Turkmenistan on the run

Fünf Tage Zeit für etwas mehr als 500 Kilometer ist nicht ganz so viel mit dem Rad. Mehr gibt das fiese Transitvisum aber leider nicht her und so radeln wir was das Zeug hält. Unsere Pos are not amused, dafür machen die Turkmenen mal wieder alles wett.

Wir bleiben 2 Nächte in einem kitschigen Provinzhotel in Sarahs im Iran, um vor dem Spurt durch Turkmenistan erholt zu sein. Wir sind ein bisschen aufgeregt, da wir nur einen losen Zettel mit einer Einladung der turkmenischen Botschaft und kein Visum in unserem Pass haben. Dass wir überhaupt die Aussicht haben nach Turkmenistan einzureisen, ist schon ein Wunder, die meisten Visaanträge werden unbegründet abgelehnt und viele unserer Radlerfreunde sind vo Iran direkt nach Tadjikistan geflogen.

Wir hatten durch unsere 2. Reisepässe die Möglichkeit, das Visum über eine Agentur direkt in Deutschland zu beantragen, was tatsächlich von Erfolg gekrönt war. Die Pässe wieder in die Hände zu bekommen, gestaltete sich jedoch schwieriger, da Dokumente in den Iran schicken nicht erlaubt ist und wir somit jemanden finden müssen, der sie legalerweise mit sich in einem Flugzeug bringt. Wieder einmal sind Simon und Mahtab unsere Helden und finden jemanden, der sie mit nach Teheran bringt. Mahtab sendet sie dann nach Mashad, wo wir sie an unserer Hotelrezeption bei Hassans Vater ausgehändigt bekommen. Puh.

Nach dem all dieser Aufwand betrieben wurde, stehen wir also um kurz vor acht an dem noch verwaisten Ausreiseterminal im Iran. Als die Abfertigung losgeht haut Daniel all sein persisch raus, um die Taschendurchsuchungs-Zöllnerin zu beeindrucken. Es funktioniert, sie schaut nur in ein paar Taschen und rettet unser Tandem davor durch den Scanner zu müssen.

Dann werden wir nach draußen entlassen und fahren auf eine Brücke zu, die die Grenze zwischen dem Niemandsland zwischen dem Iran und Turkmenistan markiert. Auf der Hälfte werden wir nochmal von den iranischen Soldaten zurückgepfiffen. Wie immer mehr aus Neugier als aus Arbeitswut. Ich muss mich arg beherrschen, als der junge Mann in Uniform mit noch vollem Mund fragt, ob ich auch mittrete. Idiot.

Auf der anderen Seite der Brücke werden wir schon auf russisch begrüßt, mir wird die Hand geschüttelt und bedeutet, dass ich doch das Kopftuch abnehmen soll. Liebend gerne! Wir durchqueren den ca. 2 km langen Streifen zwischen den beiden Ländern und werden von den turkmenischen Soldaten in die Abfertigung gebeten. Ein beeindruckend sauberer und neuer Bau. Jetzt beginnt eine bürokratische Odyssee und am Ende haben wir fast 4 Stunden gebraucht, um die Grenze zu überqueren. Dabei wird jede unserer Taschen nach dem Scanner nochmals bis auf den Boden ausgepackt und alles, wirklich alles durchsucht und von einem Artzt unsere Temperatur gemessen, dann dürfen wir weiter. Wie immer ist das Personal jedoch sehr freundlich.

Wir halten nochmal an einem Shop, um nochmal etwas kühles zu trinken, dann stürzen wir uns in die Wüste. Am Ende des Dorfes haben wir noch eine Erscheinung: Eine hochgewachsene, schlanke Frau schwebt vor uns in einem betörenden Gang und bodenlangen Kleid am Wegesrand entlang. Ihr langes, braunes Haar ist unbedeckt, geflochten und reicht bis zum Po. Ich schaudere bei so viel Schönheit und Grazie und freue mich, dass sie so wunderschön ist und das auch zeigen darf.

