Salam Aserbaidschan – #1

Wir sind nach Tiflis ungeplanereise noch ziemlich lange in Georgien kleben geblieben – das zeigt, wie sehr wir dieses Land lieb gewonnen haben. Das war auch der Grund warum Daniel am ersten Tag in Aserbaidschan einen kleinen Durchhänger hatte. Aber jeder weiss ja spätestens seit dem Eurovision Song Contest, dass die Aserbaidschaner Herzen im Sturm erobern.

An der Grenze zu Aserbaidschan werden wir von einer Horde freundlicher Männer in stramm sitzenden Uniformen durch die Grenzprozedur geleitet, unser zuvor erstandenes E-Visum (allererstes Visum seit wir losgefahren sind!!!) wird für gut befunden und wir rollen erstmal durch saftiges Weideland gen Osten. Was sofort auffällt: Aserbaidschan ist Ladalandia und so überholen uns die schmucken Autos mit 60-er Jahre Charme ständig wild hupend. Meist blitzt noch ein Lächeln von roten Lippen umrahmt aus der Heckscheibe und das offene Haar weht im Fahrtwind. Ich fühle mich wie in einer Zeitmaschine. Ich bin erstaunt, denn als wir durch die erste Stadt fahren ist kaum einen Schleier zu sehen, obwohl offiziell die meisten Aserbaidschaner Musmlime sind.

Man winkt wild und oft sind erstaunte Schreie am Wegesrand zu hören. Ich winke freundlich zurück und rufe Salam = Hallo. Daniel hingegen geht die ganze Aufmerksamkeit auf die Nerven und als wir Rast unter einem Baum am Wegesrand machen, klagt er darüber, dass ihm die Aserbaidschaner zu laut seien. Der erste Tag ist halt immer gewöhnungsbedürftig, versuche ich ihn zu trösten, dann wird wieder aufgesessen. Wir fahren über gute kleine Strassen und durch kleine Dörfchen, wo uns die Menschen wieder mit einem Hoş Geldiniz = Willkommen begrüßen und uns im vorbeifahren auch zum Tee einladen. Daniel braucht aber ein wenig Pause von dem Trubel, also halten wir an einem Teegarten, der wunderschön im Grünen gelegen, aber nich viel besucht ist. Man bringt uns eine ganze Kanne Tee, dazu Zitronenschnitze und Bonbons. Wir sitzen gemütlich im Schatten unter den großen Linden und schlürfen unseren Tee – diese Teegärten sind eine Institution in Aserbaidschan, wie wir später noch lernen werden und sind völlig in die Natur integriert. Herrlich!

Kurz bevor wir uns an diesem Abend in die Büsche schlagen, um unser “Dschungelcamp” – die Vögel hören sich hier zum ersten Mal mehr nach Regen- als nach Mischwald an – aufzuschlagen, begleiten uns begeisterte Jungs auf ihren Rädern ein Stück. Leider können wir uns nicht ihnen verständigen, aber für ein kleines Wettrennen auf den Fahrrädern reichts. Sie gewinnen – barfuss ziehen sie gnadenlos über die vielen Schlaglöcher, während wir um diese herumeiern.

Als wir unser Camp bezogen haben, bemerken wir, dass das Pfefferspray fehlt, das wir für den Fall “bissige Hunde” dabei haben. Wir schwingen uns nochmals aufs leere Tandem und suchen die Schotterpiste ab. Wir finden tatsächlich die Kletthalterung des kleinen Fläschchen, mehr aber nicht. Jemand muss mit dem Auto oder Moped angehalten und es mitgenommen haben. Wir hoffen er war dem englischen genug mächtig um zu verstehen was es ist – für uns ist es das erste, das wir nicht einfach ersetzen können. Nachts werde ich das kleine Ding noch schmerzlich vermissen. Da heult nämlich jemand 50 Meter neben unserem Zelt so haarsträubend, dass ich kerzengerade im Zelt sitze. Daniel wagt sich mit einem Stock und der Stirnlampe bewaffnet aus dem Zelt. Der Besucher verschwindet ziemlich schnell. Glück gehabt. Später erfahren wir, dass es Schakale und keine Wölfe sind – nachts in einem Zelt wirkt einfach alles größer und gefährlicher.

