Finally the Pamirs #1

Der Plan war eigentlich euch aus dem Pamir mal wieder eine Nachhaltigkeitsstory zu kredenzen. Dann aber zieht mich diese Region so sehr in ihren Bann. Nicht nur ihre verzaubernden Täler, verschneiten Gipfeln und einsamen Weiten, sondern auch die brutalen Anstiege, die schiere physische Anstrengung und der erbarmungslose Wind hält mich zeitweise so fest im eisigen Griff, dass ich mich ergebe, mich fallen lasse, genieße und auch ganz schön leide.

Der Pamir beginnt eigentlich erst nach Kala-i-Khumb, doch schon die Anfahrt hat uns gezeigt dass mit dem Pamir nicht zu spaßen ist. Die holprigen Pisten, die Daniel extrem viel Konzentration abverlangen, um nicht dauernd einen Durschlag im hinteren Reifen zu haben, hören auch nach Kala-i-Khumb nicht auf. Während Daniel vorne alles gibt, kralle ich mich hinten am Lenker fest und versuche mit meinen Knien die fiesen Schläge auszugleichen, um nicht immer voll mit dem Po auf den Sattel zu crashen. So kämpfen wir uns Welle, um Welle nach Khorog, der größten Stadt im Pamir. Ich denke oft: wie schade, dass man die eigentlich atemberaubende Umgebung gar nicht so genießen kann, weil man so abgelenkt ist von den physischen Härten. Und von der allgemeinen Versorgungslage. Die Abgeschiedenheit der Region zeigt sich auch darin, dass es kaum Gemüse zu kaufen gibt und so müssen unsere Körper von vielen, vielen Kohlenhydraten und Fertigsuppen leben oder den immergleichen 3 Mahlzeiten, die man in den kleinen Teestuben am Wegesrand bekommt: Suppe, Plov und Mante. Natürlich immer alles mit Fleisch. Viele raten uns allerdings lieber selbst zu kochen und nach Daniels Bröckelhusten verdirbt uns dies auch ein wenig die Lust auf auswärts essen. Dann wäre da noch die ständige Angst trotz Entkeimung durch Chlor und Ultraviolettstrahlen, doch noch einem fiesen Wasserkeim zu erliegen, der einen mit Fieber und Brechdurchfall flachlegt. Wir sind wirklich keine Angsthasen und essen immer überall alles. Doch nach so vielen Geschichten sind auch wir vorsichtig. Lena, eine unserer Radlerfreundinnen verpackt es ungefähr so: Wie oft man auf dem Pamir über die Konsistenz seiner morgendlichen Thronsession spricht, ist unglaublich.

So gefangen zwischen allerlei Gedanken, physischen Anstrengungen und Ängsten, macht es irgendwie weniger Spaß dieses große Abenteuer zu bestreiten. In Khorog legen wir dann zwei Tage Pause ein, weil sich meine Knie wieder melden und ich auf keinen Fall riskieren möchte, dass sich diese wieder verschlimmern. Nebenbei meldet sich dann noch meine Kurzatmigkeit, die durch meinen Eisenmangel bedingt ist, wieder. Die Ernährung spielt hier einfach nicht für mich. Wir steigen bei Zabaida und ihrer Familie in ihrem gemütlichen Guesthouse ab. Ihr Sohn Umid ist Feuer und Flamme für die Hunde-Vidoes, die ich ihm von Mathilda, dem Laprador meiner Schwester Virginia zeige und er nutzt seine Englishkenntnisse (er ist erst 5!) um neue zu bestellen:

Was sonst passiert? Wir feiern in Khorog unser (unglaubliches) 8-jähriges. Dies zu einer Zeit, in der wir viel miteinander zu kämpfen haben. Die ständige Anstrengung und Herausforderung zerrt an unseren Nerven und wir haben kaum Reserven, dem anderen bei seinen ganz eigenen Bedenken beizustehen. Das führt zu Missverständnissen, Verletzungen, Vorwürfen und harten Diskussionen. An unserem Jahrestag nehmen wir jedoch (fast) den ganzen Tag eine Auszeit von dem allem, reden viel, sprechen uns aus, machen Pläne, kaufen uns eine schöne Torte und gehen abends in wundervoller Begleitung lecker essen.

