5000 Kilometer und 3 Monate

Die 5000er Marke nehmen wir irgendwo in der Steppe von Aserbaidschan und merken es erst später. Gleichzeitig sind wir nun bereits 3 Monate unterwegs und haben somit 1/4 der geplanten Zeit bereits erlebt. Ein guter Zeitpunkt, um wieder einmal in uns zu gehen und zu reflektieren.

Wie ist das so als Paar auf einem Rad?

Bevor wir in Deutschland losfahren denke ich oft darüber nach, wie es wohl sein wird, dauernd so nah beieinander zu sein. In unserem „normalen“ Leben hat jeder sein eigenes Arbeitsumfeld, seine eigenen Hobbys und oft auch seinen eigenen Plan für die Woche. Wir agieren recht unabhängig voneinander und es gibt genügend Zeit für Hühnerabende und Kletterstammtische. Dann sitzen wir auf einmal auf diesem Tandem und machen von morgens bis abends alles zusammen – der Horror, dachte ich.

Nach 3 Monaten muss ich sagen: es läuft recht gut. Wir sind ein gutes Team. Daniel ist der Planer, Navigator und Lenker auf dem Rad, ich dagegen bin für die Pausen zuständig, für das Einkaufen, die Übernachtungsorga und das woher, wohin, warum – Karussell an Fragen, das man für uns bereithält. Manchmal verschieben sich diese Rollen auch, wenn einer von uns müde ist oder an einem mentalen Durchhänger leidet. Wir müssen aufeinander acht geben, denn wir kommen nur als Team voran. Auseinandersetzungen gibt es nur, wenn der Essensnachschub nicht rechtzeitig sichergestellt wird und ich zum Hungrmonster mutiere oder Daniel mal wieder mault, weil er sich nicht dehnen will, ich aber finde, dass das wichtig ist als Ausgleich. Es ist auch gut sich ab und zu einmal den Raum zu schaffen alleine, jeder für sich zu sein oder ein wirkliches Paar. Gerade in muslimischen Ländern sind die kleinsten Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit nicht unbedingt angebracht, sodass man darauf Acht geben muss eben nicht immer nur ein Team zu sein.

Pro oder Contra Tandem?

Für uns ist das Tandem immernoch die beste Lösung soweit. Wir können uns zu jeder Zeit einfach unterhalten und absprechen, was bei zwei Rädern oft nicht möglich ist, weil man nicht nebeneinander fahren kann oder zu weit voneinander entfernt fährt. Es ist schön zusammen schweigen zu können und besonders für mich ist es toll, dass ich meinen eigenen Gedanken nachhängen und die Umgebung genießen kann. umindest ab und zu, weil ich nicht lenken, sondern nur treten muss.

An was ich mich richtig schwer gewöhnen konnte? Immer klar und deutlich sagen zu müssen, was ich will und das sehr zeitnah. Wenn ich z.B. – ganz banal- pinkeln muss und einen einigermaßen passenden Platz sehe, muss ich das ganz bewusst und deutlich sagen. Dann muss Daniel das hören, realisieren und bremsen, sonst bleibt meine Pipipause eine Idee und mein perfekter Platz ist an mir vorbeigesaust. Wenn ich allein auf einem Rad sitzen würde, dann würde ich eher unterbewusst einfach bremsen und mich in die Büsche schlagen, fertig. So muss ich ihn fragen und das an sich habe ich am Anfang schon als kleinen Freiheitsentzug empfunden. Seit ich mir das alles klargemacht habe, läuft es eigentlich ganz gut.

Trotzdem ist natürlich nicht alles Ponyhof. Hier ein kleiner Auszug unserer Wehwehchen:

Nach 60 Kilometern beginnt meist das Hinterteil zu leiden und wir beginnen abwechselnd aufzustehen, was gut koordiniert sein muss, weil wir an der gleichen Kurbel hängen. Wir müssen auch manchmal nach 80 oder 100 Kilometern alle 10 oder 20 Kilometer mal absteigen, um den Po zu entlasten.

