Tadschikistan ist mehr als der Pamir Highway

Der Pamir-Highway ist der Traum aller Radler und Biker. Eine Hochgebirgsstraße, die zweithöchste der Welt, die durch atemberaubende Täler und über unglaubliche Pässe führt. In Abschnitten Teil der Seidenstraße, in der Sowjetunion ausgebaut, um den Nachschub für Gefechte im 2. Weltkrieg zu sichern. Doch Tadschikistan ist mehr als der Pamir – und wir freuen uns auch das zu entdecken.

An der usbekischen Grenze werden wir mal wieder von oben bis unten durchleuchtet und zum ersten Mal werden auch nur die Taschen dann noch von Hand durchsucht, in denen der Scanner verdächtiges findet. In meinem Fall ist das “The museum of innocence”. Ein Roman des türkischen Schriftstellers Orhan Pamuk. Die Zollbeamtin erkennt am Namen, dass der Autor ein Türke ist und wechselt ein paar Worte mit ihrem Kollegen, in denen öfter das Wort “extremis” vorkommt. Obwohl ich jetzt keinen Extremismus von der Türkei ausgehend außerhalb der Türkei feststellen kann – außer den aufgeblasenen Worten des türkischen Präsidenten Erogan und den reihenweisen Verhaftungen von regimekritischen Journalisten und NGO – Mitarbeitern, was an sich natürlich ein Skandal ist – bange ich trotzdem um meinen Roman. Inzwischen ist der Kollege bei Daniels Necessaire angekommen und wedelt mit den Kondomen. “What is this?”. “This is why we do not have children.” ist Daniels lapidare Antwort. Wir werden nämlich öfters gefragt, wie wir 8 Jahre zusammen sein können ohne Kinder zu haben. Der Kollege versteht erst, als seine Kollegin ihm das erklärt. Wir haben den Verdacht, dass sexuelle Aufklärung hier nicht an der Tagesordnung ist. Trotzdem dürfen wir alles wieder einpacken und von dannen ziehen.

Normalerweise lese ich spätestens am Tag unserer Einreise in ein Land ein paar grobe Infos und lerne vor allem die drei Wörter, die ein Mindestmaß an Höflichkeit zulassen. “Hallo, Danke, Tschüss”. Das war mir allerdings bei der abrupten Einreise nach Tadjikistan nicht möglich und ich frage mich wie ich den Soldaten am Eingang zu Tadschikistan wohl begrüßen soll. Der sagt: “Guten Tag, darf ich bitte Ihre Ausweise sehen.” Hätte sich das dann auch erledigt. Auf unserem weiteren Weg werden wir  herausfinden, dass wir in Tadschikistan eher unsere Persisch, – als unsere Türkischkenntnisse einsetzen können, wie es in Turkmenistan und Usbekistan der Fall war, deren Sprachen dem türkischen näher sind. Erschwerend hinzukommt, dass das alles auf kyrillisch geschrieben wird. Alles sehr herausfordernd für unsere armen Gehirnchen.

Nach einer sehr schnellen Abfertigung durch die tadjikischen Beamten radeln wir die letzten 10 km bis in die nächste Stadt. Uns fällt sofort auf, dass hier die Männer immernoch die typisch usbekischen Kopfbedeckungen tragen und auch die Frauen immernoch lange, bunte Gewänder. Später werden wir erfahren, dass die Grenzen in Zentralasien durch die Sowjetunion – manche sagen von Stalin persönlich – gezogen worden sind, natürlich ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen Ethnien oder den nomadischen Lebensstil, der vor allem im heutigen Tadschikistan und Usbekistan vorherrschte und in dem nationale Grenzen kein Konzept darstellten. Dem Machtvakuum nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 folgte ein grässlicher Bürgerkrieg. Seither herrscht ein Autokrat neben dem anderen und bereichert sich selbst, anstatt wirkliche Reformen (z.B. in Gesundheits- und Bildungswesen) für die Menschen anzustreben.

In Tursunzoda angekommen fahren wir das einzige Hotel an und finden uns in den langen Gängen eines ehemaligen Sowjet-Betten-Bunkers wieder. Die Zimmer sind unter den besten, die wir seit langem gesehen haben, wir müssen nur ein wenig lange darauf bestehen, dass wir ein Zimmer bekommen, in dem das Licht funktioniert. Die Rezeptionistin versteht nicht, warum wir nicht einfach das Licht unseres Smartphones benutzen können, um zu duschen, wir verstehen nicht, warum wir nicht einfach ein Zimmer mit Licht bekommen. Sowjetische Kundenorientiertheit hält sich also hartnäckig.

