Kyrgyz Summer

Nach dem Pamir sind wir ganz schön kaputt und suchen uns die vermeintlich einfachere Strecke von Osh in die kirgisische Hauptstadt Bishkek aus. Ich sitze eher mit einer halben Arschbacke auf dem Rad und denke: „Das ziehen wir jetzt noch schnell durch. “ Is klar. 10 Tage, 8000 Höhenmeter und 4 Pässe später haben wir einen farbenfrohen Kyrgyz Summer erlebt und ganz schön was gesehen von Kirgisistan.


Wir bleiben 2 Tage im verschneiten Sary Tash und genießen die Annehmlichkeiten, die Kirgisistan sogar auf dem Land zu bieten hat: Strom, heißes Wasser und Internet. Unser Gastgeber Mirbek verwöhnt uns mithilfe der kochkünste seiner Frau und einem nicht enden wollenden Fluss an heißem Wasser, sodass die Kaffee- und Teeversorgung nicht abreisst. Er macht Feuer im Ofen, bringt ungefragt Mittagessen und macht die Jurte im Hof auf, um uns Abendessen zu kredenzen. Am dritten Tag fahren wir trotzdem weiter und kämpfen unsere müden Körper über 2 Pässe nach Osh, der zweitgrößten Stadt in Kirgisistan. Wir sind verzaubert von dem Weg und den auf dieser Höhe wieder wachsenden Bäumen, die herbstlich bunt in der unglaublichen Landschaft aus schneebedeckten Gipfeln, sanften Hügeln und buntem Gestein leuchten.

In Osh haben wir mal wieder ein Apartment für uns und fläzen hart. Das herbstliche Schmuddelwetter draußen tut seines dazu und so bleiben wir länger als geplant und schauen mehr Serien als gut für uns ist. Als wir losfahren, denke ich noch, dass wir in 4-5 Tagen in Bishkek sein werden und dann nochmals 3 nach Almaty in Kasachstan brauchen werden. So radle ich drauflos und schalte den Autopilot ein, um so wenig von der, wie ich denke, viel befahrenen Straße mitbekommen zu müssen. Die ersten beiden Tage ab Osh entsprechen auch genau meinen Vorstellungen und ich bin so verwöhnt von der Ruhe im Pamir, dass mich die knapp überholennden Autofahrer extrem wütend machen. Ich bin ein paarmal kurz davor einfach ein Auto anzuhalten, das Tandem auf das Dach zu spannen und mich nach Bishkek karren zu lassen.

Zum Glück können wir widerstehen. Denn nach den ersten beiden harten Tagen lässt der Verkehr nach und die Landschaft zeigt was sie kann: ein schmaler Canyon zieht sich am leuchtend hellblauen Fluss entlang, wir treffen auf mehrere Hirten, die ihre Tiere von den Sommerweiden, über die B-Straße ins Tal treiben. Die ungeduldigen Auto-und Lastwagenfahrer hupen wie wild und versuchen so an den Schafen und Ziegen vorbeizuziehen. Bei dieser anmutigen Herde bringt das jedoch nichts. Die blockierten einfach die komplette Straße.

Einmal sperren die Hirten auch einen ganzen Tunnel, um die Tiere sicher hindurchzutreiben. Irgendwie finde ich das ein passendes Bild für das moderne Kirgisistan: Ein Land zwischen Tradition (Kirgisen waren das nomadischste Volk in Zentralasien bis die Russen kamen) und Moderne. Wir schlängeln uns weiter den Canyon entlang und als wir um die nächste Ecke biegen schlägt uns eine Windböe derart fies ins Gesicht, dass wir einen richtigen Schlenker machen. Der Wind ist unberechenbar, kommt mal von der Seite, mal von vorne und wir haben Mühe in den Sätteln und auf dem Tandem zu bleiben und wie wild gegen den Wind zu drücken. So geht das eine Weile, bis wir uns entschließen das Tandem bergab zu schieben, weil fahren zu gefährlich ist.