Das rettet uns. Als wir am nächsten Tag losfahren, ist kaum etwas übrig von der wütenden Gereiztheit, die uns seit dem Anfang des Pamir begleitet hat. Wir achten wieder mehr aufeinander und versuchen dem anderen Dinge abzunehmen, auch wenn wir am Limit unserer körperlichen Leistungsfähigkeit laufen. Und wir werden belohnt. Die Straßen werden besser, die Täler weiter, wir beginnen uns auf das, was vor uns liegt zu freuen und können es endlich wieder genießen.

Wir nehmen unser erstes Homestay bei einer älteren Dame (68)- wir nennen sie liebevoll „Omi“, die allein in ihrem Haus mit angegliederten heißen Quellen lebt. Sie empfängt uns herzlich und wir verbringen einen entspannten Nachmittag neben ihren heißen Quellen (das Wasser hat mindestens 70 Grad und es ist uns unmöglich hineinzugehen) und mit ihren beiden dauerschnurrenden Kuschelkatzen.

Wir machen einen ausgiebigen Mittagschlaf und abends darf ich selber kochen für uns drei. Leider kann ich die Kartoffeln nicht so weich kochen, dass Omi die auch essen kann mit ihren schmerzenden Zähnen und so bleibt sie bei Chai. Wir verbringen eine herrlich ruhige Nacht in ihrem Haus.

Am nächsten Morgen starten gut erholt und voller Tatendrang. Wir wollen unsere Königsetappe über den ersten der beiden größten Passe machen. Den packen wir auch mit Leichtigkeit, nur leider haben wir die beiden folgenden Wellen unterschätzt, die uns dann noch erwarten. Hier schlägt die Höhe ein. Wir können nicht halten weil wir zu hoch sind. Wir haben auf 3500 m geschlafen und sind dort schon an das empfohlene Limit von 500 m Höhenunterschied gegangen. Das wollen wir nicht nochmals machen, vor allem weil Daniel die Höhe immer als Kurzatmigkeit spürt. Also ziehen wir über die beiden Wellen. Ich schwanke dauernd zwischen Wut und totaler Erschöpfung. Als wir endlich auf 3800 m ankommen, kann ich gar nichts mehr, außer ein Video für euch machen:

Wir kochen und liegen noch bei Tageslicht im Zelt. Schlafen ist aber auch nicht. Wir sind zu erschöpft, mein Rücken ächzt von der Anstrengung bergauf. Wieder sind wir völlig am Limit.

Wir fahren wieder ohne Frühstück los, wie es unsere Gewohnheit ist und es wird eine der schönsten Etappen im Pamir. Die Straße ist gut, wir haben Rückenwind, wir können die Umgebung genießen und freuen uns über die herbstlichen Farben, das karge Gelände. Auf so einer Hochebene waren wir noch nie. Wir frischen unsere Reserven im freundlichen Alichur auf, wo wir von Gulnara auf einen wärmenden Chai eingeladen werden. Dann tingeln wir weiter, die unwirkliche Straße, auf unglaublicher Höhe entlang, umgeben von Bergen, die mit Schnee gepudert sind.

Wir entschließen uns an diesem Tag wieder ein Homestay zu nehmen, weil der Wind im Tal steht und wir nicht einmal wissen, ob wir das Zelt aufgebaut bekommen. Da nutzen wir ihn lieber, damit er uns noch bis zum Hommestay hochdrückt.

Sehr gute Entscheidung. Wir werden liebevoll von Gultechra und ihrer Familie aufgenommen und dürfen erstmal am warmen Ofen mit den Kindern bei Tee und Kung Fu Panda auf dem Laptop, der von einer 12 V Batterie und Solar gespeist wird, schauen. Wir bekommen zuerst Suppe um unsere kalten Hände aufzuwärmen und später ein leckeres Abendessen bestehnd aus vegetarischen, handgemachten Mante….und ich bin dann noch ein wenig draußen unterwegs, während Daniel sich mit einem anderen Radler unterhält. Als die Sonne untergeht, machen wir uns alle bettfertig und verteilen uns auf die beiden Räume, die vom Ofen nachgewärmt werden. Wir schlafen mit Omi Hojachmat und Ainura in einem der beiden Zimmer, der Rest der Familie schaut im anderen einen weiteren Film und das leise Gekicher wiegt uns in den Schlaf.