An Tag 1 radeln wir den ganzen Tag, auch in der Mittgshitze, da wir die Kilometer sonst keinesfalls schaffen. Wir trinken was das Zeug hält und machen nur kurze Pausen ohne viel Schatten. Die Straße ist der Horror, voller Schlaglöcher und Sand. Dann passiert noch das:

Abends geht die Sonne gerade spektakulär unter, als wir versuchen einen Zeltplatz zu finden. Doch „leider“ hat uns ein lokaler Landwirt bereits entdeckt und schreit aufgeregt „Mister, Mister“. Wir hatten uns eigentlich auf eine einsame Wüstennacht gefreut, aber der Möglichkeit Turkmenen kennenzulernen, können wir auch nicht widerstehen. Wir sind ziemlich kaputt und es dauert eine Weile, bis wir mit unseren Gastgebern ins Gespräch kommen, da es wieder eine komplett andere Sprache ist. Mit ein wenig türkisch können wir uns jedoch einigermaßen verständigen. Uns wird das beste Zimmer angeboten, um zu schlafen, die Tiere und das Bad gezeigt, dann tischt man uns essen auf. Kurz nach acht – wir können unser Glück kaum fassen. Die vier Jungs bewirtschaften die Farm gemeinsam und wir essen alle zusammen aus zwei großen Tellern. Es gibt Leber mit Fettstückchen in einer roten Soße. Das Brot wird in die Soße getunkt. Ich kann sonst keine Innereien essen, aber es ist erstaunlich lecker und ich will die Männer mit meinem Flexitarierwahn nicht vor den Kopf stoßen.

Wir quatschen noch ein wenig und schauen nebenbei einen thailändischen Kampffilm. Dann dürfen wir ins Bett. Vorher steht noch der Gang zum Plumpsklo auf der Wiese an, durch die tiefschwarze Nacht, erhellt durch einen atemberaubenden Sternenhimmel, bei dem man sogar die Erdkrümmung sehen kann. Morgens um 5 weckt mn uns wie geheißen und wir strampeln erholt weiter.

Wir quälen uns noch durch ein paar Kilometer schlechte Straße, bis wir eine geteerte erreichen und schneller vorankommen. Was uns sofort auffällt: richtig gute Autos, japanische und deutsche Fabrikate und ein sehr gesittetes überholen. Mit Blinker setzen. An einer unserer Wasserauftankstationen starten wir gemeinsam mit Kerim, einem jungen Turkmenen, der uns fast 40 km auf seinem Drahtesel begleiten wird. Cooler Typ!

Am Ende des Tages erreichen wir eine Kleinstadt und sind ein wenig genervt, weil die Sonne bereits arg tief steht und wir eigentlich zelten wollten. Ein Einheimischer zeigt uns dann noch eine falsche Straße, sodass wir einen Umweg machen und immer noch auf der Straße sind, als die Sonne wirklich untergeht. Wir halten neben einem Weinfeld, auf dem ein Bauer seine Reben bearbeitet und Daniel fragt, ob wir hier unser Zelt aufschlagen können. Er sagt sofort ja, lädt uns aber auch zu sich nach Hause ein. Wir fragen, ob das wirklich okay ist, weil wir nicht zur Last fallen wollen. Wir folgen seinem schmucken Lada zu seinem schönen Haus, an dem bereits eine aufgeregte Nazik, seine Tochter wartet. Sie lernt schon ewig englisch und freut sich unglaublich es jetzt endlich anwenden zu können.

Wir werden in den Gästeraum geführt und uns wird sofort aufgetischt. Nazik leistet uns Gesellschaft während ihre Familie im anderen Raum ist. Alle kommen später noch in unseren Raum und Nazik übersetzt alle Fragen und Antworten. Ich zeige Konstanz auf meinem Smartphone und den Rest des Abend sitzen alle um das Telefon herum und empfingen unsere Reise nach. Dabei wird lustig immer weitergeblättert. Zum Glück versende ich nie prekäre Fotos von mir;) Es ist ein wunderbarer Abend und zu unseren Ehren wird sogar noch eine Torte gekauft, die ich anschneiden darf. Dann werden wieder die bekannten Matten ausgebreitet und wir schlummern friedlich.

Am nächsten Morgen bekommen wir selbstgemachten Honig und Brot geschenkt und ein schönes Tuch. Wir schenken Nazik einen unserer Dollar für den Start in den USA – mehr trauen wir uns nicht, weil wir nicht wollen, dass sie sich bezahlt fühlt. Nach vielen Umarmungen geht es wieder los.