Wirklich fies waren meine Knieprobleme, während wir in der Türkei waren. Jeden Abend hatte ich einen schmerzhaften Druck auf den Knien und konnte mich kaum auf einen Stuhl setzen, weil es bei Hinsetz-Vorgang noch schlimmer wurde. Morgens war immer wieder alles gut und wir konnten weiterradeln, über den Tag habe ich das Problem meist einfach vergessen. Mit der Zeit reibt das trotzdem ganz schön an den Nerven und so habe ich unserem “Wunderheiler” Thomas, bei dem wir einen Rad-Ergonomie-Workshop besucht haben und der mich zuvor super auf das Tandem eingestellt hatte, eine Mail geschrieben. Er ist Arzt und selbst Radler und lebt seit Anfang des Jahres in Malawi und schreibt von dort ebenfalls einen interessanten und (selbst-)kritischen Blog (Wanderheiler), den ich nur empfehlen kann, wenn man einen realen Einblick in das Leben eines Arztes in Afrika haben möchte. Ich schildere ihm das Problem und frage ob er denkt, dass wir abbrechen müssen, wenn wir dauerhafte Schäden an meinen Knien ausschließen möchten. Ich liebe seine Antwort: “An Abbrechen würde ich nicht denken. Bloß nicht!!” Er macht mir Vorschläge, wie wir das Problem behandeln können und ich fasse neuen Mut. Wieder ein Mensch, der wie so viele, das tut, was er für uns tun kann, damit die Reise weitergeht. Ich bin so unendlich dankbar für all diese Unterstützung, all diese großen und kleinen Tipps, Recherchen, Mutspender und helfende Hände, die ihre Teil dazu beitragen, dass wir weiterkommen!

Kommen wir nach dem emotionalen Teil zu den kalten Fakten:

Was bisher kaputt ging:

  • ein Freilauf, das runde Ding in der Mitte des Laufrades
  • 3 Platten

Lost and not found again:

  • Pfefferspray
  • Ortlieb-Taschen Schrauben, die wir nie nachgezogen haben
  • 1 Shirt
  • 2 Dosen Haarseife

Nach 5000 Kilometern haben wir uns also immer noch lieb, euch ebenfalls. Ja wir vermissen es manchmal bei euch zu sein und die großen und kleinen Veränderungen in euren Leben live mitverfolgen zu können, mit euch zu lachen, zu weinen oder euch einfach nur anschweigen zu können. Andererseits sind wir unendlich dankbar all diese neuen, liebenswerten Menschen kennenlernen zu dürfen, von ihnen zu lernen, einen Einblick in ihre Sicht auf die Welt erhaschen zu können und so immer mehr eine Art universelle Sicht auf uns Menschen zu bekommen. Ja wir sprechen verschiedene Sprachen und sehen verschieden aus, aber letztendlich sind wir alle Menschen und wenn wir es schaffen unsere Herzen zu öffnen, sind wir gar nicht mehr verschiedene Nationen oder sonst eine Kategorie, in die wir uns gerne einteilen. Dann sind wir einfach Menschen und im besten Fall Freunde. Es ist erstaunlich, wie nah man sich Menschen fühlen kann, die man vorher nicht kannte und die einen komplett anderen kulturellen Hintergrund haben. Man muss auch nicht der gleichen Meinung sein oder dieselben Erfahrungen gemacht haben, um dieses Gefühl des Universellen zu bekommen. Eine wirklich bereichernde Erfahrung. Nicht, dass ich das von zuhause nicht kennen würde, es ist einfach nur seltener-  vielleicht weil man einfach weniger Menschen kennenlernt? Spannende Frage, ich werde mal eine Feldforschung anstrengen, wenn wir wieder zurück sind. Bis dahin genießen wir dieses Mensch sein dürfen und diese Offenheit, die zurückzukommen scheint, wenn man sie nach außen trägt. Happy 3 Monate on the road!