Obwohl wir total erledigt sind, müssen wir nochmals raus, um Geld und eine tadjikische SIM-Card und somit Internet zu bekommen. Wir müssen unser Airbnb in Dushanbe umbuchen. Also raus in die lebendigen Straßen – und hinein ins Dunkel. Straßenbeleuchtung ist nur auf den Hauptstraßen ein Konzept, ansonsten tappst man mitten in der Stadt durch tiefstes Dunkel. Nachdem der Bankautomat Somoni ausgespuckt hat, entern wir einen Mobilfunkladen, um eine SIM-Karte zu bekommen. Und wieder haben wir riesiges Glück, denn gerade als wir daran verzweifeln, dass die Verkäuferin leider kein englisch spricht und auch unsere aufgemalten Zeichen nicht versteht, kommt Dragona hereingewirbelt und bietet uns an eine SIM Card auf ihren Ausweis machen zu lassen. Wohl gemerkt, ohne uns zu kennen. Sie schnattert ein wenig mit uns, hilft der Verkäuferin, die ihre Schwester ist bei der Aktivierung der SIM Karte und so haben wir 10 min später Internet. Sie kann es sich dann nicht nehmen lassen uns noch einen Schokoshake zu kaufen, möchte sich aber von uns nicht zum Abendessen einladen lassen. Wir gehen Somsa essen – eher runde Teigtaschen aus dem Tandoori, gefüllt mit Fleisch und Zwiebeln, dazu ein scharfes Sößchen – und fallen erschöpft ins Bett.

Nach einem fetttriefenden Frühstück strampeln wir weiter in Richtung der Hauptstadt von Tadjikistan – Dushanbe. Hier verbringen wir 4 Tage mit Organisatorischem und ruhen uns aus, bevor der Härtetest Pamir auf uns wartet. Neben unserem Besuch in der deutschen Botschaft, um an der Bundestagswahl teilzunehmen, kaufen wir medizinische und Nahrungsmittelvorräte, um für den Pamir gerüstet zu sein. Wir haben von anderen Radlern gehört, dass viele krank werden während sie den Pamir befahren und da es ein eher abgelegenes Gebiet ist, wollen wir gerüstet sein. Wie immer gestalten sich ein paar einfache Besorgungen schwierig, weil wir z.B. nicht wissen, dass man Kontaktlinsenmittel hier beim Optiker und nicht in der Apotheke kauft, wir – trotz Google Translator – nicht begreiflich machen können, was Elektrolyte sind oder weil DHL sein Büro in Tadschikistan aufgrund veränderter gesetzlicher Rahmenbedingungen geschlossen hat und wir unsere 2. Reisepässe nicht nach Hause senden können, um unser Chinavisum zu beantragen. Zum Glück gibt es beherzte andere Radler, die gerade zurück nach Deutschland fliegen und unsere Pässe einfach mitnehmen – eine riesen Hilfe! Danke Beate und Phillip!

Wir nehmen uns auch einen Tag “frei”, um Dushanbe zu sehen, gehen ins Museum und wandern durch die schönen Parks und beeindruckenden Alleen der Stadt. Man fühlt sich eher wie in einer mittelgroßen Stadt, trotz der überall herumstehenden Prachtbauten aus der Sowjetzeit und neueren Datums. Wir sehen sehr viele sehr gut angezogene Männer und Frauen, in traditioneller, sowie westlicher Kleidung, die die Alleen entlang gehen und besonders die bunten Kleider der Frauen, die teils bunt bestickte Kopfbedeckungen oder Kopftücher tragen und dabei ihr langes, bis zum Po reichendes Haar zeigen, bilden einen interessanten und anziehenden Mix zwischen Moderne und Tradition. Darunter mischen sich Kinder und Frauen, die in ihren Hausanzügen aus den Einfahrten der hinter den Fassaden beginnenden Reihenhäusern kommen, um untergehakt zu flanieren oder schnell ein Eis zu kaufen. Das gibt dem ganzen einen heimeligen Charakter und wir fühlen uns sehr wohl.

Dushanbe ist auch die Stadt, in der wir am meisten Geld an bettelnde, ältere Menschen verteilen. Nach unserem Besuch in der deutschen Botschaft wissen wir, dass Tadschikistan 10-15 Jahre hinter dem Entwicklungsstandard (z.B. medizinisch und Bildung) von Usbekistan zurückliegt und es keinerlei Sozialsysteme gibt, die diese Menschen auffängt.

Es fällt uns schwer die Gemütlichkeit eines eigenen kleinen Apartments und den Luxus abwechslungsreichen Essens – wir gehen einmal indisch essen und finden uns von echten Indern umringt wieder, was für das Essen spricht – aufzugeben, doch andererseits freuen wir uns auch auf Natur! Also auf in den Pamir!