süßen, satten Geruch des Südens ein. Frische Luft, wann hatten wir das zuletzt? Wir sind traurig unsere Crewjungs verlassen zu müssen. Wir haben zwei Wochen lang sehr viel Zeit mit ihnen verbracht und so geniessen wir die letzten Momente, die wir mit ihnen teilen.

Dann steigen wir die endlos lange Gangway hinunter in den Hafen. Wir dürfen einfach so über das Hafengelände eiern und sind beflügelt! Europa!

Nach ein wenig bürokratisch-mafiösen Anstrengungen dürfen wir den Hafen verlassen und wandern zur Bushaltestelle. Bruce ist bei uns. Er macht einen Tag Landgang bevor er nach Frankreich weiterfährt mit der APL GWANGYANG.

Wir beziehen unser auf festem Boden stehendes, pittoreskes Hostel und stürzen uns dann sofort in die Stadt. Unsere Augen freuen sich so sehr über das viele, dass sie sehen dürfen, nach so viel leerem Meer. Wir wandern ziellos durch Valetta, die Hauptstadt von Malta und sind entzückt über die steilen Treppen, die autofreien Gässchen.

Es ist eine interessante Mischung aus mehreren europäischen und arabischen Einflüssen. Unsere Neugier ist geweckt. Wir treffen uns mit Bruce und besuchen das berühmte War Museum. Die Ausstellung ist sehr interessant und mitnehmend gestaltet. Beim Durchleben des 2. Weltkriegs bekomme ich einen Kloß im Hals und muss mich wieder einmal darüber wundern, was wir fähig sind einander anzutun. Das macht mich so wütend.

So viel Tote, so viel Leid, so viel Zerstörung. Und wofür? Ich denke dabei an die zerrütteten Heimaten meiner syrischen und afghanischen Freunde und fühle eine Hilflosigkeit angesichts derer, die diese Kriege aus wirrer Machtgier lostreten und eine tiefe Traurigkeit für jene, die einfach nur ein ruhiges und glückliches Leben führen wollen und sich in den Trümmern ihrer Familien und Städte wiederfinden.

Nach dem Museum gönnen wir uns unser erstes Aperitivo mit einer typisch maltesischen Platte – wie haben wir das vermisst! Wir haben wieder einmal Glück, denn auf dem Rückweg bekommen wir ein Stück Kultur geboten. Feierlichkeiten im Rahmen des Osterfestes:

Bruce verabschiedet sich wieder auf das Schiff und wir strollen zu unserem Hostel. Dort erlebe ich meine erste Europa-Krise, weil eine der Mitarbeiterinnen unglaublich frech ist und ich das aus den asiatischen Ländern nicht mehr gewohnt bin. Außerdem fällt mir auf, dass das Miteinander im Hostel nicht so offen und interessiert ist, wie ich es bisher erlebt habe. Ich muss feststellen, dass die Anonymität wohl ein Markenzeichen von Europa ist und ich kämpfe darum offen auf die anderen zuzugehen und nicht einfach mitzumachen.

An unserem zweiten Tag schauen wir die alten Stonehenge-ähnlichen Tempel von Ħaġar Qim (maltesisch hat eine eigene, faszinierende Schrift) an und wandern durch die Blütenpracht des Frühlings. Einfach spazieren gehen, wie wir das vermisst haben!

Wir tun es den Einheimischen gleich und nehmen auch eine Flasche Wein zum Mittagessen, geniessen die Sonne und den Blick auf das Meer, auf welchem in der Ferne Containerschiffe an uns vorbeiziehen. Wir denken bereits nostalgisch an unsere Crew zurück und fragen uns, wo sie wohl gerade stecken. Dann gibt es noch ein leckeres Eis bevor wir erschöpft nach Hause fahren.

An unserem letzten Tag schauen wir uns den ältesten Teil Maltas an. Schmale Gassen, wunderhübsch hergerichtet. Wir schlürfen einen Kaffee am kleinen Hafen und schlendern dann nach Hause, um ausgeruht zu sein, wenn wir am nächsten Tag um 5 Uhr das Taxi zur Fähre nach Sizilien nehmen werden, weil noch keine Busse fahren. Der Terminal ist wie die Fähre brandneu, dennoch verschlafen wir die 1 ¾ Stunden praktisch ganz und erwachen erst wieder, als sich Sizilien vor uns auftut.

Im Hafen von Pozzallo ist nicht viel los und wir steuern auf einen Autoverleih zu, um zu fragen, ob wir das Auto auch in Messina zurückgeben könnten. Können wir nicht, dafür erklärt uns der nette junge Mann, dass er uns gerne am Bahnhof absetzen kann, wenn er hier fertig ist. Wir bedanken uns für das verlockende Angebot, wollen aber weiter, weil wir hoffen den einzigen Bus vormittags nach Ragusa zu bekommen. Also nehmen wir zwei Plätze im shared Taxi und der Fahrer wirft uns vor dem Bus, der nach Ragusa fahren soll raus. Leider fährt der Bus gar nicht nach Ragusa und man weiß auch nicht, ob dieser heute noch fährt. Drei Cubaner, die ebenfalls nach Ragusa wollen stehen wild gestikulierend auf dem Gehsteig. Unser Fahrer wittert das Geschäft und bietet uns an uns privat nach Ragusa zu fahren. Er lässt sich von 15 auf 10 Euro pro Person runterhandeln und so haben wir eine neue Reisegruppe. Wir fahren durch das wellige Sizilien und ich genieße es den Cubanern zuzuhören, die sich mit ihrem schnellen, klaren spanisch und mit enormen Körpereinsatz über den neuesten Klatsch, verflossene Liebe und neue Beziehungen auszulassen. Einfach herrlich in Italien zu sein!