Wieder stehen 120 Kilometer an. Und diesmal wirklich durch unbewohntes Gebiet. Wir tanken nochmal Wasser, gegen Mittag halten wir an einem Truckstop, um zu essen und unter den einzigen Bäumen weit und breit zu ruhen. Nachmittags fahren wir dann nochmals 40 Kilometer, bis wir mitten in der Wüste und direkt an der Straße hinter ein paar Büschen unser Camp aufschlagen. Wir sind völlig fertig und kaputt. Nach dem essen kriechen wir sofort ins Zelt, bewundern durch das Mückengitter noch ein wenig die Sterne und schnarchen dann weg.

Morgens um 5 klingelt der Wecker. Ich kann mich kaum bewegen, Daniel springt aus dem Zelt und kruschtelt, ich brauche an diesem Morgen eeeeewig. Wieder auf dem Rad erzählen wir uns unsere Wehwehchen und strampeln.

Frühstück gibt es och in der Wüste, zu Mittag erreichen wir gerade so Turkmenabat, schaffen die 4 km bis zum Hotel aber nicht mehr, weil wir so ausgehungert sind. Zum Glück dürfen wir vor dem kleinen Markt von Azad und seiner Familie essen. Er schenkt uns Eis und schneidet und verfüttert Melone an uns. Wir sind happy. Er auch.

Die letzten Kilometer legen wir durch die Stadt zurück, in der sich ein Prachtbau an den anderen reiht. Man fragt sich wofür man all den Platz braucht. Später im Hotel mit Sovietcharme sehen wir dem Präsidenten im Staatsfernsehen zu, wie er auf einem Porschebike und in einem Helikopter – den er selbst fliegt! –  die Neubauten für die Aziada (Asian Indoor and Martial Games, an denen 62 asiatische Staaten sowie Ozeanien teilnehmen) besichtigt. Leider kommen wir zu spät, um den Bazaar zu besichtigen. Auf dem Weg sehen wir trotzdem viele der wunderhübschen Turkmeninnen, die in ihren bodenlangen, bunten Kleidern und wenn sie verheiratet sind mit einem hübsch gebundenen Kopftuch in den Alleen flanieren. Sie sehen viel mehr asiatisch aus mit ihren schmalen Augen und runden Gesichtern, als noch die Iraner oder die Minderheit der Russen, die hier leben.

Abends gönnt sich Daniel erstmal das erste echte Bier seit fast 6 Wochen und wir essen gemütlich zu Abend, bevor wir ins Bett fallen.

5 Uhr morgens, der letzte Tag Turkmenistan bricht an und wir quälen uns aufs Rad. Es wir ein kleines Chaos, weil wir von mehreren Autofahrern hierhin und dorthin geschickt werden, weil die Karte von Google Maps nicht mit den Gegebenheiten übereinstimmt. Daniel ist an diesem Tag auch ein wenig neben der Spur, weil er so erschöpft ist und so landen wir gerade rechtzeitig um 9 Uhr morgens an der Grenze zu Usbekistan.

Wie ist also Turkmenistan? Bunt, freundlich, leckeres Eis, sehr international durch viele türkische, iranische, kasachische, usbekische und tadjikische Lastwagen, die das Land durchqueren. Viele Prachtbauten und -straßen, jedoch kein mobiles Internet, nur Internetcafes! Und offiziell kein Satelliten – sondern nur Staatsfernsehen. Und dort werden die Städte in Europa mit Bildern aus den 80-ern gezeigt. Als ob die Turkmenen nicht wüssten, wie es anderswo aussieht. Die Turkmenen, ehemals ein Nomadenvolk haben sich ihre außergewöhnliche Gastfreundschaft bewahrt und wir fühlen uns wieder einmal geehrt, dass wir diese 2 Mal in nur 5 Tagen und 4 Nächten, die wir Zeit hatten, genießen durften! Die Kunstschätze des Landes lagen leider nicht auf unserer Route oder wir konnten sie nicht sehen, weil wir dieses Zeitlimit hatten. Sehr schade! Dafür werden mir die schönen Turkmeninnen mit ihren Kleidern und Tüchern in Erinnerung bleiben als die Grazien aus dem Morgenland.