Geweckt werden wir vom Duft des angefeuerten Ofens und den morgendlichen Klängen einer erwachenden Familie. Wir sind wunderbar erholt und traurig, die Lieben schon wieder verlassen zu müssen. Erwachsen wie sie ist, bringt Ainura uns gewärmtes Wasser nach draußen, damit wir unsere Gesichter waschen können. Die Kanne ist fast so groß wie das Mädchen, aber sie ist sichtlich stolz uns diesen kleinen Luxus geben zu können. Allgemein ist es beeindruckend, wie gut erzogen die Kinder sind und wie sehr sie die Privatsphäre der Fremden respektieren, obwohl sie dies von der eigenen Familie nicht kennen, da alle immer zusammen in zwei Räumen ohne Türen leben. Nach dem Frühstück aus Tee mit Milch und darin aufgeweichtem Brot starten wir wieder mit Rückenwind gesegnet. Wir rollen mühelos bis nach Murgab, der größten Stadt im östlichen Pamir.

Hier finden wir ein schön gestaltetes Guesthouse und Nurzat und ihre Familie verwöhnen uns mit leckerem vegetarischem Essen, Tee und einem Wintergarten, der tagsüber herrlich warm wird. Strom ist hier nämlich nicht bis November, weil das kleine Energiewerk gerade neu gebaut werden muss. So bringt man uns das heiße Wasser zum duschen in einem Eimer und auch sonst alles Wasser wird von Hand aus dem nahen öffentlichen Brunnen gepumpt und dann für den jeweiligen Verwendungszweck an Ort und Stelle geschleppt. Wir haben ein wenig den Verdacht, dass die Regierung in Dushanbe sich auch nicht allzu viel um dieses abgelegene Stück Tadschikistan sorgt, da der Löwenanteil der Bewohner bereits ethnische Kirgisen (75%) sind und man auch hier die ethnischen Konflikte unterschwellig spürt. Die Menschen in Muragb leben damit und folgen z.B. der kirgisischen Zeitzone, anstatt der tadschikischen und nennen das dann „Murgab-Time“. Revolution im Kleinen.

Nurzat hat außerdem viel zu tun, da sie vor einer Woche ein Baby zur Welt gebracht hat und nun alle Verwandten und Bekannten zu Besuch kommen und versorgt sein wollen. Wir sind dankbar, dass man sich trotzdem so liebevoll um uns kümmert und genießen die Ruhe, bevor wir wieder dem schneidenen Wind ausgesetzt sind auf unserer letzten Etappe durch den Pamir.

Für alle, die sich schon auf das Nachhaltigkeitspotrait gefreut hatten, ein paar spannende Links zu den Projekten, die mir empfohlen wurden. Danke an Anja und Sandrine!!!

  • Im Pamir – auf dem Dach der Welt. Eine Sendung von 3Sat über die Entwicklung des sanften Tourismus in Tadschikistan.
  • Panthera.org – die NGO kümmert sich u.a. um den Schutz des „Berggeistes“, den Schneeleoparden, eine beeindruckende Großkatze, über die wir immernoch so wenig wissen.
  • Wildlife Tadjikistan. Infos drüber, wie u.a. das größte Schaf unserer Erde, das Marco Polo Schaf – beeindruckende Hörner!  – geschützt wird, indem Kontingente für dessen Abschuss an internationale Jäger verkauft werden.
  • Article by Paul Salopek in the National Geographic, how the commuity based protection of wildlife works in the Pamirs.
  • Article by Tatjana Rosen, Panthera Director for Tajikistan and Kyrgyzstan concerning Snow Leopard Programs, on the trade-off why she sees the trophy hunting as means for protecting wildlife in the Pamirs.
  • Meet the Snow Leopards
  • Women rockin Pamirs, meet the strong, dedicated and beautiful women who are becoming the first female mountain guides in the Pamirs and are empowered to make their own living on that.