Als wir am nächsten Tag um 8 loskommen, ist es bereits drückend heiß. Wir kämpfen uns schwitzend erst auf der Schotterpiste, dann auf einer kleinen Straße Richtung Sheki voran. Vor Sheki gibt es einen 5 km Anstieg. Es ist 2 Uhr, die Hitze flimmert – so muss sich ein Kebabspieß fühlen. Jetzt ist sie da, die Hitze, die uns zwingen wird mittags eine Pause einzulegen. Später als erwartet, immerhin ist es schon Ende Juni. Wir kämpfen uns weiter voran, müssen 2 km vor Sheki aber nochmals kurz in den Schatten eines Baumes. Ein Mann parkt neben uns und fragt, ob wir einen Tee in einem Teehaus direkt gegenüber trinken möchten. Ich schaue Daniel an, an dessen Shirt kein trockener Fleck mehr ist, der Schweiss läuft ihm in Bächen von Stirn und Armen und ich muss mich fragen warum man so zwei triefende Radler in seinem Teehaus will. Wir nehmen dankend an, bekommen einen Tee und er erzählt uns, dass er 1978 in Berlin und Rostock war als Soldat, als das noch die Sowjetunion war. Er spricht russisch, wie die meisten älteren Menschen hier und wir werden noch viele treffen, die ebenfalls für 1-2 Jahre in der DDR stationiert waren und uns deswegen auch gerne “Kamerad” nennen.

Wir quälen uns die letzten 2 Kilometer nach Sheki und checken in der Karawanserei ein. Die kühlen Zimmer sind eine Wohltat und ich kann ein wenig nachempfinden, wie sich Reisende auf der Seidenstrasse gefühlt haben müssen, wenn sie diese Oase der Kühle erreicht hatten.

Nachdem wir unseren zweiten Platten der Reise geflickt bzw. den Schlauch ausgetauscht haben weil kein Loch zu finden war, schlendern wir zum Khan Sommerpalast von Sheki, dem früheren Sitz des Herrschers. In der Touristeninformation empfangen uns Eldar und sein Chef Nesib mit feinstem Deutsch. Wir wollen gerne den nächsten Tag in eine Homestay bei einer Familie verbringen und Eldar ruft seine Nachbarn an, die das manchmal machen. Diese sagen zu und da es gerade Feierabendzeit ist, begleitet uns Eldar direkt, um uns zu zeigen, wo wir am nächsten Tag hinziehen.

Auf dem Weg begegnen wir seiner Mutter und wir laufen ein Stück gemeinsam. Wir sind gespannt, was uns hinter den hohen Mauern, die hier eine traditionelle Bauform sind und die wir sonst nur von der Strassenseite sehen, erwartet. Hinter der Eisentür tut sich ein großer Innenhof auf. Der Teil in der Mitte ist mit Gras und Bäumen bepflanzt, unter denen die Hühner gackern. Drumherum sind 4 einstöckige Gebäude gebaut, die über den gekachelten Weg zu erreichen sind. Das Wohnzimmer, wo sich alles Leben gemeinsam abspielt ist nur überdacht und überall flattern weiße Vorhänge in der sanften Brise. Die Frauen der Familie springen auf und heißen uns willkommen. Man zeigt uns unser großzügiges Zimmer und wir müssen die Suppe probieren, die gerade auf dem Herd kocht, obwohl noch Ramazan ist und niemand sonst etwas isst. Dabei erklärt man uns, dass der Vater der Familie vor 40 Tagen verstorben ist. Seine Frau Sevda und seine drei erwachsenen Töchter werden am nächste Tag eine Zeremonie durchführen. Man fragt uns, ob uns das stört. Wir bekunden unser Beileid und sagen, dass wir nicht zur Last fallen wollen. Man gibt uns ehrlich zu verstehen, dass das nicht der Fall ist und so machen wir aus, dass wir am nächsten Tag einziehen. Als wir die Familie verlassen, bittet uns Eldar noch zu sich nach Hause – seine Mutter würde sich sehr freuen. Wir freuen uns auch sehr und werden mit extrem leckeren Tee, Gebäck, Süßigkeiten und Obst verwöhnt. Eldar ist außerdem gerade Vater geworden und so lernen wir noch seine hübsche Frau Aygun und seine kleine Tochter Sema kennen.