Wir brauchen eine Stunde für 8 Kilometer und Daniel ist am Boden zerstört als wir in einer Chaikana (Biergartenart) auf den Vierfuss sinken. „Warum muss das alles immer so hart sein? Warum kann es nicht mal einen normalen Tag geben?“ Ich verstehe ihn gut und schlage vor, dass wir für heute einfach hier bleiben und morgen weiterstrampeln. Daniel checkt das Wetter uns sieht dass der Wind jeden nachmittag um 180 Grad drehen soll. Wenn dem so wäre, müssten wir am nächsten Tag wieder gegen den Wind ankämpfen und nachmittags haben wir die Chance, dass er ein wenig von hinten kommt. Wir nehmen also nochmal all unsere Stärke zusammen und steigen aufs Tandem. Wir werden belohnt. Es gibt zwar noch ein paar nervige Böen, aber im Großen und Ganzen kommen wir gut voran und finden einen hübschen Campingplatz. Dem Geruch nach zu urteilen haben hier vorher die Hirten mit ihren Tieren gelagert und wir schlummern im Gefühl ein, im wilden Weste gelandet zu sein.

Nachdem wir noch einen Pass bezwungen haben, landen wir am Toktogul Reservoir und schon allein die Abfahrt ist atemberaubend. Azurblaues Wasser, dahinter die schneebedeckten Gipfel. Wir halten an einem lichtdurchfluteten Restaurant und genießen den Ausblick. An diesem Abend finden wir den schönsten Zeltplatz unserer gesamten Reise. Mit Blick auf das Reservoir, so weit weg von der Straße, dass man sie nicht hört. Wir genießen die nachmittägliche Sonne und das sich verändernde Farbenspiel der Sonne auf dem Wasser.

Am nächsten Tag müssen wir einen riesigen Schlenker fahren, um auf die andere Seeseite zu kommen, da es einfach keine Brücke gibt, die die beiden Ufer verbindet. Macht uns aber gar nichts aus. Wir genießen die Sonne, die nur leicht wellige Strecke und die sich immer wieder verändernden Perspektiven auf das Wasser. Wir fühlen uns abwechselnd wie in Patagonien, Bolivien und auch einmal wie auf dem Weg der Schweiz am Vierwaldstätter See. Wir sind eindeutig in Ferienlaune.

Da kann uns auch der nächste Pass nicht schrecken, nach dem wir bis nach Toktogul hinunterrollen. Wir werden nett in einem Guesthouse aufgenommen und verschwinden sofort nach dem auspacken auf den Bazar zum Mittagessen. Toktogul ist einer der schönsten Basare, die wir gesehen haben. Bunt, leise und voller Überraschungen.

Wir gönnen uns einen Tag Ruhe in Toktogul, planen unsere Chinareise und lernen u.a. Israelis, Ungaren und einen Katalanen, Genis, kennen, die uns alle von den aktuellen Entwicklungen in ihren Ländern erzählen. Nachdem Genis ausgeführt hat, dass sich die Katalanen seit Jahrzehnten in der Ausübung ihrer Kultur von den Spaniern unterdrückt fühlen, ändert sich unsere Einstellung zu den Unruhen gewaltig. Es sind intensive und interessante Abende, an denen wir immer wieder zu dem Schluss kommen, dass wir die nationalistischen Tendenzen weltweit mit Sorge betrachten. Wir stellen fest, dass wir gerne einmal ein paar dieser Rechtspopulisten hier aussetzen würden, damit sie sehen und fühlen können, wie lächerlich es ist sich über seine Unterschiede zu definieren, wenn man doch so viele Gemeinsamkeiten hat.

Zwischen uns und Bishkek stehen noch 2 Pässe als wir losfahren und der erste beginnt einen Kilometer hinter Toktogul. Wir müssen von knapp 1000 Höhenmetern auf 3200m und allein diese Aussicht lässt uns wenig euphorisch in die Pedale treten. Auch hier ist der Kyrgyz Summer (in Anlehnung an den 90-er Werbespot zu Indian Summer – nur ohne Priscilla Presley wer kennt ihn nicht?) wunderschön. Die vielen herbstlichen Farben und die klare Luft sind herrlich und so radeln wir den ganzen Tag den Berg hinauf, bevor wir bereits um 15 Uhr einen Campingplatz suchen. Wir können nicht ganz über den Pass, wollen aber auch nicht allzu hoch zelten, sodass wir uns zwei weitere Stunden Uphill für den nächsten Tag aufsparen. So haben wir Zeit noch ein wenig die immernoch eindrucksvolle Umgebung zu genießen und wieder einmal – aber diesmal eine hübsche – Kapriole des Hochgebirges mitzumachen. Plötzlicher Regen und Sonnenschein zugleich.