Zurück in der Karawanerei treffen wir auf unsere Radelfreunde und gehen hübsch zusammen essen – es ist schön sich mal wieder austauschen zu können. Wir nehmen noch einen Absacker-Tee in dem atmosphärvollen Karawanserei-Teekeller und fallen in unsere dicken Bettchen.

Als wir am nächsten Tag bei unserer Familie einziehen, heißt man uns mit Tee und Gebäck willkommen und das schmeckt uns so gut, dass das angebotene Mittagessen, dass uns Dschale, die jüngste der drei Töchter und Elwin, ein Freund der Familie freunndlich anbieten, nicht annehmen können, weil wir so viel gegessen haben. Abends setze ich mich zu den Kindern, zeige ihnen meine Familie und wir warten mit der Familie, ein paar Nachbarn, die auch da sind bis zum Fastenbrechen um ca. 9 Uhr – das letzte Mal, dann ist Ramazan vorbei. Wir essen alle zusammen, danach werden wieder unendlich viele Süßigkeiten aufgetischt. Ich unterhalte mich mit der 13-jährigen Leyla auf Englisch und sie sagt, dass sie fotografieren liebt. Also machen wir ein Foto-Shooting. Eldar ist nach der Arbeit auch wieder vorbeigekommen und übersetzt geduldig alle Fragen und  Antworten.

Am Abend vor dem in Bett gehen, habe ich wieder einen Troll auf der Brust sitzen – ich hatte die letzten 5 Tage immer wieder Schwierigkeiten mit Kurzatmigkeit. Der Troll scheint nachtaktiv zu sein und sich so vollzustopfenn, dass er am nächsten morgen dicker geworden ist, sodass ich gerne einen Arzt aufsuchen will. Ich erwähne den Druck auf der Brust beim Frühstück, 5 Minuten später steht Eldar da und erklärt mir, dass alles ein wenig schwierig ist, weil jetzt 3 Tage lang Ramazan-Ende-Ferien sind. Ist aber kein Problem, es gibt einen Nachbarn, der Arzt ist. Dieser wird kurzerhand abgeholt und erscheint mit seiner kleinen schwarzen Tasche als ich gerade meinen letzten Schluck Tee nehme. Alle Frauen der Familie, die Kinder plus Eldar und Elwin, stehen in der kleinen Küche während der Arzt mit mir spricht. Als er das Stethoskop hervorholt frage ich mich kurz ob ich mich jetzt vor allen freimachen muss, er begnügt sich aber damit meinen Herzschlag an meiner Armbeuge zu messen. Er denkt ich vertrage das Wetter und das fettige Essen nicht. Kuzerhand wird ein Rezept auf einem Fresszettel ausgestellt, dann flitzt er wieder hinaus. Ich sitze noch benommen da und springe auf, um ihn zu fragen, was ich ihm schulde. Elwin winkt ab, er hat schon bezahlt und er will mich einladen. Das wäre zwar das erste Mal, dass mir jemand einen Arzt ausgibt, aber ich wehre mich trotzdem und darf ihm die 5 Euro für die Behandlung wieder zurückgeben. Nach der ganzen Aufregung fragen wir ob wir noch bleiben dürfen. Der Familienrat sagt ja. Ich bin sehr froh, da ich die Familie sehr lieb gewonnen habe und auf dem Tandem nicht genug Platz für mich und den Troll ist.

Wir machen totzdem einen kleinen Besuchhin dem Winterpalast der Sheki Khan Familie und fühlen uns zum ersten Mal wirklich in Persien.

Eldar bietet uns an mit uns zu einem “albanischen Tempel”, einer Sehenswürdikeit in der Region zu fahren und wir freuen uns noch mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. Abends dürfen wir nochmals mit der Familie essen und sind gerührt, wie liebevoll wir umsorgt werden, obwohl sie gerade so einen wertvollen Menschen verloren haben. Der Abschied am Morgen fällt wieder schwer, aber es ist auch schön wieder on the road zu sein.