Als wir am nächsten Morgen aus unserem Zelt kriechen hat es wieder Minusgrade und die erste Stunde den Berg hinauf ist weniger lustig. Nach einem kurzen Frühstück in der Morgensonne treten wir weiter fleißig den Berg hinauf und landen im Winterwonderland auf dem Ala Bel Pass (3175m). Fast geschlossene Schneedecke, glitzerndes Weiss, Spuren im Schnee. Fühlt sich ein bisschen verrückt an so hoch oben zu sein mit dem Rad.

Dann gehts auch schon wieder runter und wir übernachten in einem Motel in the middle of nowhere. Man hat aber hübsche Tapeten und auch das kulinarische Angebot ist wirklich exzellent. Am nächsten Morgen geht es weiter zur Bezwingung des nun wirklich letzten Passes, dem Too Ashu oder Kamelpass. Außergewöhnlich ist: Man kann von ganz unten die 1000 Höhenmeter nach ganz oben sehen und hat so immer klar vor Augen was als nächstes kommt. Ob einen das jetzt motiviert oder nicht sei dahingestellt. Wir schnaufen also den Berg hoch und überholen gerne mal Lastwagen, die zu überladen sind um schneller zu fahren als wir. Die Aussicht in das Hochtal, aus dem wir kommen ist beeindruckend und die Sonne ist auch da,  um uns ein wenig zu wärmen.

Oben angekommen packen wir unsere Sachen um, damit wir durch den 2,6 km Tunnel, der vor ist hitchhiken können. Er soll schlecht beleuchtet sein und war auch schon Schauplatz einer Katastrophe: Bei einem Brand im Tunnel starben im Jahr 2001 Menschen an Kohlenmonoxid Vergiftungen weil der Tunnel so schlechte Ventilaoren hat und niemand das Auto ausgestellt hat. Das wollen wir uns nicht antun. Zwei Brummifahrer haben sich inzwischen zu uns gesellt und man fragt das übliche woher, wohin, warum. Als sie fertig gefragt haben und wir immernoch nicht gehen, fragen sie warum wir nicht fahren und wir sagen wir suchen einen Transport für den Tunnel. Da schnallt man ohne Umschweife die Heckplane des 12 Tonners auf, um das Tandem und unser Gepäck zu verstauen. Achso, wir hatten eher an einen der kleinen  gedacht, aber danke! Als alles eingepackt ist, werden wir mit ins Fahrerhaus verfrachtet (ist übrigens auch schuhfreie Zone) und man versorgt und mit (Granat-) Äpfeln. Die Jungs transportieren sonst Salz, fahren aber gerade leer nach Bishkek zurück und bieten uns an, uns auch direkt in die Hauptstadt mitzunehmen. Wir haben uns aber aus eigener Kraft hinauf gekämpft und wollen die Abfahrt machen und so hält man direkt nach dem Tunnel und lässt uns wieder auf unser Tandem steigen. Geld will man auf keinen Fall, man schenkt uns lieber noch einen Apfel. Super Jungs!

Die Abfahrt von diesem Pass ist die schönste, die wir je gemacht haben. Ellenlange Serpentinen, gute Straßen, wenig Verkehr  und ein nicht endend wollender Canyon in allen Farben! Als uns das Ding ausspuckt sind wir noch ganz benommen vor Glück.

Wir gönnen uns ein Mittagessen mit Konzert.

Dann beginnt aber wieder der Ernst des Radlerlebens: Eine stark befahrene Straße Richtung Bishkek mit so einigen Mordversuchen und Abdrengmanövern. Bääähhh. Wir machen nach 125 km halt in einem Motel und heben uns die letzten 30 km nach Bishkek für den nächsten Tag auf. Als wir kaputt in unser Apartment fallen, sind wir glücklich. Big City Life! Endlich mal wieder einfach nen Kaffee trinken gehen nach 6 Wochen!  Wir wissen, das klingt unglaublich, aber es ist so.